Rezension über:

Anabelle Thurn: Rufmord in der späten römischen Republik. Charakterbezogene Diffamierungsstrategien in Ciceros Reden und Briefen (= Philologus. Zeitschrift für antike Literatur und ihre Rezeption / A Journal for Ancient Literature and its Reception: Supplemente / Supplementary Volumes; Bd. 11), Berlin: de Gruyter 2018, X + 321 S., ISBN 978-3-11-059848-3, EUR 99,95
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Rezension von:
Fabian Knopf
Institut für Geschichtswissenschaft, Technische Universität Braunschweig
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Fabian Knopf: Rezension von: Anabelle Thurn: Rufmord in der späten römischen Republik. Charakterbezogene Diffamierungsstrategien in Ciceros Reden und Briefen, Berlin: de Gruyter 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 2 [15.02.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/02/32359.html


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Anabelle Thurn: Rufmord in der späten römischen Republik

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Die bundesrepublikanische Debattenkultur hat sich in den Jahren seit 2015 merklich gewandelt. Nicht immer zum Vorteil verschob sich der Bereich des Sagbaren erheblich, was nicht zuletzt durch die sozialen Medien begünstigt wurde. Seither werden öffentliche Debatten invektivischer geführt, stehen sich konträre Meinungen unversöhnlicher gegenüber. Es nimmt kaum Wunder, dass Invektive respektive ehrverletzende Schmähungen verstärkt in den wissenschaftlichen Fokus gerückt sind. Ein lebendiges Beispiel dessen bildet der Dresdner SFB 1285 zur Invektivität, dessen althistorisches Teilprojekt "das Invektivgeschehen im politisch-öffentlichen Raum unter der Fragestellung [untersucht], wieviel an Kränkung in dem rauen Kommunikationsklima Roms ausgehalten werden musste und in welchen Situationen dann doch der 'point of no return' erreicht wurde". [1] Annabelle Thurns Buch zum Rufmord in der späten Republik fügt sich somit bestens in die Tagesaktualität und neueren Forschungsinteressen ein.

Thurns Fokus liegt auf dem komplizierten Geflecht zwischen Cicero, Ciceros literarischen Hinterlassenschaften und seinen politischen Gegnern L. Catilina, L. Piso, P. Clodius und M. Antonius. Folgerichtig orientiert sich die Quellenauswahl an diesem Personenkreis, womit die Reden (In Catilinam, Post reditum in senatu, Pro Sestio, De provinciis consularibus, In Pisonem, Pro Milone, Philippicae) im Zentrum stehen und welche durch Ciceros Briefcorpus ergänzt werden. Als Zielstellung formuliert Thurn, die "von Cicero stammende[n] charakterbezogene[n] Aussagen der genannten historischen Personen einer kontextualisierenden Betrachtung zu unterziehen, um der Verlockung, diese als Charaktereigenschaften zu interpretieren, den Nährboden zu entziehen." (5) Thurn versteht ihre Arbeit als Kritik an Forschungsbeiträgen, die Ciceros Aussagen allzu arglos zur Rekonstruktion von historischen Biografien heranziehen. Es sei vorweggenommen, dass sie ihre Zielvorgabe souverän erfüllt.

Die Autorin beginnt mit einem Grundlagenkapitel, in welchem sie methodische Vorbemerkungen zu den Quellen, zum Forschungsstand, zur Argumentation mittels Topoi sowie zu Ciceros Reden und Briefen vorausschickt. Auf Seite 28 erwähnt Thurn verhältnismäßig spät erstmalig den titelgebenden Begriff Rufmord, den sie als Ziel von Diffamierungen klassifiziert. Eine besondere Würdigung verdient das Unterstreichen des antiken Verhältnisses von Fiktionalität und Faktizität im ersten Unterkapitel. Thurn macht nochmals deutlich, dass Faktizität eine untergeordnete Rolle spielte und antike Redner wie Zuhörer eher auf Referentialität geeicht waren. Anders ausgedrückt wurde Aussagen und Urteilen Glauben geschenkt, solange sie sich plausibel in die damalige Lebenswelt einfügten. So wird nicht einmal Cicero alles für wahr gehalten haben, was er über seine politischen Kontrahenten aussagte.

Kapitel zwei widmet sich Ciceros persönlichen sozialen Hintergrund sowie seiner politischen Agenda. Kapitel drei beleuchtet sinnvollerweise die Cicero vorangehende Diffamierungstradition innerhalb der griechisch-römischen Literatur. Schon im zweiten Jahrhundert v.Chr. verarbeiteten römische Komödiendichter und Redner Invektive. Zu denken wäre hier auch an das von Thurn nicht angeführte Zitat Quintilians zur Satire, dass diese durch die Römer zur Vollendung gebracht wurde und Lucilius der erste sei, der sich auf diesem Gebiet besonders verdient gemacht hätte. [2] Thurn macht aber deutlich, dass spätestens mit Horaz eine genuin römische Tradition der Diffamierung existierte. Eine intensivere Auseinandersetzung mit der Satire hätte wohl schon eine Verlegung dieses Urteils in vorciceronische Zeit möglich gemacht.

