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Knut Langewand: Die kranke Republik. Körper- und Krankheitsmetaphern in politischen Diskursen der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2016, XIII + 321 S., ISBN 978-3-631-69836-5, EUR 56,95
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Jörn Retterath
München
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Jörn Retterath: Rezension von: Knut Langewand: Die kranke Republik. Körper- und Krankheitsmetaphern in politischen Diskursen der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/07/30911.html


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Knut Langewand: Die kranke Republik

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In der Weimarer Republik wurden Staaten oftmals als Körper und Krisen als Krankheiten begriffen. Mit diesen Sprachbildern beschäftigt sich die 2014 bei Jim Jordan an der Universität Warwick entstandene Dissertation von Knut Langewand. Der Verfasser knüpft unter anderem an die von Moritz Föllmer und Rüdiger Graf [1] diskutierte Vielschichtigkeit des Krisenbegriffs an. Seine Darstellung behandelt - nach einer ausführlichen Hinführung - zum einen die gegen die Republik gerichtete Körper- und Krankheitsmetaphorik, zum anderen ausgewählte Weimarer Politiker und (die Diskurse um) deren Erkrankungen.

Ausführlich beschäftigt sich Langewand in seinem Hinführungskapitel mit dem Begriff der Krise sowie dem Konzept der Metapher. Krankheits- und Krisenvorstellungen waren eng miteinander verknüpft. Im medizinischen Sprachgebrauch wird mit "Krise" der Punkt im Verlauf einer Erkrankung bezeichnet, der letztlich über Verbesserung oder Verschlechterung des Zustands des Patienten entscheidet. Die damit einhergehenden Vorstellungen waren auch im politischen Sprachgebrauch anzutreffen. Die "Zuspitzungstendenz des Weimarer Krisendiskurses" habe insgesamt dazu beigetragen, "dass die meisten Autoren selbst an die Verengung von Optionen auf eine Alternative hin geglaubt hätten, die für eine ergebnisoffene Diskussion von Handlungsoptionen der Demokratie keinen Raum mehr" (22) ließen. Das gelte, so Langewand, auch für Krankheitsmetaphern. Entsprechende Sprachbilder versteht der Autor unter Bezug auf Mark Neocleous weniger als Rückgriffe auf "vormoderne Argumentationsstrukturen" denn vielmehr als genuin moderne "Muster diskursiver Sinnbildung im Gefolge des naturwissenschaftlichen Paradigmenwechsels nach 1870" (39f.). Metaphern dienten zur Veranschaulichung abstrakter Sachverhalte und hätten einen "nicht austauschbaren, durchaus unscharfen 'common-sense-Assoziationshof'" (31). Nach diesen Vorbemerkungen und dem Rekurs auf verschiedene begriffs-, ideen-, diskurs- und körpergeschichtliche Methodenansätze wendet sich der Autor seinem eigentlichen Untersuchungsgegenstand zu.

In einem ersten Großkapitel behandelt Langewand die "Metaphorik gegen die Republik". Bereits eingangs betont er, dass sich die von ihm "angenommene Überfülle" an Krankheitsmetaphern "empirisch nicht bewahrheitet" (52) habe. In seiner Untersuchung beschränkt er sich auf "möglichst elaborierte Metaphoriken" (52), die er in einem Sample von Zeitungen und Zeitschriften sowie Monografien und "obskuren Pamphleten" (53) gefunden hat. Leider bleibt dabei offen, nach welchem Kriterium Langewand die einzelnen Quellen ausgewählt hat; so ist unklar, ob er fünf (nicht digitalisierte) Zeitungen mit teils mehreren Tagesausgaben wirklich über den Zeitraum von 15 Jahren vollständig ausgewertet hat. Das erscheint auch deshalb fraglich, weil in der weiteren Untersuchung die Artikel der Tageszeitungen eine eher geringe Rolle spielen. Stattdessen blickt Langewand zuvorderst auf (populärwissenschaftliche) Monografien und andere Beiträge, deren Autoren meist naturwissenschaftlichen und medizinischen Hintergrund hatten und die Staat, "Volk", Gesellschaft und Politik anhand von Metaphern beschrieben, die sich auf Körper- oder Krankheitsbilder bezogen. Die Demokratie wurde darin nicht selten in einen Gegensatz zum angeblich organischen Wesen des Staates gesetzt, mitunter galt sie gar als "Krebsschaden" (70). Vor allem Vertreter der "Eugenik" als neuer medizinischer Leitwissenschaft diagnostizierten oftmals die "Erkrankung" von Volk und Staatsystem oder betrachteten die Republik als Herrschaft der "Minderwertigen". Die Angst vor einer "Degenerierung" beziehungsweise gar dem Aussterben des "Volkes" war weitverbreitet und die Großstadt galt als "Massengrab des Volkes" (86). Auch Psychologen und Biologen deuteten die Gegenwart der Weimarer Republik anhand von Körperkategorien: Sie glaubten Nervenleiden zu erkennen oder diagnostizierten den Befall durch "Parasiten" und "Schädlinge", die den Organismus zu "zersetzen" drohten und die es zu bekämpfen galt. Entsprechende Vorstellungen finden sich etwa in den Schriften von Eduard Hahn, Ernst Mann, Jakob von Uexküll oder Hermann Gustav Holle.

