Rezension über:

Massimiliano Bassetti / Daniele Solvi (a cura di): RICABIM. Texts and Studies 4: Biblioteche medievali d'Italia (= Biblioteche e archivi; 38), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2019, VIII + 171 S., 8 Farbabb., ISBN 978-88-8450-952-9, EUR 111,00
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Rezension von:
Andreas Kistner
Historisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Kistner: Rezension von: Massimiliano Bassetti / Daniele Solvi (a cura di): RICABIM. Texts and Studies 4: Biblioteche medievali d'Italia, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 3 [15.03.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/03/34466.html


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Massimiliano Bassetti / Daniele Solvi (a cura di): RICABIM

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Wie kann man wissen, welche Bücher eine Person oder eine Institution besaß? Diese Frage ist nachgerade der Wiedergänger in vielen Forschungen zum Buchbesitz und auch in einer großen Anzahl der Beiträge des hier anzuzeigenden Bandes. Der Titel zeigt an, womit sich die zehn italophonen Beiträge befassen: mittelalterliche Bibliotheken in Italien, was aber auch heutige Buchlagerstätten in Frankreich und Spanien einbeziehen kann.

Ein Vorwort der Herausgeber ruft die Tagung und die allgemeine Ausgangssituation der Forschung - auch mit Blick auf die zahlreichen wichtigen Arbeitsmittel, die von der SISMEL bereitgestellt werden - in Erinnerung, bevor dann der Reigen der zehn Beiträge anhebt. Chronologisch steht vor allem das Spätmittelalter im Fokus, das infolge der zugrunde gelegten Quellen auch bis in 16. Jahrhundert und darüber hinaus überschritten wird. Einen großen Schwerpunkt bildet Süditalien: Fünf Beiträge befassen sich mit Buchbesitz im Regno, wobei drei davon sich ausdrücklich der königlichen Bibliothek widmen. Drei Indices, je einer zu Personen (historisch und aus der Forschung), Orten und Handschriften und Archivbeständen beschließen den Band.

Gerade bei den Beiträgen zu Bibliotheken aus Mittel- und Norditalien finden sich teilweise umfangreiche, potentiell sehr nützliche Dokumentenbeigaben. So liefert etwa Eleonora Rava (Notizie di libri da documenti pisani, 21-62) nach einer konzisen statistischen Auswertung auf drei Vierteln der von ihr beanspruchten Seiten eine Transkription der ausgewerteten bibliothekarisch relevanten Teile der ausgewerteten Inventare. Ursprung dieser Inventare war aller Wahrscheinlichkeit nach eine Erhebung der wirtschaftlichen Potenz geistlicher Einrichtungen in Pisa zum Zwecke der Besteuerung (ab 1372). Nachdem auch Eleonora Rossi in ihrem Beitrag zu Pisa schon auf Testamente hingewiesen hat, rückt diese Quellengattung bei Maria Clara Rossi (Chierici e libri: intorno alla cattedrale di Verona, 85-101) ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auf etwa zehn Zeiten (91-101) liefert sie Transkriptionen von vier Dokumenten des 14. Jahrhunderts: zwei Testamente und zwei Nachlassinventare. Fragt man nach einer genaueren Struktur der Veroneser Buchbestände, erkennt man eine sehr praktische Ausrichtung der Bibliotheken auf die unmittelbaren 'Arbeitsbedürfnisse' der Erblasser. Die ausgewerteten Testamente münden dann in die vielleicht etwas idealistische Schlussfolgerung, dass die Erblasser pflichtbewusst und kompetent waren. Bei dem Beitrag von Silvia Carraro (San Francesco piccolo di Padova, 103-112) fällt das große Volumen der Präliminarien ins Auge, auf die eine knappe Erörterung der Schatzung von 1443 folgt. Dieses Dokument ist erneut mit dem Ziel entstanden, die Fähigkeit einzuschätzen, mit der die geistlichen Einrichtungen zur städtischen Kasse beitragen können. Besonders interessant ist hier die von Carraro aufgeworfene Frage, wie die Abwesenheit von zeitgenössisch sehr erfolgreichen Genres im Estimo zu erklären sein könnte. Sie vermutet, dass nur die gemeinsam genutzten Bücher bei der Schatzung berücksichtigt wurden (108). M. E. schlösse sich daran eigentlich die Frage nach Privatbesitz der Nonnen an. Erneut wird das ausgewertete Dokument in Transkription mitgeliefert.

