STELLUNGNAHME ZU

Ulrike Ilg: Rezension von: Laura Windisch: Kunst. Macht. Image. Anna Maria Luisa de' Medici (1667-1743) im Spiegel ihrer Bildnisse und Herrschaftsräume, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 5 [15.05.2020], URL: http://www.sehepunkte.de/2020/05/32830.html

Von Laura Windisch (23.6.2020)

Die Publikation zu Anna Maria Luisa de' Medici befasst sich erstmals mit der "Imagebildung" der letzten Medici-Fürstin anhand von exemplarisch ausgewählten Kunstwerken und Objekten aus unterschiedlichen Gattungen und beleuchtet die Sammlungsstrategien der letzten Medici-Erbin. Wesentliche Impulse erhielt die Autorin Laura Windisch als Doktorandin in dem an der Universität Bern angesiedelten Forschungsprojekts zum "Interieur", das sich - anders als soziologische, literaturwissenschaftliche und historische Studien - explizit auf materielle, visuelle und affektive Dimensionen des Innenraums konzentriert. Auf diesen basiert die inhaltlich-methodische Grundstruktur der Studie.

Von grundlegender Bedeutung für die als Doktorarbeit eingereichte und 2019 mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds publizierte Arbeit erwiesen sich die Forschungen zu Anna Maria Luisa aus dem italienischen und deutschsprachigen Raum. Zu nennen sind hier insbesondere die Studien der Rezensentin Ulrike Ilg, deren kritische Auseinandersetzung mit der Publikation eine willkommene Einladung zur Eröffnung der Diskussion darstellt. Im Folgenden möchte die Autorin auf einzelne besonders strittige Kritikpunkte antworten.

Anders als in der Rezension dargestellt, werden die zentralen Termini "Image", "Imago" und "Display" im einführenden Kapitel definiert und voneinander abgegrenzt, auch unter Einbeziehung des Begriffs "Repräsentation": "Den folgenden Ausführungen liegen als Leitmotive die Begriffe "Image" und "Repräsentation" zugrunde, wie sie Peter Burke in seiner Studie zur Inszenierung des Sonnenkönigs von 2001 ausgeführt hat [...]. "Repräsentation" meint sowohl die Vertretung des Herrschers durch Angehörige des Hofs [...] als auch durch Objekte [...], sowie [...] durch seine Porträts. [...] (S. 13) "Annas Imago [wird] aus einem weiteren, kulturgeschichtlichen Blickwinkel heraus untersucht, der auch die räumliche Umgebung einschließt, in der die Herrscherin ihre Fußabdrücke hinterließ: das Düsseldorfer Kunsthaus, ihre Gemächer im Florentiner Palazzo Pitti sowie den Garten und die Villa La Quiete in Florenz. [...]" (S. 14) "Der Begriff "Imago" weist demzufolge über den "Image"-Begriff Burkes hinaus und erschließt ein weiteres kulturelles Feld, das visuelle und materielle Kultur gleichermaßen miteinbezieht." (S. 15)
Ebenso erfährt der Begriff "Display" eine begriffliche Herleitung und Schärfung in Bezug auf den zu untersuchenden Gegenstand (Kap. 3): Für den "[...] moderne[n] englische[n] Begriff des "Display" [...]" gibt es "weder im Deutschen noch im Italienischen eine äquivalente Entsprechung; [...] Der Begriff leitet sich ab von lat. displicare - "entfalten" (it. "dispiegare") und wurde ursprünglich mit dem Entfalten von Bannern oder Flaggen, also in Verbindung mit Textilien, verwendet." [...] "Display" verweist somit in seiner ursprünglichen Bedeutung auf ein aktives Moment, eine Handlung: Wurden in den Palästen der Renaissance und des Barock Textilien entfaltet, enthüllte sich im übertragenen Sinn vor den Augen eines Publikums die Botschaft der Bilder. Vor diesem Hintergrund soll das Museum nicht als ‚zeitloses Gefäß' für Kunstwerke aufgefasst werden, sondern als Baukörper, der durch die darin enthaltenen Kunstwerke ständigen Wandlungen unterworfen ist."
In den folgenden Kapiteln wird "Display" in einem größeren Kontext verstanden, der [...] auch eine identitätsstiftende Komponente impliziert." (S. 82)

