Rezension über:

Heike Wolter: Forschend-entdeckendes Lernen im Geschichtsunterricht (= Methoden Historischen Lernens), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2018, 229 S., 27 s/w-Abb., ISBN 978-3-7344-0674-4, EUR 14,90
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Rezension von:
Karl Heinrich Pohl
Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Karl Heinrich Pohl: Rezension von: Heike Wolter: Forschend-entdeckendes Lernen im Geschichtsunterricht, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 3 [15.03.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/03/32373.html


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Heike Wolter: Forschend-entdeckendes Lernen im Geschichtsunterricht

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Heike Wolters Studie über "Forschend-entdeckendes Lernen im Geschichtsunterricht" ist in der Schriftenreihe "Methoden historischen Lernens" bestens platziert. Die Autorin sieht sich sowohl der Theorie als auch der (Schul)Praxis verpflichtet, mit einer Lehr- und Lernform, die aus dem gegenwärtigen Geschichtsunterricht, nicht nur an der Schule, nicht mehr wegzudenken sein sollte. Die Lehr- und Lernform besitzt aber, so die Meinung der Verfasserin, (leider) noch immer nicht den Stellenwert, der ihr zukommen müsste.

Wolter stellt "Forschend-entdeckendes Lernen" als ein Verfahren dar, das die Lernenden zum selbständigen Denken anregen, die kritische Dekonstruktion historischer Narrative fördern und die Lernenden zugleich zur selbständigen Konstruktion ermuntern soll. Sie sollen Probleme erkennen und versuchen, sie mit Hilfe von Fakten und rationaler Argumentation zu lösen. Das trifft den Kern historischen Lernens in der Schule, nämlich Geschichte vor allem als ein Denk- und keineswegs als ein Lernfach zu verstehen.

Die Verfasserin gliedert ihre Darstellung in acht Kapitel. Dabei untersucht sie sowohl theoretische als auch praktische Aspekte. Zum einen berücksichtigt sie in den theoretisch angelegten Kapiteln (zwei bis fünf) die Perspektive der Geschichtswissenschaft, der Pädagogik, der Psychologie und der Geschichtsdidaktik. Sie analysiert Lernprozesse im Allgemeinen und im Speziellen und definiert die Begrifflichkeiten, was nicht leicht ist. Das zeigt etwa die schwierige Differenzierung zwischen forschendem, forschend-entdeckendem und entdeckendem Lernen (21-25). Dabei arbeitet sie die Potentiale dieser Lernform heraus und betont ihre Anschlussfähigkeit an andere historische Zugriffe. Vor allem aber weist die Verfasserin darauf hin, dass forschend-entdeckendes Lernen gerade auch außerhalb des Schulgebäudes seine besonderen Potentiale entfalten kann.

Bemerkenswert ist es, wie es der Verfasserin gelingt, in aller Kürze, aber doch höchst prägnant und wissenschaftsnah, in das komplexe Arbeitsfeld des forschend-entdeckenden Lernens einzuführen. Der Leser wird hier schnell und kompakt, aber sachlich immer fundiert informiert, in die jeweiligen Problematiken eingeführt - und das immer auf dem Stand der gegenwärtigen Forschung. Wer weitergehende Interessen hat, wird durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis unterstützt.

Der Sprachduktus ist erfreulich verständlich und zugleich ermunternd. Er erleichtert das Lesen ohne dass sich die Autorin damit auf ein oberflächliches, populäres Niveau begeben würde. Der Stil ist immer höchst empfängerorientiert. Wolter kann sich auf jeder Seite des Buches in Lehrende hineinversetzen, die in aller Kürze Wesentliches aufnehmen wollen und daher nur allzu gern bereit sind, auf 'Wissenschaftschinesisch' zu verzichten - wenn denn die Aussagen fachlich zutreffend sind.

