Rezension über:

Andreas Hoffmann: Parteigänger im Vormärz. Weltanschauungsparteien im sächsischen Landtag 1833-1848 (= Studien und Schriften zur Geschichte der Sächsischen Landtage; Bd. 4), Ostfildern: Thorbecke 2019, 315 S., zahlr. Tbl., ISBN 978-3-7995-8463-0, EUR 45,00
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Rezension von:
Dieter Langewiesche
Historisches Seminar, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Dieter Langewiesche: Rezension von: Andreas Hoffmann: Parteigänger im Vormärz. Weltanschauungsparteien im sächsischen Landtag 1833-1848, Ostfildern: Thorbecke 2019, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 7/8 [15.07.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/07/32440.html


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Andreas Hoffmann: Parteigänger im Vormärz

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Mit seiner Dissertation (TU Dresden) stellt sich Hoffmann die Aufgabe, "nachzuvollziehen, ob und wie sich im vormärzlichen, sächsischen Zweikammerparlament Parlamentarier zu weltanschaulich geprägten Gruppen zusammenschlossen." (19) Im ersten Hauptteil untersucht er die Arbeitsweise der konstitutionellen Landtage bis in die Revolution 1848. Indem die Verfassung von 1831 beiden Kammern des Landtags den Auftrag zuwies, als "Organ der Gesamtheit der Staatsbürger und Untertanen" (48) deren Rechte gegen Regierung und König wahrzunehmen, brach sie mit den ständischen Bindungen der vorkonstitutionellen Zeit. Es war vor allem die Erste Kammer, die in der Zusammensetzung an die alte Ordnung anknüpfte. Die Zweite Kammer gliederte sich zwar nach Rittergutsbesitzern, Bauernstand, Städte sowie Handel und Fabrikwesen, doch es waren nun nach Besitz und Wohnort unterschiedene Gruppen, die ihre Abgeordneten wählten. Die personelle Kontinuität war hoch, und auch die Sprache blieb noch traditionsverhaftet. Das neue Parlament nannte man weiterhin Stände oder Ständeversammlung.

Es war ein Arbeitsparlament und zugleich der Öffentlichkeit zugewandt. Wer in die Ausschüsse gewählt wurde, hob sich von den anderen Abgeordneten ab. Es wuchs eine Gruppe von Experten heran, die mit den Beamten in den Ministerien unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammenarbeitete. Die Öffentlichkeitsarbeit war weit gespannt. Sie begann mit der Besuchertribüne, zu der auch Frauen Zugang hatten. Was im Parlament diskutiert wurde, konnte auch in der Presse behandelt werden. Die Parlamentsberichterstattung schuf deshalb einen gewissen Freiraum für die Zeitungen, wenngleich die Zensur und der behördliche Entzug der Konzession bedrohlich blieben. Mehrere Wellen, in denen Zeitungen aufgeben mussten, bezeugen es. Zur Verbindung mit der Öffentlichkeit gehörten auch die Petitionen aus dem Land. Sie entstanden teilweise in Absprache mit Abgeordneten der Zweiten Kammer, die so ein Thema in die parlamentarische Debatte einführen und Handlungsdruck auf die Regierung ausüben konnten.

Die oppositionelle Öffentlichkeit nahm die beiden Kammern als politische Gegenpole wahr. Die Erste Kammer galt als "Wächterin des Thrones", wie es eine zeitgenössische Stimme genannt hat, während sie sich selber als "die Bewahrerin der wirklichen Volksinteressen" sah (187). Nur in wenigen Streitfragen, welche die Öffentlichkeit erregten, beharrten beide Kammern auf ihren gegensätzlichen Positionen. Ansonsten fanden sie Kompromisse. Dies führt zu dem wohl wichtigsten Ergebnis der Studie: Es ließen sich zwar "weltanschauliche Gruppen [...] identifizieren", doch die Bereitschaft, sich in festen Gruppen zu organisieren, war gering. Politische Gruppenbildung gab es, doch sie blieb situativ und auf wenige Personen beschränkt, zu einer Institutionalisierung in Form von organisierten Fraktionen und Parteien kam es nicht. Hoffmann korrigiert mit seinen Abstimmungsanalysen überzeugend zeitgenössische und auch spätere Zuordnungen von Abgeordneten zu politischen Parlamentsgruppen. Doch auch er konstatiert den "Übergang von einem zeitgenössisch wahrgenommenen ständisch geprägten Landtag zu einem mehr und mehr weltanschaulich strukturierten Parlament" (258f.). Die Datengrundlage für seine Analysen präsentiert er in zahlreichen Tabellen.

