Rezension über:

Volker Manuth / Rudie van Leeuwen / Jos Koldeweij (eds.): Example or Alter Ego? Aspects of the Portrait Historié in Western Art from Antiquity to the Present (= Nijmegen Art Historical Studies; XXII), Turnhout: Brepols 2016, 319 S., 16 Farb-, 106 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-56816-4, EUR 135,00
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Rezension von:
Marlen Schneider
Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Marlen Schneider: Rezension von: Volker Manuth / Rudie van Leeuwen / Jos Koldeweij (eds.): Example or Alter Ego? Aspects of the Portrait Historié in Western Art from Antiquity to the Present, Turnhout: Brepols 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 6 [15.06.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/06/30156.html


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Volker Manuth / Rudie van Leeuwen / Jos Koldeweij (eds.): Example or Alter Ego?

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Das portrait historié ist eine besondere Ausprägung der Porträtgattung, die unter verschiedenen Namen von der Forschung in den Blick genommen wurde: Es liegen Untersuchungen zu Rollenporträts, Identifikationsporträts, zu theomorphen und zu allegorischen Porträts vor, die allesamt jener besonderen Eigenschaft dieser Bildnisse auf den Grund gehen, zeitgenössische Personen in historisierender Kleidung, mit mythologischen und allegorisierenden Attributen oder schlichtweg in einem auf literarische Figuren anspielenden Fantasiekostüm darzustellen. Die verschiedenen Bezeichnungen verweisen auf unterschiedliche Interpretationsansätze und differente historische wie kulturelle Kontexte, in denen sich der Bildtypus entfaltete. Mit dem Band Example or Alter Ego? wurde nun erstmals versucht, die Vielfalt und Komplexität des Phänomens portrait historié von seinen Anfängen in der klassischen Antike bis in die Gegenwart nachzuzeichnen.

Diese Tour de Force durch die Geschichte des Bildtypus benötigt eine Grundannahme, eine Definition des Untersuchungsgegenstands, die es ermöglicht, antike Herrscherbildnisse, die mittelalterliche Strategie der Christomimesis oder auch frühneuzeitliche sakralisierende Künstlerselbstbildnisse mit Werken des 20. Jahrhunderts in eine Argumentationslinie zu bringen. Hier machen es sich die Herausgeber recht einfach: Portraits historiés werden auf das Spannungsverhältnis von individueller Person - dem dargestellten Modell - und der Bezugnahme zu einer fiktionalen, zumeist literarischen, aber auch historischen Figur reduziert (6). Der Deutungsspielraum, der sich hieraus ergibt, ist klein. Nicht nur wird auf diese Weise vernachlässigt, dass jede Epoche ein spezifisches Porträtverständnis hervorbrachte und sich die kulturellen und sozialen Funktionen der Gattung dementsprechend immer wieder wandelten. Auch den kulturräumlichen Besonderheiten eines so kontextbedingten Bildtypus wie dem portrait historié kann ein derart weit gefasstes Unternehmen nicht gerecht werden.

Die Publikation umfasst 15 Fallstudien, die chronologisch angeordnet sind. Ihnen ist eine Einleitung vorangestellt, in der die verschiedenartigen Funktionszusammenhänge des Bildtypus zumindest angedeutet werden. Das ist leider die einzige Syntheseleistung des Bandes, der ansonsten disparate Beiträge aneinanderreiht. An dieser Stelle werden auch Epochen und Ausprägungen des portrait historié skizziert, die von den einzelnen Studien nicht abgedeckt werden. Erstaunlich ist beispielsweise die große Lücke, die sich mit Blick auf das 17. und 18. Jahrhundert auftut. Denn es war im Frankreich des 17. und nicht erst des 18. Jahrhunderts, wie fälschlicherweise aus älterer Sekundärliteratur übernommen wird (10), wo sich die Gattung zu einer weit verbreiteten Praxis aristokratischer und zunehmend auch bürgerlicher Porträtkultur entwickelte und zudem die Bezeichnung "portrait historié" ihren Ursprung hat. [1] Es wäre lohnenswert gewesen, die Entwicklung und ursprüngliche Bedeutung des historischen Begriffs, der aufs Engste mit den künstlerischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten des französischen Ancien Régime verbunden ist, eingehender zu untersuchen. In dem Zusammenhang wäre auch zu fragen, ob dieser doch sehr spezifische Begriff überhaupt geeignet ist, alle im Band versammelten Phänomene sinnvoll zu umschreiben, ja, ob man überhaupt eine durchgehende Geschichte des portrait historié von der Antike bis zur Gegenwart schreiben kann oder sollte.