In den speziell auf die Praxis hin komponierten Kapiteln sechs bis acht, gibt die Verfasserin eine Fülle von zum Teil sehr detaillierten praktischen Anleitungen. Inhaltlicher Höhepunkt sind die Beispiele für die Praxis des Unterrichts in der Schule, auf die ein großer Teil der Leserschaft besonders gespannt sein dürfte. Und in der Tat: Hier schreibt eine Wissenschaftlerin und zugleich eine ausgewiesene Praktikerin, die viele innovative, meist selber getestete Beispiele präsentieren kann und die theoretische Überlegungen mit schulischer Praxis auf das Gelungenste verbindet.

Die Verfasserin schwärmt für ihr Thema. Das merkt der Leser bei der Lektüre. Einerseits wirkt das erfrischend, denn es versieht die Ausführungen mit einem gewissen Schwung. Diese Nähe mahnt aber zugleich zur Vorsicht, ob nicht manches zu positiv gezeichnet wird. Zudem bleibt zu fragen, ob die grundsätzlichen Probleme, die dieser Lehr- und Lernform inhärent sind, nicht entweder ein wenig unterschätzt oder vielleicht nicht immer in ihrer ganzen Bedeutung wahrgenommen werden. Denn forschend-entdeckendes Lernen kann vor allem besonders in der Projektarbeit verwirklicht werden. Sie ist - so schreibt es auch die Autorin - "die komplexeste Form des forschend-entdeckenden Organisationsprinzips im Geschichtsunterricht" (57). Damit ist sie aber in der Regel (leider) nur in Ausnahmefällen praktisch zu verwirklichen. Das bleibt eine Schwierigkeit.

Ein weiteres Problem bei der Durchführung der offenen Lehr- und Lernform ist, dass mit ihr immer auch die Möglichkeit eines Scheiterns verbunden ist. Lernen mit offenem Ausgang bedeutet, dass das Ergebnis nicht vorhersehbar ist. Das ist in der Wissenschaft so und sollte, wenngleich auf einem anderen Niveau, auch in der Praxis der Schule so sein. Dies aber wird zu einem großen Problem, angesichts von Lehrplänen, die fast immer einen messbaren (positiven) Output verlangen, von geforderten 'Frageformaten', die eingehalten werden sollen, zugleich aber die gewünschte Kreativität begrenzen und von verlangten und nachzuweisenden konkreten Kompetenzzuwächsen.

Die Schwierigkeit in der Praxis besteht insofern auch darin, dass forschend-entdeckendes Lernen in seiner reinen Form (viel) Zeit benötigt, Zeit, die in der Schulpraxis eher selten vorhanden ist. Das führt bei den angebotenen Praxisbeispielen (etwa Neolithische Revolution, 148-151, oder "Junge Arbeiterinnen in der Industrialisierung", 161-167) manchmal dazu, dass die an sich erwünschten Grundelemente des Verfahrens im 'normalen' Schulunterricht nur ansatzweise zum Tragen kommen können.

Wie soll in einer oder in zwei Unterrichtsstunden "geforscht und entdeckt" werden? Das gelingt wohl nur in den seltensten Fällen. Insofern sind viele Praxisbeispiele eher einem - in jedem Fall aber ebenfalls positiv besetzten - problemorientierten Unterricht zuzuordnen. Dass die Autorin auf diesem Feld mit einer Fülle innovativer und auch in kurzer Zeit im Schulunterricht machbarer Beispiele aufwartet (etwa: Analyse von Schulzeugnissen, 203-208), ist ein großes Verdienst der Studie.

Insgesamt handelt es sich um ein kenntnisreiches, sehr nützliches Buch für den Geschichtsunterricht in der Schule, aus dem die Lehrenden eine Fülle von Anregungen entnehmen können. Dass in ihm eine Lanze für "forschend-entdeckendes Lernen" gebrochen wird, kann nur begrüßt werden. Insofern ist dem Buch ein breiter Leserkreis zu wünschen.

Karl Heinrich Pohl