Rezension über:

Stefanie Monika Neidhardt: Autonomie im Gehorsam. Die dominikanische Observanz in Selbstzeugnissen geistlicher Frauen des Spätmittelalters (= Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter. Abhandlungen; Bd. 70), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2017, VIII + 478 S., ISBN 978-3-643-13583-4, EUR 54,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Martina Wehrli-Johns
Universität Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Martina Wehrli-Johns: Rezension von: Stefanie Monika Neidhardt: Autonomie im Gehorsam. Die dominikanische Observanz in Selbstzeugnissen geistlicher Frauen des Spätmittelalters, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 9 [15.09.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/09/30773.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Stefanie Monika Neidhardt: Autonomie im Gehorsam

Textgröße: A A A

Die Tübinger Dissertation beschäftigt sich mit der dominikanischen Observanz innerhalb der an Frauenklöstern reichen Provinz Teutonia unter einem bestimmten Blickwinkel: Sie untersucht die Selbstzeugnisse geistlicher Frauen wie sie sich in einigen Konventen in Form von Chroniken, Schwesternviten und Briefen erhalten haben. Diese Fragestellung ist insofern neu, als die Verfasserin diese Texte nicht allein als literarhistorisch bedeutsame Zeugnisse weiblicher Klosterkultur wertet, sondern als autonome Stellungnahmen des weiblichen Ordenszweiges zum vorwiegend männlich geprägten Reformprozess. Um die "Außensicht" der Männer der "Innensicht" der Frauen in den streng klausurierten Konventen gegenüberstellen zu können, widmet sich die Autorin ebenso ausführlich den Reformvorgaben des männlichen Ordenszweiges wie deren Anwendung und allfälliger Umwandlung durch die observanten Schwestern. Das Ganze wird in insgesamt sechs, vielfach unterteilten Kapiteln mit überzeugender Stringenz dargelegt, wobei die erneute Befragung des Materials unter anderen Gesichtspunkten den Band unnötig anschwellend lässt und die Geduld des Lesers auch manchmal auf die Probe stellt.

In der Einleitung (I) legt Neidhardt neben einem Forschungsüberblick auch ihre theoretischen Vorgaben frei, die sie sich als Teilnehmerin am Graduiertenkolleg "Religiöses Wissen im vormodernen Europa (800-1800)" angeeignet hat. Im II. Kapitel folgt ein erster Überblick über die Einführung der Observanz in den hier behandelten Klöstern St. Michael in der Insel in Bern, St. Johannes Baptista in Kirchheim und St. Katharina in St. Gallen. Vorgestellt werden ferner die in diesem Zusammenhang entstandenen Schriften und ihre Autoren und Autorinnen. Im Zentrum steht hier der Ordenshistoriograph Johannes Meyer († 1485), der 1454 die Reform des Berner Inselklosters zusammen mit der Priorin Anna von Sissach aus Basel durchgeführt und auch schriftstellerisch begleitet hat. Er erhielt 1474 vom württembergischen Landesherrn Eberhard im Bart den Auftrag zur Reform von Kirchheim, während das Kloster St. Katharinen aus St. Gallen den Entschluss zur Einführung der Reform selber gefasst hatte und nie die angestrebte Inkorporation in den Orden erlangen sollte. Meyers Klosterchronik von St. Michael (1454) und seine 1468 in Schönensteinbach entstandene Reformationschronik wurden zum Muster für die Durchführung der Reform innerhalb der Teutonia. Er war es auch, der die Schwestern in Kirchheim anfänglich zur Niederschrift ihrer eigenen Erfahrungen beim Reformprozess in ihrem Kloster ermunterte. Wie Neidhardt überzeugend darlegt, beeinflusste sein Wirken das gesamte Reformwerk des weiblichen Ordenszweiges innerhalb der Teutonia. Nach seinem Tod gerieten die Dinge aber etwas in Bewegung, das Schreiben der Schwestern entwickelte eine Eigendynamik wie Neidhardt am Beispiel von Kirchheim zeigen kann, wo der Konvent in einen schweren Konflikt mit der Landesherrschaft geriet. Grundsätzlich andere Bedingungen galten auch für das um Anerkennung ringende Kloster von St. Gallen, das sich in einem hochinteressanten Briefwechsel mit den Schwestern des Klosters St. Katharinen in Nürnberg um geistlichen Rat bemühte.

In den folgenden Kapiteln III bis IV werden dann einige Aspekte der bisher angesprochenen Probleme weiter vertieft. Besonders erwähnenswert ist in Kapitel III die genaue Analyse von Meyers Reformanordnung und deren schriftlicher Fixierung und Durchsetzung im Einzelfall. Dazu gehören der Einsatz von bestimmten Bildvorstellungen, das in Meyers "Amtbuch" niedergelegte System der Klosterämter, die Einübung des Chorgebets und der Tischlektüre sowie das auf diese Ziele hinweisende Bildungskonzept für die Frauen, einschließlich der neuen Bedeutung des Noviziats und der Bibliotheken. Der Transfer dieses Wissens an die Schwestern und deren Sicht auf diese Normen bilden einen weiteren Schwerpunkt. Die klösterlichen Netzwerke spielten dabei eine große Rolle und bewirkten, dass mit St. Katharinen in St. Gallen auch ein außerhalb des Ordens liegender Konvent nach diesen Normen reformiert werden konnte.

Im IV. Kapitel wird auf den, ebenfalls von Meyer beschriebenen neuen Typus der Beichtväter hingewiesen, der im Kloster selber wohnte, den Konvent nach außen repräsentierte und das vermittelnde Glied zum Orden darstellte. Für die Interpretation der Klosterschriften aufschlussreich ist die von Neidhardt hervorgehobene Bibelexegese als Deutungsinstrument der eigenen Geschichte. Hinsichtlich der Beziehungen der Konvente zur Außenwelt ist erwähnenswert die zunehmende Bedeutung der Landesherrschaft, die im Unterschied zu früheren Zeiten wieder auf ihre Rechte als Kastvögte zurückgriff und ein Kloster wie Kirchberg bei einem Machtwechsel der Gefahr von Übergriffen aussetzte.

Ein besonderer Abschnitt ist in Kapitel V dem bereits erwähnten Briefverkehr zwischen Nürnberg und St. Gallen gewidmet. Im VI. Kapitel kommen dann die Modifikationen "mystischer Wissensbestände" in den Schriften der Schwestern zur Sprache. Gemeint ist das neue Verhältnis zur Mystik, das bereits in den Überarbeitungen der Schwesternviten von Meyer erkennbar wird und anstelle individueller mystischer Erfahrungen, das geordnete Gnadenleben in Gemeinschaft setzte. Höchste Tugend war der Gehorsam, was von den Schwestern selber verinnerlicht wurde, aber zumindest in der letzten Phase der Reform eine gewisse Autonomie nicht ausschloss.

Das genaue Bild der Observanz, das die Autorin hier facettenreich entfaltet, darf als sehr gelungener Beitrag zur Erforschung des weiblichen Klosterwesens in der Teutonia gelten. Künftiger Forschung wird es vorbehalten sein, die Ergebnisse dieser Studie vergleichend in den größeren Rahmen der vorreformatorischen Observanz in Europa zu stellen.

Martina Wehrli-Johns