sehepunkte 18 (2018), Nr. 5

Antonio Bonet Correa / Henrik Karge / Jorge Maier Allende (eds.): Carl Justi y el arte español

Die Kunstgeschichte als Universitätsdisziplin formierte sich um 1900 im deutschsprachigen Raum. Für manchen heute überraschend gehörte die Beschäftigung mit der spanischen Kunst dabei von Anfang an dazu. Es war der Marburger Gelehrte Carl Justi (1832-1912), der auf seinen zehn Spanienreisen zwischen 1872 und 1892 die Grundlagen legte und mit "Diego Velazquez und sein Jahrhundert" (1888 in erster und 1903 in zweiter Auflage) einen internationalen Bestseller schrieb. [1] Sein Todesjahr nahmen Mitglieder der nach ihm benannten "Carl Justi-Vereinigung e.V." (seit 1988) zum Anlass zwei Tagungen anzuregen, die sein Lebenswerk neu bewerten sollten. Das Bonner Kolloquium fand 2012 statt, aber der deutschsprachige Band erschien erst 2016. [2] Die Ergebnisse der Madrider Tagung liegen dagegen schon seit 2015 in spanischer Sprache vor und bilden das Thema der folgenden Rezension.

Die Veranstaltung fand unter der Leitung von Antonio Bonet Correa und Henrik Karge am 12. und 13. Februar 2014 in der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando statt. Die Publikation erfolgte in der renommierten Reihe des "Centro de Estudios Europa Hispánica". Neben der bereits erwähnten Velázquez-Monografie standen auch die anderen früh ins Spanische übersetzen Werke Justis im Fokus der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: "Miscellaneen aus drei Jahrhunderten spanischen Kunstlebens" (1908; übersetzt 1913/15) und die Einführung "Zur spanischen Kunstgeschichte" im Baedeker (1897 in Deutsch und 1900 in Französisch).

Justis Hinwendung zu Spanien entsprach damals nicht dem Hauptstrom der deutschen Kunstgeschichte, die vor allem Italien und hier die Renaissance in den Mittelpunkt ihrer Forschungen stellte. Dies allein brachte eine Irritation, aber Aufmerksamkeit verschafften ihm auch seine rigide formulierten Urteile. Diese betrafen vor allem das Wesen und den Wert der spanischen Kunst oder aktuelle Kunstströmungen wie den aufsteigenden Expressionismus, der sich auf El Greco als Vorbild berief. Verständlicherweise haben die Autoreninnen und Autoren der Tagung, auch in Abhängigkeit ihrer Zugehörigkeit zum deutschen oder spanischen Kulturkreis, sehr unterschiedlich auf diese Vorgaben reagiert. Das macht die Lektüre des Bandes (auch im Vergleich mit der deutschen Version) spannend, erfordert aber einen sensiblen Umgang mit den Zeitumständen.

Besonders gegensätzliche Positionen finden sich in den Beiträgen von Henrik Karge und David Sánchez Cano. Während der Vorsitzende der CJV in der Beschäftigung Justis mit den vielen ausländischen Künstlern auf der Iberischen Halbinsel einen transkulturellen Ansatz erkennen möchte, kann Sánchez Cano hinter seinem Interesse einen kolonialen Blick nicht ausschließen. Auffällig ist, wie Justi zwar die angelsächsische, nicht aber die französische Forschung - des damaligen Erzfeindes Frankreich - einbezieht. Auf dieses Defizit weist u.a. Bonet Correa in seinem Einleitungsartikel hin, der auch sonst einen guten Überblick zum internationalen Stand der Spanienforschung zur Zeit Justis liefert. Allerdings irrt er mit seiner Feststellung, Justi habe nach 1872 seine ganze Existenz dem Studium der spanischen Kunst geweiht. Carmen García-Frías wiederum wundert sich, wie Justi bei all seiner Kritik an dem gegenreformatorischen König Philipp II. diesem doch den Status eines Mäzens einräumen konnte. Tatsächlich dürfte der Aufsatz "Philipp II. als Kunstfreund" (als Vortrag 1879 in Bonn; 1881 in Deutsch und 1887 in spanischer Übersetzung) nicht nur der erste ins Spanische übersetzte Aufsatz Justis gewesen sein, sondern auch der folgenreichste, weil er mit der protestantischen "Schwarzen Legende" in einem wesentlichen Punkte bricht. Er liegt nicht nur dem Buch "Philip II of Spain: Patron of the Arts" (2004) der kürzlich verstorbenen Rosemarie Mulcahy zugrunde, sondern auch den zahlreichen Projekten des ehemaligen Prado-Direktors Fernando Checa, auch wenn dieser sich, anderes als Mulcahy, nicht ausdrücklich auf ihn bezog. Schade ist, dass der Tagungsband nicht auch die Gegenseite zu Worte kommen lässt. Denn der universitäre Antipode zu Checa in Madrid, Fernando Marías, hat die Verwendung des Begriffes "Mäzen" für den König mehr als in Frage gestellt.

