Rezension über:

Noel Malcolm: Useful Enemies. Islam and The Ottoman Empire in Western Political Thought, 1450-1750, Oxford: Oxford University Press 2019, XIV + 487 S., ISBN 978-0-19-883013-9, GBP 25,00
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Rezension von:
Mihai-D. Grigore
Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Christian Volkmar Witt
Empfohlene Zitierweise:
Mihai-D. Grigore: Rezension von: Noel Malcolm: Useful Enemies. Islam and The Ottoman Empire in Western Political Thought, 1450-1750, Oxford: Oxford University Press 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 6 [15.06.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/06/33488.html


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Noel Malcolm: Useful Enemies

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Mit dem hier zu diskutierenden Buch legt Noel Malcolm - so viel sei vorweggesagt - eine umfangreiche, ihre Befunde ausgezeichnet dokumentierende und ausführlich diskutierende Analyse vor. Bisher hat sich Sir Noel Malcolm durch spannende historische Monographien zu einem breiten Spektrum hervorgetan: zur Geschichte der Mathematik, zum rumänischen Komponisten George Enescu (1881-1955), zu Bosnien und Kosovo sowie zum frühneuzeitlichen Mediterraneum. Sein Schreibstil schöpft ausgiebig aus seiner journalistischen Erfahrung, die Akribie wissenschaftlichen Arbeitens wird aufs Strengste eingehalten.

Das Thema der hier anzuzeigenden Monographie, die Wahrnehmung des Islams und des Osmanischen Reichs durch westlich-europäische Autoren, ist bekanntermaßen nicht neu. Die Erkenntnis, dass die Osmanen zum gleichberechtigten und anerkannten Akteur der europäischen Politik wurden und dabei mal als Feind, mal als Vorbild, mal auch als Verbündeter gezeichnet wurden, ist nicht neu. Dass sie zur Durchsetzung eigener Interessen als Projektionsfläche dienten, ist ebenfalls nicht neu.

Hervorzuheben ist allerdings, dass der Autor in den ca. 18 Jahren der Entstehung des Buchs zwischen 2001 und 2019 durch gründliche Recherche in vielen wichtigen Archiven und Bibliotheken eine große Menge Material sichten und auswerten konnte, die der Plastizität der Analyse zugutekommt. So liegt die Stärke des Buchs besonders im Umfang und in der gekonnten Bündelung von Thematiken und Kontexten. Noel Malcolm problematisiert facettenreich die Wahrnehmung der Osmanen und ihrer Religion in westlichen Diskursen und zeigt immer wieder die Transferwege argumentativer Linien zwischen den jeweiligen Autoren und ihren Kulturkreisen auf. Ein Vorzug der Lektüre sind zweifellos die gut gewählten, teilweise unbekannten und geschickt platzierten Quellenzitate. Die im Buch besprochenen Autoren und Diskurse stammen überwiegend aus der christlichen Latinitas. Insbesondere Autoren aus dem südlichen und südwestlichen Europa - aus den italienischen Staaten, aus Frankreich und Spanien - kommen zu Wort, ohne dass jedoch wichtige Namen aus dem Reich oder aus England ignoriert würden.

