Rezension über:

Hermann Dommach: Hitlers Staatsfinanzen. Der Reichsrechnungshof 1933 bis 1945, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2019, 194 S., ISBN 978-3-534-40291-5, EUR 34,00
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Rezension von:
Alina Marktanner
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Alina Marktanner: Rezension von: Hermann Dommach: Hitlers Staatsfinanzen. Der Reichsrechnungshof 1933 bis 1945, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 3 [15.03.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/03/33648.html


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Hermann Dommach: Hitlers Staatsfinanzen

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Da der Bundesrechnungshof derzeit die Geschichte der staatlichen Rechnungsprüfung mit Schwerpunkt auf das 'Dritte Reich' aufarbeiten lässt [1], erhält Hitlers Staatsfinanzen von Hermann Dommach besondere Aktualität. Es findet sich hier ein schlanker Überblick über die wesentlichen Akteure des Reichsrechnungshofes (RRH) und seine sich wandelnden Funktionen in den politischen Regimen der 1920er- bis 1950er-Jahre. Bereits in früheren Schriften hat sich der Autor die öffentlich institutionalisierte Rechnungsprüfung zum Untersuchungsgegenstand gemacht. Wohlgemerkt tat er dies als Mitglied des heutigen Bundesrechnungshofes und nicht als Historiker im engeren Sinne. Auch seine dritte Monografie ist als Beitrag eines Praktikers zu lesen, der die Entwicklung der ihm vertrauten Organisation einer breiteren Öffentlichkeit zu erschließen sucht. Ihr wissenschaftlicher Gehalt bleibt mithin begrenzt - und viele Fragen offen.

Das im Klappentext aufgeworfene Thema, "welche Rolle der Reichsrechnungshof in der Zeit des Nationalsozialismus spielte", ist allgemein genug gehalten, als dass es in etwa widerspiegelt, was Dommach sich vorgenommen hat. Auf ein einführendes Kapitel, das eine Fragestellung konturieren könnte, verzichtet der Autor. Stattdessen gibt das Inhaltsverzeichnis einen eindrücklichen Überblick zur Anlage des Buches: Die knapp 180 Seiten sind in 80 Unterkapitel aufgeteilt, die jeweils einen vollen Aussagesatz im Titel tragen. Die Veröffentlichung ließe sich daher als Zeitstrahl verstehen, dessen Stationen mit kurzen Szenenbeschreibungen illustriert werden. Entsprechend versucht Dommach keine um Zäsuren oder Analysekonzepte angeordnete Erzählung zu weben. Vielmehr fasst er vorgefundene Quellen zusammen und reiht sie zu einem, zwar weitgehend chronologischen, nicht aber argumentativ strukturierten Narrativ aneinander. Einschnitte in seiner Erzählung markieren hauptsächlich personelle Wechsel an der Spitze des RRH. Kritische Richtungsentscheidungen der Präsidenten Saemisch und Müller sowie formative Momente in ihren Beziehungen zu Nazigrößen nennt der Autor zwar, untersucht sie in ihren Konsequenzen jedoch nicht weiter auf Kontinuitäten und Brüche hin. Welche Quellenbestände den einzelnen Abschnitten zugrundeliegen, lässt sich leider nur mühsam nachvollziehen. Belege werden in Fußnoten, jedoch nicht gesammelt aufgeführt, sodass unklar bleibt, welches und wieviel Material Dommach eingesehen hat. In den Einzelbelegen erscheinen außer dem Nachlass Saemischs weitere Bestände des Bundesarchivs und, weniger häufig, Landesarchivalien, Gesetzestexte und Reichstagsdrucksachen.

Obwohl der Untertitel einen auf die Jahre 1933 bis 1945 verengten Zugriff erwarten lässt, eröffnet Dommach seine Erzählung mit einem kurzen Kapitel zum RRH in der Weimarer Republik. Seine frühere Beschäftigung mit Reichssparkommissar Moritz Saemisch [2] scheint den Ausführungen dabei eine leichte Schlagseite zu verleihen. Der Satz, "Hitler hatte einen gewissen Respekt vor dem RRH" (23), erhellt sich in den weiteren Ausführungen nicht. In einem Schreiben von 1933 an den Reichssparkommissar erklärte Hitler zwar, die Unabhängigkeit des RRH müsse gewahrt bleiben. Darüber hinaus überließ er die Einrichtung aber den Sticheleien des Finanzministeriums, das, wie Dommach selbst erwähnt, Steine in den Weg zu legen suchte. Nach Saemischs Pensionierung 1938 setzten sich die Finanzbeamten dafür ein, dass ihm mit Heinrich Müller ein erklärter Nationalsozialist im Amt folgte. Mit dem Kriegskontrollgesetz von 1940 nahm der RRH dann die Funktion eines "Kriegskontrollhofes" an (78). Seine Aufgabe bestand nun darin, im gesamten Staatsapparat finanzielle Ressourcen zu lokalisieren, die der Wehrmacht zugeführt werden konnten. Müller ging es in diesen Jahren vornehmlich darum, den RRH "zur kriegswichtigen Einrichtung" (18) erklären zu lassen, um so dessen Überleben zu sichern. Nach einer konzisen Zusammenfassung des bis hierhin entwickelten Narrativs endet das Buch mit einem Ausblick auf die provisorische Ausgestaltung der Rechnungsprüfung in den Zonen der alliierten Streitkräfte.

Dommach hat eine quellengestützte Betrachtung der staatlichen Rechnungsprüfung von der Ära Weimars über die verschiedenen Etappen des 'Dritten Reiches' bis hin zur Besatzungszeit vorgelegt. Obgleich er eine interpretierende Erzählstruktur vermissen lässt und den Lesegenuss durch den häufigen Gebrauch von Fachtermini schmälert, eröffnet er einen Dialog mit der historischen Forschung. So regt seine meist deskriptive Wiedergabe der Ereignisse zu weiterführenden Fragen an. Unklar bleibt unter anderem, wie die Präsidenten und Mitarbeiter des RRH den Übergang zur nationalsozialistischen Herrschaft wahrnahmen und wie sich deren wachsende Radikalisierung auf ihr Handeln auswirkte. Ist die verbissene Bemühung Saemischs und Müllers, die Eigenständigkeit des RRH zu bewahren, als die oft beschriebene Beharrungskraft der Staatsverwaltung durch Systemwechsel hindurch zu lesen? Wollte Präsident Müller seine jüngeren Untergebenen davor bewahren, als Teil der Wehrmacht eingezogen zu werden - ein Schicksal, das bei Schließung des RRH noch mehr Beamten ereilt hätte als dies mit voranschreitendem Kriegsverlauf bereits der Fall war? Oder waren die Beamten, wie sie selbst gegenüber dem Führer und dem Reichsschatzmeister der NSDAP beteuerten, tatsächlich von berufsständischen Idealen einer sparsam und wirtschaftlich funktionierenden Verwaltung geleitet? Diese und weitere Themen könnte die Zeitgeschichtsschreibung gewinnbringend aufgreifen.


Anmerkungen:

[1] Siehe Hans-Peter Ullmanns laufendes Forschungsprojekt: "Der deutsche Rechnungshof im Wechsel der politischen Systeme des 20. Jahrhunderts", gefördert durch den Bundesrechnungshof.

[2] Hermann Dommach: Der Reichssparkommissar Moritz Saemisch in der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 2012.

Alina Marktanner