In diesem Zusammenhang wirft die Autorin Fragen zur Darstellung Anna Maria Luisas auf Porträts und zur Sammlungspraxis in Deutschland und Italien auf, die für die Medici-Fürstin in dem Maße politische Bedeutung erlangten, wie sich ihr Status im Verlaufe ihres Lebens änderte, indem sie
1.) die Imagebildung Anna Maria Luisas als unverheiratete Prinzessin am Florentiner Hof anhand eines Porträts als Flora in Rückgriff auf Bildelemente aus Bronzinos Porträt der Eleonora di Toledo analysiert,
2.) untersucht, auf welche Art und Weise während ihrer Zeit als Kurfürstin von der Pfalz und als Ehefrau Johann Wilhelms von der Pfalz durch die Anordnung von Kunstwerken im Düsseldorfer Kunsthaus - insbesondere in der Zusammenschau von Herrschaftsporträts und anderen Werken zeitgenössischer Künstler und alter Meister - ein bestimmtes Image proklamiert wurde (hier vor allem im Kontext mit den ersten öffentlichen Museen in Europa) und
3.) darlegt, mit welchen Mitteln und auf welche Weise sie sich als Witwe, zurück in Florenz, im Rückgriff auf die Medici-Wittelsbach-Verbindung als letzte Medici in Szene setzte: sie residierte sowohl im Palazzo Pitti als auch jährlich mehrere Monate in der Villa La Quiete nahe von Florenz, wo sie mit den Nonnen von Montalve zusammenlebte.

Das in Kapitel 2 analysierte Porträt Antonio Franchis von Anna Maria Luisa wird als Herrscherinnen-Porträt aufgefasst. Das von der Rezensentin bemängelte Fehlen einer Begründung für die Annahme, das Bildnis zeige "weder das tatsächliche Aussehen noch die Persönlichkeit Annas", ist nichtig, da bei Porträts von Herrscherinnen und Herrschern nie zwangsläufig davon ausgegangen werden kann, dass die physiognomische Ähnlichkeit zur dargestellten Person im Vordergrund steht. Zur "Gefahr" beim Umgang mit Bildern als historischen Quellen verweist die Autorin an entsprechender Stelle in der Fußnote auf die Forschungen von Peter Burke. (S. 30) Der Autorin ging es hier um die Analyse der Funktion des Porträts in Abhängigkeit seines Entstehungskontextes und um das Verhältnis von Selbstimage, das transportiert werden sollte, und Fremdimage, dem entsprochen werden musste.

Der Vergleich mit dem Bildnis der Eleonora Toledo wurde herangezogen, weil - wie in der Arbeit ausführlich dargelegt -,
1.) die dort verwendeten formalen Bildelemente eher selten sind, insbesondere die ganzfigurige überlebensgroße Darstellung der sitzenden Medici-Fürstin und
2.) weil sich inhaltlich bei Anna Maria Luisa ähnlich große Erwartungen an eine erfolgreiche Regentschaft knüpften, wie es bei Eleonora auf vorbildhafte Weise der Fall gewesen war.

Es trifft nicht zu, dass die Analyse des Malereitraktats von Franchi der Autorin dazu diente, die "gängige kunsthistorische Meinung zu entkräften", die das Porträt "als Beleg sieht für eine sich in Florenz durchsetzende, neue Bildnisauffassung." Im Gegenteil: Die Autorin bestätigt den Einfluss der niederländischen und flämischen Malerei auf Franchis Malweise sowie eine sich in Florenz durchsetzende, neue Bildauffassung, für die das Porträt Anna Maria Luisas der Autorin als wegweisend gilt (vgl. hierzu besonders die Vergleiche mit Rubens und Van Dyck, Kap. 2.2). Dass die Autorin zudem darauf hinweist, Franchi stehe "in direkter Nachfolge von Sustermans, dessen Bildrepertoire er teilweise aufnahm und mit Elementen der zeitgenössischen, spätbarocken Malerei in eine eigene Formsprache umwandelte" (S. 40/41), verschweigt die Rezensentin.

