Rezension über:

Jochen Lehnhardt: Die Waffen-SS: Geburt einer Legende. Himmlers Krieger in der NS-Propaganda (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 100), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017, 629 S., 18 s/w-Abb., 103 Tabl., ISBN 978-3-506-78688-3, EUR 68,00
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Rezension von:
Roman Töppel
München
Empfohlene Zitierweise:
Roman Töppel: Rezension von: Jochen Lehnhardt: Die Waffen-SS: Geburt einer Legende. Himmlers Krieger in der NS-Propaganda, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 6 [15.06.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/06/31426.html


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Jochen Lehnhardt: Die Waffen-SS: Geburt einer Legende

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Die Waffen-SS hat im letzten Jahrzehnt in Deutschland besonderes Forschungsinteresse geweckt. Eine ganze Reihe von Monografien ist entstanden, die das bisherige Bild ausdifferenziert, erweitert und vertieft haben. Weil Himmlers Schutzstaffel die Verkörperung der inhumanen NS-Ideologie schlechthin darstellte und auch Teile der Waffen-SS unmittelbar dem völkermordenden Vernichtungsapparat angehörten, fällt es etlichen Historikern jedoch immer noch schwer, sich unvoreingenommen mit der Waffen-SS zu beschäftigen und ergebnisoffen über sie zu forschen. Auch in der vorliegenden Arbeit, die an der Universität Mainz als Dissertation entstanden ist, drängt sich mitunter dieser Eindruck auf.

Jochen Lehnhardt geht in seiner Studie vor allem der Frage nach, "wie intensiv die Propaganda um die Waffen-SS in der Zeit des Dritten Reiches sowohl insgesamt als auch in den einzelnen Kriegsphasen gewesen ist und ob die Waffen-SS dabei tatsächlich [...] als eine militärische wie ideologische Elitetruppe dargestellt worden ist" (17). Überzeugend stellt er dar, dass die SS-Propaganda-Kompanie den Kriegsberichter-Einheiten der Wehrmacht organisatorisch deutlich überlegen und auch technisch sowie personell erstklassig ausgestattet war. Während sich die Waffen-SS zu Beginn des Krieges gegenüber der Wehrmacht propagandistisch noch nicht in den Vordergrund spielte und zunächst eher bescheiden auftrat, erlangte sie vor allem in der zweiten Kriegshälfte in fast sämtlichen Medien immer größeres Gewicht. Das widerspiegelte sich auch an der Zahl der Kriegsberichterstatter: 46 Filmberichtern der Waffen-SS standen Anfang 1945 nur 85 Filmberichter des Heeres gegenüber (144). Dabei war allein das Feldheer zu dieser Zeit personell fast fünfmal so groß wie die Waffen-SS. [1] Ab Ende 1944 wurde diese als "Elitetruppe" zuweilen sogar über die Wehrmacht gestellt und ihr "Geist" als Vorbild für die anderen Wehrmachtteile präsentiert (486).

Kritisch an Lehnhardts Studie ist zunächst grundsätzlich zu bemerken, dass nicht nur ein sprachliches Lektorat wünschenswert gewesen wäre, um die zahlreichen Ausdrucks-, Grammatik- und Schreibfehler zu korrigieren. Auch eine inhaltliche Durchsicht durch einen Spezialisten für Militärgeschichte hätte man der Arbeit gewünscht. Denn in vielerlei Hinsicht offenbart sie mangelnde Kenntnisse der Geschichte von Wehrmacht und Waffen-SS:

1.) Militärische Begriffe: Fast durchgehend bezeichnet Lehnhardt die SS-Divisionen als "Einheiten". Bei der Wehrmacht wurden aber nur Truppenteile bis zur Größe eines Regiments als Einheiten bezeichnet, alles andere waren Verbände. Die wiederholte Bezeichnung von Gunter d'Alquen als "Kommandant der SS-PK" ist ebenso falsch. Eine Kompanie hat einen Chef oder Führer, keinen "Kommandant".

2.) Militärische Formationsgeschichte: Für seine Analyse hat Lehnhardt eine falsche Unterkategorie gebildet: Um zu prüfen, ob in der Presse immer wieder auf die "außergewöhnliche Ausrüstung" der Waffen-SS hingewiesen wurde, hat er nach "Aussagen über bei den SS-Einheiten vorhandene Spezialabteilungen wie etwa Pioniere oder zur Aufklärung" gesucht (336). Eine Ausstattung mit Pioniereinheiten ist dafür jedoch kein Kriterium, da beispielsweise auch jede reguläre Infanterie-Division des Heeres über ein Pionier-Bataillon verfügte. [2]

3.) Kampfwert einer Truppe: "Die Siege der Waffen-SS", so Lehnhardt, "beruhten im Wesentlichen auf der guten Ausrüstung ihrer Kerneinheiten mit schweren Waffen oder auf der ihr von der Führung zugewiesenen Rolle in den Schlachten, also traditionellen Voraussetzungen für einen militärischen Erfolg" (78f.). Diese Aussage lässt entscheidende Faktoren, die für den Kampfwert einer Truppe ausschlaggebend sind, außer Acht, etwa ihre personelle Zusammensetzung (körperliche Auslese, Motivation, Alter), ihre Kampfmoral, ihre Ausbildung sowie ihre Versorgung. An anderer Stelle schreibt Lehnhardt, nur die Panzerdivisionen der Waffen-SS hätten "in den letzten Kriegsjahren eine dem elitären Anspruch der SS entsprechende Bewaffnung" gehabt. Der Autor suggeriert damit, dass eine "Elitedivision" mit Panzern ausgestattet sein musste und übersieht, dass die Angehörigen der Fallschirmjägerdivisionen in der Öffentlichkeit und im Selbstverständnis mindestens genauso als "Elite" galten wie die Waffen-SS - ohne über Panzer zu verfügen.