Nach der medizinisch-naturwissenschaftlichen nimmt Langewand die politische Publizistik in den Blick. Vertreter der "Konservativen Revolution" wie Rudolf Kjellén, Othmar Spann, Edgar Julius Jung und Ernst Niekisch verfolgten antirepublikanische Staatsvorstellungen und lehnten die Demokratie radikal ab. Dabei bedienten sie sich Körper-, Organ-, Krankheits- oder Vergiftungsmetaphern, die sich etwa in der jungkonservativen Zeitschrift "Die Tat" fanden, während traditionelle rechtskonservative Periodika solche Sprachbilder nur selten verwendeten. Seitens der republikanischen Presse seien entsprechende Termini kaum gebraucht worden - allenfalls zur Klage über die politische Verwirrung und "Verwundung" des deutschen Volkes sowie zur Abwehr von Angriffen der Republikfeinde (151). Bei den Nationalsozialisten standen Organizismus und Demokratiekritik in enger Verbindung, zudem griffen sie auf Krankheitsmetaphern "zur Beschreibung des angeblich schlechten sozialmedizinischen Zustands des deutschen Volkes" (169) zurück.

In seinem zweiten Großkapitel untersucht Langewand anhand einzelner Fallbeispiele den "wechselseitigen Zusammenhang von politischer Krise [...] und persönlicher Befindlichkeit" (175). Er möchte damit aufzeigen, wie "die 'materielle' Krankheitsdimension von den republikanischen Akteuren metaphorisch umgedeutet und als Symptom einer grundsätzlichen Verschlechterung der allgemeinen Zustände benutzt wurde" (176). Republikfeindlichen Kräften galten die Krankheiten der Weimarer Politiker als Beweis für deren Unfähigkeit und fehlende "Führer"-Qualitäten. "Bemerkenswert" (179) sei, so Langewand, dass viele republikanische Spitzenpolitiker Weimars früh verstarben. Auch viele Amtsinhaber wurden schwer krank und mussten lange Auszeiten nehmen. Im Einzelnen nimmt der Autor Gustav Stresemann, Friedrich Ebert, Otto Braun, Hermann Müller und Heinrich Brüning in den Blick.

Insbesondere das Leiden und Sterben Stresemanns wurde zeitgenössisch politisch und religiös als "Opferdienst" (182) gedeutet und verklärt. Auch über Eberts plötzlichen Tod nach einer verschleppten Blinddarm- und Bauchfellentzündung ist viel geschrieben worden. Weniger bekannt sind Brauns psychische Probleme und Müllers Gallenbeschwerden. Im Fall Brüning vermutet Langewand, dieser habe seine eigene asketische Lebensweise der Bevölkerung auferlegen wollen. Für Brünings Sturz macht er die unglückliche Verkettung von Abwesenheit des Reichskanzlers aufgrund von Zahnschmerzen sowie einer durch Furunkel und Fieber verursachten Indisponiertheit des Reichswehrministers Groener mitverantwortlich. Letzterer musste seinen Regierungschef bei der wichtigen Reichstagssitzung am 11. Mai 1932 vertreten und ging im Parlament mit einer konfusen Rede förmlich unter. Im Gegensatz zu den Spitzenpolitikern der republikanischen Parteien erfreute sich etwa Reichspräsident Paul von Hindenburg trotz seines fortgeschrittenen Alters noch bis 1934 guter Gesundheit.