Grundsätzlich nimmt sie die zentralen Punkte der Ausführungen nicht zur Kenntnis: die Entfaltung der Imago der Fürstin, das den unterschiedlichen Lebensabschnitten jeweils zugrunde liegende Bild, welches auf mehreren Ebenen reflektiert wurde: visuell-materiell, räumlich-strukturell und personell-dynastisch.

Stattdessen werden nebensächliche Hinweise hochgespielt, etwa wenn Anstoß genommen wird an dem Hinweis auf ein "anonymes modernes Vortragsmanuskript" im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen" in Bezug auf die Finanzierung der Düsseldorfer Oper aus der Privatkasse Annas. Der Eindruck einer pauschalen Abwertung der Studie verstärkt sich durch oberflächliche Anmerkungen, die die Rezensentin nicht belegt, so etwa, wenn sie behauptet: "überall im Text [stößt] man auf Fehleinschätzungen historischer oder kunsthistorischer Fakten und Zusammenhänge".

Dass Anna Maria Luisas Appartement in La Quiete als "verlängerte[r] Arm des offiziellen Regierungssitzes, des Palazzo Pitti" beschrieben wird, liegt in der Analyse ihrer mit Herrschaftsinsignien ausgestatteten Räumlichkeiten sowie in der von ihr in Auftrag gegebenen Neugestaltung des Gartens begründet. Die repräsentativen Räume Anna Maria Luisas sind - wie ausführlich beschrieben und wie heute noch für jeden Besucher sichtbar - durch einen eigenen Eingang zugänglich und damit abgetrennt von dem geschlossenen Bereich der klösterlichen Gemeinschaft zu betrachten. Die Autorin erbringt den Nachweis einer architektonisch-künstlerischen und staatssymbolischen Verbindung zwischen dem offiziellen Regierungssitz Palazzo Pitti und dem "inoffiziellen" La Quiete. Anna Maria Luisa residierte mit ihrem Hofstaat abwechselnd an beiden Orten und beschäftigte zudem den Hauptverantwortlichen für die Pflege der Boboli-Gärten auch in den Gärten von La Quiete. Wie in der Arbeit dargelegt, kommt die Bedeutung des Ortes insbesondere in der Verbindung von Garten und herrschaftlichen Appartements zum Ausdruck: Das "dem Interieur der Villa und dem Gartenbereich eingeschriebene Wechselspiel wird hier zu einem konzeptuellen [...] Höhepunkt geführt." (S. 256)

Insgesamt ist anzumerken, dass die vorgebrachten Kritikpunkte weitgehend irreführend sind und den Sachverhalt verfälschend darstellen. So auch die Behauptung, dass die Regierungsberechtigung Anna Maria Luisas "kurzerhand" aus der Position vormundschaftlich regierender italienischer Fürstinnen hergeleitet werde.

Begründet wird die Nominierung Anna Maria Luisas als Erbin auf dem Großherzoglichen Thron keineswegs im Rückgriff auf andere, vormundschaftlich regierende, italienische Fürstinnen, sondern durch den - wenn auch staatsrechtlich fragwürdigen - Akt von 1713, dem Motu proprio von Cosimo III. und die offizielle Legitimation des Florentiner Senats. Wie in der Studie dargelegt, bezeugt auch die Verleihung des Titels Ihre kurfürstliche Gnaden von der Pfalz durch Cosimo III. an seine Tochter ihren hohen dynastischen Rang und das staatspolitische Ziel, das Erbe der Medici zu sichern.
Die Autorin empfiehlt der Rezensentin kurzerhand die Lektüre der Seiten 68-71 inklusive der Anmerkungen, auf die sich die Rez. doch selbst bezieht.


Anmerkung der Redaktion: Ulrike Ilg hat auf eine Replik verzichtet.