Das Buch ist in 16 Kapitel eingeteilt und wird von einer »Conclusion« abgeschlossen. Beigegeben sind gute und hilfreiche Namens- und Sachregister. Kapitel 1 zur Rezeption des Falls Konstantinopels, Kapitel 4 »Protestantism, Calvinoturcism, and Turcopapalism«, Kapitel 5 und 6 zur religiös problematischen, allerdings aus politisch-pragmatischen Gründen forcierten Bündnispolitik christlicher Mächte mit den »Ungläubigen«, Kapitel 8 zu Campanellas in der bisherigen Forschung verkanntem Liebäugeln mit dem Islam und der osmanischen Ordnung sowie Kapitel 12 zum Islam als »politische Religion« sind hervorzuheben. Historiographische Heuristiken des 20. Jahrhunderts wie die der »politischen Religion« wirken jedoch manchmal etwas künstlich übergestülpt. Mit der Betonung der Rolle symbolischer Medien, bestimmter Konzepte wie glory in den »Osmanen-Diskursen« (17f.) oder religionspraktischer Phänomene wie shared piety greift die Untersuchung originelle Forschungsaspekte auf. Bei der Besprechung der Diskurse in christlich-muslimischen Kontaktzonen (Byzanz, Levante, Spanien) werden Verflechtungen und Transferprozesse innerhalb der christlichen Polemik gegen den Islam deutlich, die viele den betreffenden Autoren gemeinsame Argumente, Ideen und Strategien aufweist. Dabei weist Malcolm nach, wie viel die »westliche« anti-islamische Rhetorik byzantinischen oder nahöstlichen christlichen Traktaten entlehnt (32, 45-48).

Das ist deswegen so wichtig, weil so einschlägige Forschungsdichotomien wie »westliche« vs. »östliche« Christenheit relativiert werden. Malcolm zeigt, dass angesichts des »gemeinsamen Feindes« erstaunliche Übereinstimmungen in den jeweiligen Diskursstrategien durch gegenseitige Beeinflussung entwickelt wurden. Solche Analysen erlauben dem Autor treffende Schlüsse wie beispielsweise den, dass bis spät in die frühe Neuzeit hinein Christentum und Europa zwei vertauschbare (interchangeable) Kategorien waren (59). Deutlicher gesagt: Sie waren Synonyme. Innovativ ist die Analyse der Islam- bzw. Osmanen-freundlichen Gesinnung des Tommaso Campanella. Durch die historische Kontextualisierung des Dominikaners wird deutlich, dass es Campanella um einen Versuch geht, Islam und Christentum zusammenzubringen und zwischen ihnen theologisch zu vermitteln (Kap. 8, 184-200). Überhaupt ist die historische Kontextualisierung der weiteren Gelehrtendiskurse positiv hervorzuheben.

Einige Punkte bleiben hingegen kritisch anzumerken: Wichtige historische Gestalten, die nach Einschätzung des Rezensenten durch ihre Politik die Kontakte des Westens mit den Osmanen geprägt haben, werden dürftig oder auch gar nicht besprochen. Die entsprechende Forschungsliteratur bleibt demgemäß unberücksichtigt. Gemeint ist hier beispielsweise der ungarische König Matthias Corvinus (1458-1490), der nur sporadisch erwähnt wird. Sigismund von Luxemburg (1368-1437) findet hingegen gar keine Erwähnung, was wohl kaum damit zu begründen sein dürfte, dass er außerhalb der im Titel genannten Zeitspanne gelebt hat. Die Bedeutung Enea Silvio Piccolominis (1405-1464), des späteren Pius II. für den Europadiskurs wird hingegen zu hoch veranschlagt (12f.). Dass »Europa« als Konzept nicht erst im 15. Jahrhundert, sondern bereits viel früher als integrative Kategorie zur Erfassung lateinischer und orthodoxer Christen genutzt wird, ignoriert der Autor allerdings vollkommen. Während Machiavellis Rolle für den betreffenden Diskurs eingedenk spärlicher Quellenbelege überschätzt wird (Kap. 7, 159-183), bleibt Malcolm im Falle Luthers auffällig undifferenziert, wenn er dem Reformator beispielsweise eine »notorious acceptance of bigamy« unterstellt (91).

Diese Monita ändern nichts am positiven Gesamteindruck: Der große argumentative Bogen, die Grundidee und die gelungenen historischen Tiefenbohrungen sind überzeugend, der sprachliche Stil ebenso. Useful Enemies ist daher in vielerlei Hinsicht mit Gewinn zu lesen und wird wohl für die nächsten Jahre die Referenz für das besagte Themenfeld bleiben.

Mihai-D. Grigore