Rezension über:

Kerstin Schlögl-Flierl: Moraltheologie für den Alltag. Eine moralhistorische Untersuchung der Bußbücher des Antonius von Florenz OP (1389-1459) (= Studien der Moraltheologie. Neue Folge; Bd. 6), Münster: Aschendorff 2017, 430 S., ISBN 978-3-402-11930-3, EUR 59,00
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Rezension von:
Kerstin Hitzbleck
Ahrensburg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Kerstin Hitzbleck: Rezension von: Kerstin Schlögl-Flierl: Moraltheologie für den Alltag. Eine moralhistorische Untersuchung der Bußbücher des Antonius von Florenz OP (1389-1459), Münster: Aschendorff 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 11 [15.11.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/11/30878.html


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Kerstin Schlögl-Flierl: Moraltheologie für den Alltag

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Was für ein Inhaltsverzeichnis. Sieben Seiten nimmt es ein, für vergleichsweise schmale 372 Textseiten. Aus vier Teilen (I-IV) besteht dieses Werk, jeder Teil verfügt über bis zu 8 Unterpunkte, die jeweils wiederum bis zu drei argumentative Untergeschosse aufweisen. Das längste Unterkapitel kommt auf acht Seiten (Punkt I 2.1.4, 51-59), während Seite 169 die meisten Unterkapitel fasst (II 5.5.2-5.5.4). Dies lässt staunen.

Die Moraltheologin Kerstin Schlögl-Flierl hat sich in ihrer Habilitationsschrift mit dem Dominikaner und Erzbischof Antoninus von Florenz eine einflussreiche Persönlichkeit des 15. Jahrhunderts zum Gegenstand genommen, die sich wegen ihrer Verbindungen zur Kurie Eugens IV., als Erzbischof der Medici-Stadt, als Verfasser von Schriften zur Bußtheorie und -praxis, von Predigten, Briefen und sogar einer historiographischen Arbeit für verschiedenste historische, theologie-, mentalitäts- und frömmigheitsgeschichtliche Fragestellungen anbietet. Umso mehr muss man sich freuen, dass Schlögl-Flierl einen interdisziplinären Ansatz wählt, der neben der moraltheologischen auch die historische Perspektive einschließt. So widmet sie den ersten Teil der Biographie und dem Werk des Antoninus und versucht eine Verortung dieses Autors zwischen Spätmittelalter und Humanismus, bevor sie sich im zweiten Teil seiner "praktischen Bußliteratur" in Form einer "philologische[n] Analyse" (78) der umfangreich rezipierten und überlieferten Confessionali zuwendet. In Teil III unternimmt Schlögl-Flierl dann eine Untersuchung der "Bußtheologie des Antoninus von Florenz unter quellenanalytischer und inhaltlicher Hinsicht" (196), um dann im vierten Teil die "Wirkungsgeschichte und Rezeption der Theologie" (279) ihres Helden zu untersuchen. Das Erkenntnisinteresse der Autorin liegt dabei besonders in einer - überfälligen - Neubewertung des Antoninus von Florenz als Autor, dessen Würdigung in der Forschung meist vom Bild des fleissigen, aber letztlich spätmittelalterlich-epigonalen Kompilators der mittelalterlichen Tradition geprägt ist. Demgegenüber will Schlögl-Flierl das Außergewöhnliche (29) und die Eigenständigkeit (30) seiner Arbeiten herausstellen und eine Charakterisierung seiner Bußtheologie versuchen (30). Besonderes Interesse gilt zudem der Frage nach dem Verhältnis von Recht und Moral in der Bußtheologie des Antoninus, den sie am Anfang der Geschichte der Moraltheologie als Fach verortet. (31)

Der genuin historisch orientierte Teil über die Biographie des Antoninus von Florenz ist komplett aus der fast durchweg älteren Literatur kompiliert und kann deshalb dem Bild des Erzbischofs keine neuen Facetten hinzufügen. Eine eigenständige Recherche auch nur in den edierten Quellen der Zeit wurde nicht vorgenommen, sonst hätte Schlögl-Flierl sicherlich diskutiert, dass Antoninus laut Aeneas Silvio Piccolomini im Jahr 1447 bei der Wahl Nikolaus V. einige Wählerstimmen auf sich vereinen konnte. Eher hilflos und von mangelndem Verständnis der aktuellen Fragestellungen der Renaissance- und Humanismusforschung geprägt wirken die Versuche der Autorin, Antoninus auf Basis seiner Werke zu Bußtheorie und -praxis als Mann des Spätmittelalters oder der Renaissance zu positionieren.

Teil II der Arbeit untersucht die wichtigen und einflussreichen Bußschriften des Antoninus von Florenz, wobei der Rezensentin schleierhaft bleibt, worin die "philologische Analyse" (78) bestanden haben kann, wenn die Autorin sich darauf beschränkt, mit besonderem Schwerpunkt auf den Ausführungen des Antoninus zu den Todsünden inhaltliche Vergleiche zwischen den drei Bußbüchern und der Summa theologica anzustellen.

