Rezension über:

Randal Carter Working: The Visual Theology of the Huguenots. Towards an Architectural Iconology of Early Modern French Protestantism, 1535 to 1623, Pickwick Publications 2016, VIII + 205 S., 22 s/w-Abb., ISBN 978-1-4982-2849-7, USD 26,00
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Rezension von:
Andreas Bräm
Kunstgeschichtliches Institut, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Bräm: Rezension von: Randal Carter Working: The Visual Theology of the Huguenots. Towards an Architectural Iconology of Early Modern French Protestantism, 1535 to 1623, Pickwick Publications 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 9 [15.09.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/09/30974.html


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Randal Carter Working: The Visual Theology of the Huguenots

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Der Autor beabsichtigt, den Ursprung protestantischer Architekturästhetik vor dem Hintergrund des spätmittelalterlichen Kirchenbaus in Frankreich und französischsprachigen Gebieten der Schweiz zu untersuchen. Dieser Anspruch wird nur an einigen Stellen eingelöst, weil sich der Autor einseitig an Texte hält, sein Ansatz zu breit ist, und er die Bauten und ihre Geschichte zu wenig berücksichtigt. An den drei Fallbeispielen Saint-Pierre in Genf, Saint-Gervais-Saint-Protais in Paris und dem zweiten Kirchenbau in Charenton bei Paris will er protestantischer Architekturikonologie nachgehen. Working leistet aber keine eigenen architekturhistorischen Forschungen und eine profunde Verarbeitung der Forschungsliteratur findet nicht statt. Wichtige Bücher und Aufsätze wie Georg Germanns, Der protestantische Kirchenbau in der Schweiz. Von der Reformation bis zur Romantik, Zürich 1963, kennt er nicht, ebenso dessen "Les temples protestants dans les traités d'architecture du XVIIe siècle", in: Bulletin de la Société de l'Histoire du Protestantisme en France 152 (2006), 345-362.

In der Einleitung skizziert Working die basilikale Tradition christlicher Architektur, auch mit einer Reihe gotischer Wandaufrisse in ungenügender Abbildungsqualität (7), was für die meisten seiner 22 Abbildungen gilt. Architekturtheoretiker wie Joseph Furttenbach werden teilweise nicht aus den Quellenwerken sondern aus der Sekundärliteratur zitiert (41). Das Zitat aus Heinrich Bullingers Zweitem Helvetischem Bekenntnis Kap. XXII wird korrekt aus der englischen Übersetzung zitiert, doch nur die erste Hälfte. Die Bilddokumente verlorener Hugenottenkirchen in Charenton, Lyon, La Rochelle usw. werden zwar aufgezählt aber nur im ersten Fall erörtert. Dieser erste Teil endet mit der Feststellung, dass Protestanten die Kirche nur als Hülle für ihren Gottesdienst sehen würden. Diese Sicht der Bauten als "incidental realities" müsste bei der Analyse des Gebauten berücksichtigt werden.

Das Folgekapitel "A Catholic Conception of Space" mit der Unterscheidung von basilikalen und zentralen Kirchengrundrissen am Beispiel des Florentiner Doms und dem Baptisterium sowie allgemeinen Bemerkungen zur memorialen und didaktischen Rolle mittelalterlicher Kirchenbauten soll als Folie für "A Reformed Conception of Space" dienen. Die angeführten, für die zwinglianische Reformation umgebauten oder neu errichteten Kirchen in Avenches (romanische Bauteile, um 1500 und ab 1709 umgebaut), Moudon, sowie die Heiliggeistkirche in Bern ab 1726 und die Elisabethenkirche Basel ab 1857 werden nur genannt; eine hinreichende Auseinandersetzung mit den Bauten wäre angezeigt. Besser ist der Abschnitt "Calvin's Perspective" (71-84). Der Autor diskutiert die aus Calvins Haggai-Kommentar und der Institutio stammenden Textpassagen - leider nur in englischer Übersetzung - die sich auf den Tempel in Jerusalem und das Kirchengebäude beziehen.

Im zweiten Teil widmet sich Working den Architekturtheoretikern, einführend Vitruv, anschließend Serlios Aneignung. Der anschließende Abriss zur Vitruv-Rezeption durch die protestantischen Architekten Frankreichs, so Philibert de l'Orme, Bernard Palissy, Jacques I Androuet du Cerceau, Salomon de Brosse und Jacques Perret ist zu kursorisch um neue Einsichten zu vermitteln. Der Autor mischt Biografisches mit einigen Textzitaten der Autoren. Es resultiert lediglich ein kulturhistorischer Überblick.

Das Kapitel "The Shaping of Reformed Worship Space" (155-184) mit den drei Fallstudien, Saint-Pierre in Genf, der Fassade der Pariser Kirche Saint-Gervais-Saint-Protais und der zweiten Kirche in Charenton kommt weitgehend ohne Forschungsliteratur aus. Die ab 1160 erbaute mittelalterliche Genfer Kathedrale wurde umgenutzt wie viele mittelalterliche Kirchen; Übermalungen und die Neuausrichtung der Kirchenbänke zur Kanzel hin sind weithin geläufige Arbeiten bei Umwidmungen solcher Art. Die gegen 1500 begonnene katholische Kirche Saint-Gervais-Saint-Protais erhielt um 1620 eine Fassade von Salomon de Brosse. Die Beschreibung, die formale Analyse und der Vergleich mit der Kirche St. Paul-St. Louis von 1627 sind kurz und korrekt, doch die Aussage die Architektur spiegele "Reformed theology of creation, covenant, Fall, and redemption" ist abenteuerlich. Neben Calvins Ästhetik müssten die geschichtlichen Umstände des Baus stärker in den Blick genommen werden. Besser ist der Abschnitt zum zweiten Tempel von Charenton, den Salomon de Brosse und Jean Tiriot 1623 als Ersatz für den 1621 durch Feuer zerstörten ersten Tempel errichteten (174-184). Dies gilt nicht für die vorangestellte, längere Textpassage aus der "Prophetie des petits enfants", eines kämpferisch-antirömischen bilderstürmerischen Anonymus von 1562, ist doch das Fehlen von Bildwerken in diesem Bauwerk eine Binsenwahrheit. Auch hier ist der Autor in architekturhistorischen Belangen zu wenig präzise. Zweimal erwähnt er die Abhängigkeit des Kirchenbaus von den Proportionen des Tempels von Jerusalem und gibt die Grundmaße der Kirche unvollständig mit 110 × 65 Fuss an. Bei dem Salomononischen Tempel entspricht die Länge bekanntlich der doppelten Höhe und der dreifachen Breite.

Der Adressat des Buches ist unklar; für den Unterricht an amerikanischen Universitäten mag die hinreichende Zusammenstellung von Texten und die Auflistung einiger Bauten nützlich sein; für ein an Architektur- und Kulturgeschichte interessiertes Fachpublikum ist es methodisch zu wenig reflektiert.

Andreas Bräm