4.) Auszeichnungs- und Belobigungssystem der Wehrmacht: Lehnhardt stellt fest, dass sich im Wehrmachtbericht ab 1943 "Meldungen über herausragende Taten von SS-Verbänden" gehäuft hätten (449) und die Waffen-SS dort überproportional häufig genannt worden sei (326). Dabei wirkt befremdlich, dass der Autor selbst einräumt, er habe den Wehrmachtbericht gar nicht in seine Untersuchung mit einbezogen (327). Er lässt zudem außer Acht, dass zumindest die namentlichen Nennungen von Einzelpersonen und Verbänden beantragt und von Heeresdienststellen befürwortet werden mussten. [3] Dementsprechend wurde die Waffen-SS bei der Nennung konkreter Verbände im Wehrmachtbericht keineswegs bevorzugt. Die beiden am häufigsten ausdrücklich im Wehrmachtbericht erwähnten SS-Divisionen waren die "Totenkopf" und die "Wiking" mit jeweils vier namentlichen Nennungen. Eine ganze Reihe von Verbänden der Wehrmacht wurde häufiger genannt, beispielsweise die 7. Panzerdivision sieben Mal, die Division "Großdeutschland" sechs Mal und die 46. Infanterie-Division fünf Mal. [4]

5.) Operationsgeschichte der Waffen-SS: Die immer wieder offenbar werdende mangelhafte Kenntnis der Operationsgeschichte der Waffen-SS ist Lehnhardt nur teilweise vorzuwerfen, da eine wissenschaftlich fundierte und umfassende Untersuchung zur Operationsgeschichte der Waffen-SS bislang fehlt. Auch die umfangreiche Studie von Jean-Luc Leleu hat dieses Manko nicht ausgeglichen, da sie zu viele Lücken und Schwächen aufweist. [5] So konzentriert sich Leleu fast ausschließlich auf die Kämpfe in Westeuropa 1944 und nimmt die Ostfront kaum in den Blick. Zudem stellt er viele Thesen auf, die bei einer kritischen Untersuchung fraglich erscheinen und zum Teil unhaltbar sind. Dazu gehört etwa die - auch von Lehnhardt übernommene - Behauptung, Hitler habe die SS-Divisionen als "strategische Reserve" nicht verausgaben wollen und sie deshalb immer wieder absichtlich an ruhige Frontabschnitte verlegt, um sie zu schonen (74). Diese Aussage ist in vielerlei Hinsicht irreführend und für etliche SS-Divisionen leicht zu widerlegen. So wurden beispielsweise die beiden klassischen Ostfront-Divisionen der Waffen-SS, "Totenkopf" und "Wiking", in der zweiten Kriegshälfte fast ununterbrochen an den Brennpunkten der Kämpfe eingesetzt und mitnichten öfter zur Auffrischung aus der Front gezogen als vergleichbare Heeresdivisionen.

6.) Vergleiche mit der Wehrmacht-Propaganda: Die fast ausschließliche Betrachtung der Waffen-SS, die auch die Studie von Jean-Luc Leleu prägt, wirft beim Leser immer wieder die Frage auf: War das bei der Wehrmacht anders? In der vorliegenden Arbeit bleibt weitgehend unklar, worin sich die SS-Propaganda von jener der Wehrmacht unterschied. Dabei zeigt schon ein recht oberflächlicher Vergleich, dass die Abweichungen offenbar gering waren. Der Autor weist etwa darauf hin, dass die SS-PK immer wieder auf Tugenden der SS-Soldaten wie "Härte gegen sich selbst", "unbedingte Pflichterfüllung", "Treue", "keine Rücksicht auf ihr eigenes Leben" und "eine ausgesprochene Todesverachtung" hingewiesen habe (374f., 380). Doch waren dies keine SS-typischen Imperative; diese Pflichtgebote wurden selbstverständlich auch bei der Wehrmacht propagiert.

Das "primäre Ziel dieser Arbeit", so Lehnhardt, sei die Darstellung, "von wem, nach welchen Leitbildern, unter welchen Umständen und in welcher Weise die Waffen-SS in der NS-Propaganda dargestellt worden ist" (494). Dieses Ziel hat der Autor zweifellos erreicht. Wünschenswert wären allerdings auch ein genauerer Vergleich mit der Öffentlichkeitsarbeit der Wehrmacht und damit eine bessere Einordung in den Gesamtkontext der NS-Propaganda gewesen.


Anmerkungen:

[1] Burkhart Müller-Hillebrand: Das Heer 1933-1945. Entwicklung des organisatorischen Aufbaues, Band 3, Frankfurt/M. 1969, 251.

[2] Veit Scherzer: Deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg. Band 1, Ranis / Jena 2007, 103.

[3] Erich Murawski: Der deutsche Wehrmachtbericht 1939-1945. Ein Beitrag zur Untersuchung der geistigen Kriegführung, Boppard 1962, 86-89, 144.

[4] Die Wehrmachtberichte 1939-1945. Band 3, München 1985, 833-858.

[5] Jean-Luc Leleu: La Waffen-SS. Soldats politiques en guerre, Paris 2007.

Roman Töppel