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Rezension von:
Charlotte Backerra
Institut für Geschichte, Technische Universität, Darmstadt
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Charlotte Backerra: Vier Sammelbände zur Personalunion Großbritannien-Hannover (Rezension), in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/07/26042.html


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Vier Sammelbände zur Personalunion Großbritannien-Hannover

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Zum dreihundertjährigen Jubiläum der Personalunion Großbritannien-Hannover fand 2014 nicht nur eine große Landesausstellung in Hannover und Celle statt. [1] Es bot auch die Gelegenheit, die neueren Forschungen zu den Beziehungen zwischen dem britischen Königreich und dem Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg in verschiedenen Zusammenhängen zu präsentieren und die Ergebnisse in den hier besprochenen Sammelbänden zusammenzufassen.

Zwei internationale Kongresse wurden von der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen sowie dem Deutschen Historischen Institut London 2012 in Osnabrück und London organisiert. Die Tagungsbände "Hannover, Großbritannien und Europa" und "The Hanoverian Succession" zeigen unterschiedliche Fassetten dieser deutsch-britischen Beziehungsgeschichte aus Sicht der aktuellen Forschung. Sie enthalten fast ausschließlich Beiträge arrivierter Historikerinnen und Historiker. Manche der Aufsätze sind deshalb Zusammen- oder Neufassungen bekannter Forschungsmeinungen.

Im Wintersemester 2013/14 veranstalteten die Träger des Promotionskollegs "Die Personalunion Großbritannien und Hannover 1714-1837 als internationaler Kommunikations- und Handlungsraum" an der Georg-August-Universität Göttingen eine Vorlesungsreihe. Der Band "Kommunikation und Kulturtransfer" fasst den Forschungsstand aus Sicht der in Göttingen Lehrenden und Forschenden zusammen. Die Göttinger Doktoranden organisierten 2013 einen Workshop zur "Kommunikation im Zeitalter der Personalunion". Dessen Publikation stellt unter anderem ihre Forschungsprojekte mit neuen thematischen Ansätzen vor.

Ronald G. Asch bietet mit der umfassenden Einleitung zum Band "Hannover, Großbritannien und Europa" einen Überblick über die Personalunion vom Ende des 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Einen besonderen Schwerpunkt legt er dabei auf "die Rolle der neuen Dynastie als Garant des Protestantismus" (19). Die Bedeutung des Protestantismus lasse erkennen, dass "England und Großbritannien im 18. Jahrhundert tatsächlich ein Konfessionsstaat" waren (34). Nicht eigens erwähnt wird die Anlage dieses Bandes als Sammlung verschiedenster Aspekte der Geschichte der Personalunion Großbritannien-Hannover.

Zu Beginn werden Deutungsmuster der entstehenden Personalunion untersucht. Gerd van den Heuvel charakterisiert mit den "politische[n] Handlungsvorschläge[n]" (44) von Gottfried Wilhelm Leibniz die hannoversche Sicht auf die Personalunion als kontinentaleuropäisch und antibourbonisch. Die in sich interessanten Beiträge von Thomas Riis zur dänischen "composite monarchy" im 18. Jahrhundert und von Hans-Jürgen Bömelburg zu Sachsen-Polen im selben Abschnitt wirken deplatziert im Überblick zur britisch-hannoverschen Personalunion. Drei Beträge widmen sich dem dynastischen Selbstverständnis der Welfen in seiner Entwicklung von der "reichspatriotische[n] Stilisierung" (Wrede, 176) über die protestantische, konstitutionelle, nationalistische und materialistische Sicht des 18. Jahrhunderts (Blanning, 186), die bis ins 19. Jahrhundert relevant blieb, wie Ditchfield sehr überzeugend darstellt (217). Drei weitere Teile des Sammelbandes widmen sich der Rolle des Protestantismus, den britisch-hannoverschen Kriegserfahrungen sowie den Verflechtungen im Rahmen des gelehrten Austausches und des Handels sowie schließlich der vertieften Beziehung nach Gründung des Königreichs Hannover 1814. Aus zeitgenössischer Sicht glichen sich die Königreiche derart an, dass die Auflösung der Personalunion 1837 als der "Willkürakt eines royalen Hochtorys" mit "neo-absolutistischen" Absichten galt (Christine van den Heuvel, 438). Von den 17 Kapiteln sind vier auch in englischer Sprache im Komplementärband enthalten (Wrede, Blanning, Ditchfield, Thompson), ohne dass dies allerdings vermerkt wurde. Leider enthält der Sammelband weder gemeinsame Literaturhinweise noch ein Register.

Der von Andreas Gestrich und Michael Schaich herausgegebene Band "The Hanoverian Succession" fokussiert sich auf die Folgen der "composite monarchy" - und zwar sowohl für Großbritannien als auch für das Kurfürstentum sowie zugehörige Herrschaften. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass die Herrschaft der welfischen Könige in der Personalunion nur in der Gesamtheit der zusammengesetzten Monarchie zu verstehen ist. Schaich formuliert in der Einleitung, es gehe um "the problems arising from the diversity and heterogeneity of the territories" (Schaich, 6). Trotz erkennbarer Bemühungen um multiperspektivische Ansätze zeigt sich auch dieser Band sehr britisch geprägt.