Während in Deutschland in den letzten Jahrzehnten die Genese der nationalen Kunstgeschichte vielfach reflektiert wurde, steht dies für die spanische Seite noch weitgehend aus. So hat man den Eindruck, dass einige spanische Autoren die Gelegenheit genutzt haben, die eigene Wissenschaftsgeschichte aufzuarbeiten. Alfonso Rodríguez Gutiérrez de Ceballos schreibt für den Band über Gregorio Cruzada Villaamil, der schon 1862 die Zeitschrift "Arte en España" gegründet hatte und ebenfalls eine Monografie über Velázquez schrieb. Javier Portús widmet seinen Beitrag dem Maler und Autor Aureliano de Beruete, der seine Velázquez-Monografie erstmals 1898 in Paris publizierte. Beide Spanier haben mit Justi kooperiert und so zeigt ihr Beispiel anschaulich, dass seine Publikationen auch das Ergebnis eines fruchtbaren interkulturellen Dialoges bildeten. Portús, Konservator für spanische Malerei des "siglo de oro" am Prado, widmet sich in seinem Beitrag darüber hinaus Zuschreibungsfragen, die für den Kunsthistoriker Justi noch selbstverständlich waren, aber hinter seinen kulturellen Interessen zurückstanden. Echtheitsfragen beschäftigen auch Grischka Petri, wobei sein Fokus originell auf der Wahl der Titelbilder für die Velázquez-Literatur zur Zeit Justis liegt. Hinter einem anderen Schwerpunkt des Bandes, Justis Beschäftigung mit El Greco, erkennt man unschwer die Nachwehen des Jubiläums 2014, dem 400. Todesjahr des Künstlers.

Weiteren Autoren geht es mehr um die Abgrenzung Justis gegenüber den methodischen Ansätzen seiner deutschsprachigen Kollegen. Jorge Maier Allende schlägt dabei den Bogen zur Archäologie und Hans Aurenhammer nimmt die "Wiener Schule" mit Alois Riegl und Max Dvořák in den Fokus. Die Stilgeschichte Heinrich Wölfflins als Gegenpol zur Kulturgeschichte Justis findet sich generell als geistesgeschichtliche Folie. Dabei wird leider nur en passant deutlich, dass es noch weitere deutsche Autoren zu entdecken gilt, die Justis Pionierleistungen aufgriffen und in den 1920er-Jahren die deutsche Beschäftigung mit der spanischen Kunst zu großer Blüte führten. So verdienen die Forschungen von August L. Mayer und Werner Weisbach ebenfalls mehr Aufmerksamkeit. [3] Ihr Ansatz wurde wie Guernica ein Opfer der Achse zwischen Nazideutschland und Franco, bevor sich Ende der 1980er-Jahre auch bei uns wieder ein Interesse an der Kunst der Iberischen Halbinsel bemerkbar machte. Weisbachs "Der Barock als Kunst der Gegenreformation" wurde mitten im 2. Weltkrieg von Enrique Lafuente Ferrari ins Spanische übersetzt und steht für Schwerpunkte der deutschen kunsthistorischen Forschung, die bis heute Spuren in Spanien hinterlassen haben: neben Kultur- und Geistesgeschichte im Sinne Justis sind das eben auch die konfessionellen Parameter. Gerade der Beitrag von García-Frías zeigt aber, dass diese Ansätze, selbst wenn sie in übersetzter Form vorliegen, heute von spanischer Seite leider weitgehend ignoriert werden; erst Recht wenn sie nur in Deutsch publiziert sind.

Der Tagungsband "Carl Justi y el arte español", verbunden mit seinem deutschen Pendant, gibt einen guten Einblick in die Frühzeit der deutschen Spanienforschung und zeigt, dass der nach 1945 zunächst abgebrochene Dialog wieder eine neue Dynamik entfaltet. Allerdings fehlen einige wichtige Namen und Ereignisse, für die es aber zum Glück inzwischen andere Quellen gibt. [4] Bildteil und Register sind von hoher Qualität, aber die Justi-Bibliografie wünschte man sich ausführlicher kommentiert und auch Kurzbiografien der Autoren wären für Neueinsteiger hilfreich.


Anmerkungen:

[1] Zu Justis wissenschaftlicher Einordnung vgl. auch Johannes Rößler: Poetik der Kunstgeschichte: Anton Springer, Carl Justi und die ästhetische Konzeption der deutschen Kunstwissenschaft, Berlin 2009. - Um die spanische Biografie Justis hat sich vor allem Karin Hellwig verdient gemacht. - Ein früher Beitrag zum Thema stammt vom Autor selbst: Justi und Greco, in: Kunstchronik 43 (1990), H. 9, 489-90.

[2] Bettina Marten / Roland Kanz (Hgg.): Carl Justi und die Kunstgeschichte (= Ars Iberica et Americana; Bd. 20), Frankfurt a. M. 2016.

[3] Teresa Posada Kubissa: August L. Mayer y el estudio de la pintura española, Madrid 2009; Michael Scholz-Hänsel zu W. Weisbachs "Der Barock als Kunst der Gegenreformation", in: Paul von Naredi-Rainer: Hauptwerke der Kunstgeschichtsschreibung, Stuttgart 2010, 483-86.

[4] Vgl. u.a. Beat Wismer / Michael Scholz-Hänsel (Hgg.): El Greco und der Streit um die Moderne, Berlin 2015.

Rezension über:

Antonio Bonet Correa / Henrik Karge / Jorge Maier Allende (eds.): Carl Justi y el arte español, Madrid: Centro de Estudios Europa Hispánica 2015, 311 S., Zahlr. Farb-, s/w-Abb., ISBN 978-84-15245-48-3, EUR 28,85

Rezension von:
Michael Scholz-Hänsel
Institut für Kunstgeschichte, Universität Leipzig
Empfohlene Zitierweise:
Michael Scholz-Hänsel: Rezension von: Antonio Bonet Correa / Henrik Karge / Jorge Maier Allende (eds.): Carl Justi y el arte español, Madrid: Centro de Estudios Europa Hispánica 2015, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 5 [15.05.2018], URL: https://www.sehepunkte.de/2018/05/28971.html


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