Die beiden anderen Hauptteile sind den Liberalen und den Konservativen gewidmet. Wenngleich in den Abstimmungen nicht eine liberale Gruppe identifiziert werden kann, hat Hoffmann doch ermittelt, wer als liberal eingeschätzt wurde, indem er die Netzwerke rekonstruierte, in denen sich die Abgeordneten außerhalb des Parlaments bewegten. In Plauen zum Beispiel traf man sich im Polenverein, dann in einem Verein, der sich für die "freie Presse" engagierte (133). Seine Mitglieder schrieben auch Artikel für diese Zeitungen. In Leipzig wurde ein geselliger Verein gegründet, der Maikäferverein, der sich zu einem politischen Debattierklub entwickelte. Daraus ging ein "Landtagskränzchen" hervor, dem etliche Personen angehörten, die in den Landtag gewählt wurden. Die Mitgliedschaft in diesen und weiteren Vereinen ließ erkennen, wer sich als liberal verstand. 1846 schließlich, auf dem großen Leipziger Abgeordnetenfest, erklärte die Eröffnungsrede Parteien als notwendig. Parteien wurden hier indirekt in die Verfassungsordnung integriert, denn der König stehe als "Schlußstein aller constitutionellen Verfassungen" "erhaben [...] und hoch über den Parteien" (158). Die Spaltung in Liberale und Demokraten zeichnete sich bereits ab, doch vollzogen wurde sie erst 1848.

Auch die Konservativen - sie werden von Hoffmann erstmals eingehend untersucht - fügten sich in den Prozess der allmählichen Entstehung von Gruppen, die sich weltanschaulich verbunden wussten und auch von außen so wahrgenommen wurden. Da die Rittergutsbesitzer in den beiden Kammern überwiegend dem sächsischen Adel entstammten, kannten sie sich untereinander, waren zum Teil auf dieselben Schulen gegangen und hatten dann in Leipzig studiert, sie trafen sich während des Landtags regelmäßig, und viele von ihnen hatten Zugang zu den Ministern und in die Beamtenschaft. Selbst 1848 suchten sie den Kontakt zu den Märzministern, obwohl dem Gesamtministerium nun ein Nichtadliger aus der Zweiten Kammer vorstand.

An den Gründungen von vier konservativen Zeitungen lässt sich der Wandel konservativen Selbstverständnisses nachvollziehen. Ging es zunächst darum, möglichst ein Regierungsorgan zu schaffen, entstand 1846 mit dem "Verfassungsfreund" eine Zeitung, die es sich zur Aufgabe machte, auf dem Boden der Verfassung "die Anfänge der conservativen Partei - denn weiter sind sie noch nichts - weiter zu entwickeln". Das "constitutionelle Leben" erfordere "große Volksparteien" (222). Die Konservativen waren dabei, sich als Weltanschauungspartei zu entdecken. Dass diese Haltung mit Pragmatismus verbunden wurde, zeigt Hoffmann in einem abschließenden Abschnitt, der die Verhandlungen um den Bau von Eisenbahnen in beiden Kammern nachvollzieht.

Wenn man Hoffmanns Studie neben die von Philipp Erbentraut [1] stellt, hat man den derzeitigen Forschungsstand zur Parteiengeschichte im deutschen Vormärz vor Augen. Erbentraut zeigt die Hochschätzung von Parteien im damaligen politischen Denken, Hoffmann belegt die Sperren, die in der Landtagspraxis noch bis zum Vorabend der Revolution gegen Fraktionsbildungen bestanden. In der politischen Theorie war man schon weiter als in der parlamentarischen Praxis. So lassen sich die scheinbar widersprüchlichen Befunde zusammenfassen.


Anmerkung:

[1] Philipp Erbentraut: Theorie und Soziologie der politischen Parteien im deutschen Vormärz 1815-1848, Tübingen 2016.

Dieter Langewiesche