Freilich trafen Krankheiten nicht nur deutsche Politiker. Auch in Großbritannien waren, wie Langewand in einem Exkurs hervorhebt, viele politische Hauptakteure von Gebrechen geplagt. In Bezug auf die Weimarer Republik nimmt der Autor drei Faktoren als gesundheitsbeeinträchtigend und krisenverschärfend an: ungünstige gesundheitliche Prädispositionen der Akteure, ihre schwierigen Handlungsbedingungen sowie die verdichtete Wirkung von Krankheiten auf einzelne Situationen. Langewand kommt zu dem Ergebnis: "Das Zusammenfallen von physischer bzw. psychischer Schwäche und kritischen politischen Umständen war mehr als nur ein ungünstiger Zufall, der den demokratischen Spitzenpolitikern widerfuhr, sondern geradezu ein Weimarer Syndrom." (275) Die "kranke Republik" "steckte ihre höchsten Repräsentanten geradezu an" (276), so der Autor.

In seinem Schlusskapitel betont Langewand, dass die Weimarer Republik nicht krank gewesen, sondern krank gemacht worden sei (277). Die Krankheitsmetaphern hätten "hauptsächlich den Gegnern der Republik ein rhetorisches Arsenal" geboten (278). Ihr Gebrauch habe denkbare Handlungsoptionen verengt und die konstatierten Therapien alternativlos erscheinen lassen.

In seiner Dissertation gelingt es Langewand, interessante Einblicke in die Verwendung von Krankheits- und Körpermetaphern in der Weimarer Republik zu liefern - insbesondere seitens völkischer und jungkonservativer Autoren. Die Verbreitung eines entsprechenden Denkens in der politischen Mitte wird in seiner Studie hingegen nur am Rande behandelt. Ob die wenigen Befunde in diesen Lagern tatsächlich der nur seltenen Verwendung oder nicht eher der Quellenauswahl des Autors geschuldet sind, bleibt offen. Letztlich zerfällt die Arbeit in zwei weitgehend voneinander getrennte Teile (was im Übrigen durch das entsprechend gegliederte Quellenverzeichnis unterstrichen wird). Die im zweiten Teil der Arbeit aufgeworfene Frage nach den Erkrankungen der beispielhaft ausgewählten republikanischen Spitzenpolitiker sowie deren Rezeption ist zwar interessant, jedoch erscheint die Einbettung in den Kontext der Gesamtuntersuchung problematisch, zumal gerade die ansonsten behandelte diskursive Ebene hier eine untergeordnete Rolle spielt. Letztlich suggeriert Langewand in diesem Teil seiner Arbeit, dass die Weimarer Republik (auch) an ihren kranken Politikern gescheitert, ja mehr noch: dass sie tatsächlich krank gewesen sei. Hier läuft der Autor Gefahr, der von ihm behandelten zeitgenössischen Sprache aufzusitzen und Krankheitsbilder als Analysekriterien zu übernehmen. Eine Fokussierung auf die Verwendung von Körper- und Krankheitsmetaphern unter stärkerer Berücksichtigung der republikanischen Milieus sowie ein Vergleich zu entsprechenden Diskursen im Kaiserreich wären aus Sicht des Rezensenten stringenter gewesen. Nichtsdestoweniger macht Langewand mit seiner Studie auf die (fatale) Wirkung von organischen und medizinischen Metaphern in der Weimarer Republik aufmerksam und liefert weitere wichtige Erkenntnisse zur politischen Sprache und Kultur der deutschen Zwischenkriegszeit.


Anmerkung:

[1] Vgl. etwa: Moritz Föllmer / Rüdiger Graf (Hgg.): Die "Krise" der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters, Frankfurt a. M. u.a. 2005.

Jörn Retterath