Interessante Beobachtungen und Zusammenhänge ergeben sich bei der Lektüre einzelner Beiträge. So legt der von Stephan Mols, Eric Moormann und Oliver Hekster verfasste umfangreiche Artikel zum portrait historié in der klassischen Antike einen wesentlichen Grundstein für die Erforschung des Bildtypus und seines Gebrauchs in der Frühen Neuzeit. Das hier aufgezeigte antike Körperverständnis, wonach bereits die Nacktheit bestimmter Vergleichsfiguren als Kostüm aufgefasst werden kann (35), findet sich im 16., 17. und 18. Jahrhundert wieder. Auch der metaphorische Gehalt des mythologischen Vergleichs, der als rhetorische Technik zur Charakterisierung des Modells eingesetzt wird (42), ist für das Verständnis des portrait historié als Bildtypus wesentlich. Diese Verbindungslinien müssen jedoch vom Leser selbst gezogen werden, da weder in der Einleitung noch innerhalb der einzelnen Kapitel der Versuch einer vergleichenden, epochenübergreifenden Analyse unternommen wird.

Aufschlussreich wäre es zum Beispiel gewesen, das dem Mittelalter gewidmete Kapitel gemeinsam mit sakralen Ausprägungen der Gattung in den darauffolgenden Jahrhunderten zu besprechen, um Analogien, Traditionslinien und Brechungen deutlicher herauszuarbeiten. Auch eine übergreifende methodische Reflexion wäre sinnvoll gewesen, um die unterschiedlichen Interpretationsansätze der Autoren in einen Dialog zu bringen, auf Stärken und Schwächen zu befragen. Die von Jos Koldeweij vorgeschlagene Analyse zweier von Hippolyte de Berthoz in Auftrag gegebener Triptychen aus dem 15. Jahrhundert veranschaulicht nuanciert das eingangs angerissene Spannungsverhältnis zwischen Porträtiertem und Identifikationsfigur. Diese Fallstudie hätte sich - etwa in Gegenüberstellung mit anderen Beiträgen - für eine weiterführende Methodendiskussion sehr geeignet.

Lassen sich zwischen den vormodernen Beispielen durchaus aufschlussreiche Zusammenhänge herstellen, fügt sich das letzte, dem portrait historié des 20. Jahrhunderts gewidmete Kapitel nur schwer in den gesetzten Untersuchungsrahmen ein. Dies macht sich schon daran bemerkbar, dass die Autorinnen und Autoren Schwierigkeiten haben, mit dem Begriff zu operieren und stattdessen präzisere, ihrem Gegenstand angemessenere Bezeichnungen einführen: So ist angesichts einer an Rembrandt angelehnten Inszenierung des Architekten Pierre Cuypers von einer "ambiance historié" die Rede (223). Dörte Nicolaisen bevorzugt für ihre Untersuchung von Gertrud Arndts Selbstbildnissen den Begriff "mask portraits". Wouter Weijers diskutiert Joseph Beuys' Palazzo Regale zu Recht im Kontext von Erinnerungskultur und einer Vielzahl von Traditionslinien, im Sinne einer "performance of memory" (261).

Der Mangel an Synthesen und die fehlende Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands führen letztendlich dazu, dass der Band zwar mit interessanten Einzelstudien aufwarten kann, jedoch weder einen grundlegenden Beitrag zum besseren Verständnis des portrait historié als historisches Phänomen noch zur Darstellungsstrategie des Verkleidens im Bildnis leistet.


Anmerkung:

[1] Siehe dazu die 2014 an den Universitäten Leipzig und Lyon 2 eingereichte Dissertation der Rezensentin, die Ende 2018 unter dem Titel Bildnis - Maske - Galanterie. Das portrait historié zwischen Grand Siècle und Zeitalter der Aufklärung im Deutschen Kunstverlag erscheinen wird.

Marlen Schneider