In den Kapiteln vier und fünf wendet sich die Autorin dann dezidiert denn charakterlichen Diffamierungen zu. Stets dem gleichen Aufbau verpflichtet, wird dem jeweiligen Invektiv zuerst in den Reden, sodann in den Briefen, politischem Gegner für politischen Gegner nachgegangen. In Kapitel vier wird sich dem turpitudo-Vorwurf zugewandt, Kapitel fünf widmet sich dann den Herabwürdigungsstrategien mittels der Unterstellung von vorgeblich sexuellem Fehlverhalten, von unangemessenem Weinkonsum respektive Völlerei, von römisch unwürdigen äußerlichen Erscheinungsbildern und der Assoziation mit physischer oder rechtlicher Gewalt. Beide Kapitel bilden einen systematischen und instruktiven Überblick über die Topoi der Invektive. Obzwar Thurn mit ihrer Zusammenstellung keine Vollständigkeit beansprucht, bietet ihre fundierte Analyse einen ersten Anhaltspunkt zur Unterscheidung von topischen Schmähungen und realitätsnäheren Vorwürfen.

In Kapitel sechs führt Thurn stichhaltig den Nachweis, dass Ciceros Schmähungen des sozialen Umfelds eines Politikers dazu dienten, jenen selbst weiter zu diskreditieren. In Kapitel sieben versucht Thurn mit dem Verweis auf die auctoritas und dignitas des Einzelnen oder seiner gens eine Erklärung, weshalb einzelne Invektive bei einem Clodius, Piso oder Antonius unterschiedlich gehäuft auftreten. Bevor Thurn mit der Schlussbetrachtung schließt, gibt sie in Kapitel acht noch einen Ausblick auf die Langlebigkeit der von Cicero produzierten Schmähungen. Besonders das Antonius-Bild sei bis in die Moderne hinein von Ciceros Beleidigungen geprägt. Bereits Octavian habe sich reichlich bei Cicero bedient, was sicherlich nicht abwegig wohl aber schwer nachzuweisen ist. Der Fall des Antonius sollte generell stärker von einem Clodius oder Catilina abgehoben werden, ist sein trauriger Nachruhm doch eher mit seiner Rolle im Bürgerkrieg gegen Octavian zu begründen.

Thurn behandelt und erwähnt in all ihren Analysen den Begriff "Rufmord" indes nur selten (28, 31, 58, 84, 261, 269, 279), was sicher mit ihrer synonymen Verwendungsweise von Diffamierung und Rufmord zusammenhängt. Man hätte sich eine dezidiertere Beschäftigung mit oder gar die Entwicklung des Konzepts Rufmord gewünscht, zumal wenn der Terminus so prominent im Titel erscheint. Möglicherweise wäre der am Ende aufgeworfene Begriff der 'Rufschädigung' (269) geeigneter zur Analyse gewesen. In diesem Zusammenhang bleiben auch die verwendeten Begriffe der Nachhaltigkeit bzw. Dauerhaftigkeit (z.B. 28, 35, 203, 267) problematisch, bei denen meistenteils unklar ist, auf welchem Feld und für wie lange Invektive tatsächlich Schaden verursachten (politisch? sozial? für die Ewigkeit?). Wenn es eine Tradition der Diffamierung in Rom gab, so wäre es naheliegend, dass jeder Politiker zum Ziel von Schmähungen werden konnte und diese, wie das althistorische Teilprojekt des SFB 1285 postuliert, ausgehalten werden mussten. Die Frage, ob es ein zu viel - also den point of no return - in der römischen Diffamierungskultur gab, bleibt von Thurn unadressiert. Schlussendlich scheint es, dass in der römischen Debattenkultur einfach ein rauerer Umgangston herrschte und Diffamierungen nur situativ rufbeschädigend waren, aber keinen politisch-sozialen oder gar physischen Tod nach sich zogen. Die Karrieren oder das Leben eines Catilina, Clodius oder Piso endeten zumindest nicht durch Ciceros Feuerwerk der Beleidigungen. Ein weiterer Kritikpunkt ist Thurns Literaturauswahl, die zu viele Lexikonartikel aufweist und zugleich zahlreiche Publikationen des letzten Jahrzehnts ausspart.

Wie dem auch sei, Thurns Buch ist eine spannende Studie zum Phänomen der Invektivität in der ausgehenden Republik, dessen Lektüre für alle diejenigen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, verpflichtend sein dürfte. Doch ist das Buch auch allen anderen zu empfehlen, deren Analysen auf den Texten Ciceros fußen, womit quasi alle Forscherinnen und Forscher zur späten Republik angesprochen wären.


Anmerkungen:

[1] https://tu-dresden.de/gsw/sfb1285/teilprojekte/teilprojekt-a/teilprojekt-a-1 (zuletzt aufgerufen am 02.01.2019, 14:52 Uhr).

[2] Quintl. inst, 10, 1, 93.

Fabian Knopf