Teil III ist stärker der Summa theologica gewidmet und fragt nach den von Antoninus genutzten Autoritäten. Methodisch kritisch ist dabei die Entscheidung zu sehen, die Beziehung vor allem zu Autoren zu untersuchen, welche Antoninus explizit als seine Gewährsleute erwähnt, wobei eine eigentliche, textvergleichende Auseinandersetzung mit den Vorgängerwerken nicht stattfindet. Schlögl-Fliers Versuche, Antoninus vom Vorwurf zu reinigen, ein reiner "Thomas-Adept" (191) zu sein, wirken dabei auf merkwürdige und entschieden unoriginelle Weise an älteren Forschungspositionen orientiert, welche dem Spätmittelalter im Allgemeinen und Antoninus im besonderen gerne Epigonalität und geistigen Stillstand vorwarfen.

Teil IV, nun auf die Rezeption des Antoninus bis zu Alphons von Liguori orientiert, bietet ebenfalls keine vergleichende Textarbeit und kann auch die Auswahl der Autoren nicht hermeneutisch sinnvoll begründen.

Diese Punkte würden die Arbeit zu einem in Einzelheiten auch für Fachhistoriker interessanten Werk machen, das durch die abundante Menge an Zitaten aus den Werken des Antoninus einen Einblick in das Schaffen dieses zentralen spätmittelalterlichen Autors vermittelt. Wirklich ärgerlich wird das Werk von Schlögl-Flierl jedoch auf einer anderen Ebene. Große Teile ihre Werkes übernimmt die Autorin aus der Sekundärliteratur, wobei sie sich nicht auf eine paraphrasierende Zusammenfassung beschränkt, sondern ausführlich, meist über viele Zeilen hinweg zitiert, ohne dass eine kritische oder auch nur inhaltliche Auseinandersetzung mit den zitierten Werken stattfinden würde. Ihr Umgang mit ihren Autoritäten ist grundsätzlich additiv und führt deshalb nur selten zu einem hermeneutisch nachvollziehbaren Argumentationsstrang. Auch die Zitate aus den Werken des Antoninus von Florenz werden meist nur in extenso im Anmerkungsapparat reproduziert, ohne dass irgendeine Arbeit mit dem Text zu erkennen wäre. Bisweilen muss man sich zudem fragen, ob die Autorin ihre Referenzstellen vor der Drucklegung tatsächlich gelesen hat, etwa wenn sie den angeblichen Umgang Antoninus' mit seinen Autoritäten vorstellen will, stattdessen aber eine geradezu schulmäßige Einführung des gebildeten Autors in den Aufbau und die wichtigsten Kommentatoren des kanonischen Rechts zitiert (116f. mit FN 182). An anderer Stelle (285, mit FN 38), als es um die Unfehlbarkeit des Papstes geht, steht bei Antoninus bedauerlicherweise das Gegenteil dessen, was Schlögl-Flierl bei ihm gefunden haben will.

Doch damit nicht genug. Durch die ganze Arbeit hindurch fällt der so inhomogene wie inkonsistente, wirklich kaum ein sprachliches Register ungenutzt lassende Stil der Autorin auf. Der Grund macht sprachlos. Schlögl-Flierl hat die Sekundärliteratur nicht nur für ihre Argumentation genutzt, sie hat sie bisweilen fast wortgleich übernommen. Ein Beispiel: So ist sie bei ihren Bemühungen, Antoninus dem Spätmittelalter oder der Renaissance zuzuordnen, auch auf das elegant geschriebene Werk von Harald Müller "Habit und Habitus" [1] gestoßen. Entsprechend findet sich auf Seite 312 ein sehr ansprechend formulierter Absatz, in welchem ein eingeschobenes Originalzitat den Umstand verschleiert, dass auch der Rest bis auf wenige kosmetische Änderungen vollständig und fast wortwörtlich aus der Einleitung des Buchs von Harald Müller stammt. Wenn Müller schreibt "Die Spannung resultiert aus den mitunter strikt gegensätzlichen Bildern, welche die Begriffe Humanismus und Kloster bei den Zeitgenossen wie bei den modernen Betrachtern evozieren" (1f.), schreibt Schlögl-Flierl "Die Spannung rührt her von den teilweise strikt gegensätzlichen Bildern, welche die Begriffe Humanismus und Kloster sowohl bei den Zeitgenossen wie auch bei den modernen Betrachtern evozieren können" (312). Interessanterweise zitiert die zugehörige Fußnote 241 ein anderes, englischsprachiges Werk, das immerhin lose die Aussage von Harald Müller bestätigt.

Was das "Endziel" (5) dieser verstörenden Arbeit gewesen sein soll, bleibt der Rezensentin einstweilen unklar. Eine hermeneutisch fruchtbare, methodisch und inhaltlich eigenständige, die wissenschaftlichen Normen wie die akademischen Leser respektierende Auseinandersetzung mit Antoninus von Florenz kann es jedenfalls nicht gewesen sein. Und man kann sich nur wundern, wie es zur Publikation dieses Werkes im renommierten Aschendorff Verlag kommen konnte.

Das Werk wird durch ein Namens- und Orts- sowie ein Sachregister erschlossen.


Anmerkung:

[1] Harald Müller: Habit und Habitus. Mönche und Humanisten im Dialog (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe; 32), Tübingen 2006.

Kerstin Hitzbleck