Die dreizehn Kapitel sind gut aufeinander abgestimmt. Neben dem dynastischen Vermächtnis der Stuarts (Asch) und der Welfen (Wrede) sind weitere Abschnitte den verschiedenen Ausformungen des Protestantismus (Wykes, Thompson, Gregory), Repräsentations- und Präsentationsstrategien (Blanning, Bucholz, McConville, Ditchfield) sowie "Contested Loyalties" im jakobitischen und revolutionären Kontext (Smith, Glickman, Corp, Goodrich) gewidmet. Jeremy Gregory zeigt, dass die Beziehung der hannoverschen Monarchen zu den Kirchen in den nordamerikanischen Kolonien "multilateral and polyvalent" war (124). Dies könnte dazu beigetragen haben, dass vor allem der ersten beiden Könige selbst nach der Unabhängigkeit mit "devotion" als "just rulers" gedacht wurde (McConville, 172). Das Bild Georgs I. und Georgs II. als dumme und fette Könige, als "every inch not a king", welches bis heute in historiographischen (161) und populären Darstellungen (167-168) wirkmächtig ist, untersucht Robert Bucholz. Sehr überzeugend ist seine Analyse, dass dieses Bild nicht auf realer Körperlichkeit, sondern vielmehr auf Vorstellungen der Großbritannien ausnutzenden deutschen Herrscher beruhe (169). Durch den Index zu Themen, Personen und Orten lassen sich die Inhalte dieses Sammelbandes sehr gut erschließen.

Bemerkenswert ist an dem von Arnd Reitemeier herausgegebenen Sammelband "Kommunikation und Kulturtransfer" vor allem der in fünf von zwölf Beiträgen vollzogene Perspektivwechsel, durch den die Personalunion von Göttingen aus in den Blick genommen wird. Nach der Rezeption der Hogarthschen Karikaturen (Scholl) und englischer Musiktheoretiker (Waczkat) in Göttingen wird die Göttinger Universitätsbibliothek als Paradebeispiel einer öffentlichen Bibliothek des 18. Jahrhunderts vorgestellt (Enderle, 231). Die letzten beiden Aufsätze beschäftigen sich mit gelehrtem Austausch anhand des "lockeren und fachbezogenen Beziehungsgeflechtes" zwischen Royal Society und Göttinger Königlicher Gesellschaft der Wissenschaften (Aufgebauer, 204) und anhand der Sammlungen der Royal Society sowie der Universität Göttingen (Collet).

Der andere Zuschnitt des Bandes "Kommunikation im Zeitalter der Personalunion", der von den Göttinger Kollegiaten Sune Erik Schlitte und Steffen Hölscher herausgegeben wurde, zeigt sich schon am Aufbau der Aufsätze: An jede Einzelstudie schließt sich ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis an. Eine breite Definition von Kommunikation, ausgedrückt in Handlungen und Prozessen, soll den inhaltlichen Zusammenhang herstellen (18). Beiträge zum Beispiel zu Musikaufführungen religiöser Werke (Schatke) oder zur englischen und französischen Selbstverwaltung als Vorbild der Reformbewegungen des deutschen Vormärz (Krosigk) liefern informative, aber außer über den Begriff "Kommunikation" kaum miteinander verbundene Fallbeispiele. Auffällig ist die inkonsequente Verwendung von Titulaturen ("König Georg IV.", Kipp, 202, aber "Queen Anne", Oehler, 383) und der Bezeichnungen "englisch" und "britisch" etwa in der Einleitung (Hölscher/Schlitte, 12), die dem Wert einzelner Beiträge aber keinen Abbruch tut. Allerdings befassen sich nicht alle mit den britisch-hannoverschen Beziehungen, sondern manche beschränken sich auf die deutsche beziehungsweise britische Seite (zum Beispiel Schlitte, Gierl, Oehler). Thematisch spannen die Aufsätze einen Bogen von Karten als Herrschaftsmittel über Kunst, Verwaltung, Musik, Predigtanalyse als Ideengeschichte bis hin zu Diplomatiegeschichte. Michaela Kipp analysiert in ihrem Beitrag, wie von Georg IV. bezahlte Gipsabgüsse der Elgin Marbles zum symbolischen Kapital für die Universität Göttingen wurden (204). Anhand der informellen Kommunikationswege zwischen Mitgliedern der Deutschen Kanzlei in London und der Verwaltung in Hannover (253) kann Benjamin Bühring die bisher nicht bekannte, umfassende Verflechtung innerhalb der Personalunion zeigen. Und mit dem Beitrag zu den Ulster Presbyterians, die sich als loyal gegenüber den hannoverschen Monarchen zeigten, wird Irland im Zusammenhang der britisch-hannoverschen Beziehungen miteinbezogen (Grebe).

Die Beiträge aller Sammelbände spiegeln die Bedeutung der Personalunion für die britische sowie die deutsche Geschichte. Gleichzeitig zeigen sie den weiterhin ausgeprägten Fokus auf britische Perspektiven. Eine Leerstelle der Forschung bleiben die kolonialen Territorien außerhalb Nordamerikas. Zusammen mit den Katalogen zur großen Landesausstellung bilden diese Sammelbände die Grundlage jeder weiteren Beschäftigung mit der britisch-hannoverschen Beziehungsgeschichte des 18. und frühen 19. Jahrhunderts.


Anmerkung:

[1] Vgl. Katja Lembke (Hg.): Als die Royals aus Hannover kamen. Kataloge zur Niedersächsischen Landesausstellung in Hannover und Celle, 17. Mai bis 5. Oktober 2014, 4 Bände, Dresden 2014.

Charlotte Backerra