Den Weg weiter gen Süden beschreitet Andrea Bartocci mit einer Erörterung der juristischen Handschriften der Kathedralbibliothek von Atri in den Abruzzen zu Ende des 15. Jahrhunderts (I codici giuridici della cattedrale di Atri, 113-120). Dieses acht Handschriften und einige Inkunabeln umfassende Corpus stellt er in den Kontext der Besitzgeschichte, versucht sich also der 'Kultur' der Eigentümer anzunähern, die gut mittelalterlich juristisch und wenig humanistisch geprägt war.

Bei Salerno erfolgt rasch die Assoziation mit einem frühen Bildungszentrum Lateineuropas, so dass man leicht geneigt ist, auch große Buchbestände zu erwarten. Dass diese Erwartung ein auf Unwissen basierender Reflex ist, führt Jakub Kujawinski (Spigolature salernitane, 3-19) vor, indem er die sehr spärlichen Spuren von Handschriften sammelt, die zumindest eine salernitanische Provenienz haben, wenn nicht sogar in Salerno hergestellt worden sind. Darüber hinaus geht er noch auf eine Reihe von Handschriften ein, die salernitanische Chroniken enthalten. Hier schon wird die Bedeutung des 16. Jahrhunderts deutlich, in dessen Verlauf Inventare angelegt wurden, die sich für die behandelte Frage zu Auswertung anbieten.

David Falvay (Una fonte per la ricostruzione, 63-71), Giovanni Fiesoli (Da Firenze a Napoli e ritorno, 73-83), Teresa D?Urso (La raccolta libraria di Federico d?Aragona, 121-129) und Claudio Buongiovanni (Inventari di libri e presenza dei classici, 131-138) widmen sich vor allem der königlichen Bibliothek, wobei Fiesoli den Gran Siniscalco Nicola Acciaiuoli mit seinen Bücherverschickungen und geplanten Stiftungen in den Mittelpunkt stellt. D. Falvay liefert die Aufstellung der Bücher Marias von Ungarn aus dem Jahre 1326 mit, die einem Akt der Testamentsvollstreckung entnommen ist. Er schlägt damit die Brücke zu der zu selten rezipierten ungarischen Forschung; ein ungarisches Dokument erlaubt hier Aufschluss über süditalienische Bibliotheken. Den Prozess der Sammlung und Verausgabung von Büchern untersucht D?Urso, die anhand von Inventaren zeigen kann, wie die Bücher der königlich-aragonesischen Sammlung nach dem Ende der aragonesischen Herrschaft in alle Winde zerstreut wurden. Sofern bekannt, gibt sie die heutigen Signaturen an, aber über weite Teile der Sammlung legt sich der Schleier des Vergessens. Erneut auf Grundlage von Inventaren spürt Buongiovanni den Klassikern, vor allem den Dichtern der flavischen Ära in der Sammlung vor allem König Alfons' V. als König von Sizilien nach. Mir scheint als besonders bemerkenswertes Ergebnis, dass mit Martial und vor allem Statius und Silius Italicus andere Schwerpunkte als etwa in Rom in der Klassikersammlung festzustellen sind: Diese Autoren boten bereits ein antikes Lob Neapels und Kampaniens, das von den humanistischen Autoren aus dem königlichen Umfeld - Giovanni Pontano vor allem - aufgegriffen und aktualisiert wurde, um Neapel auch kulturell eine Gleichrangigkeit mit Rom zu verschaffen.

Der von Paola Zito gelieferte letzte Beitrag (La produzione a stampa del Quattrocento, 139-147) wertet die von der Apostolischen Bibliothek betreute Datenbank RICI aus. [1] Diese Datenbank basiert auf der Anlage des Index zu Ende des 16. Jahrhunderts, der zur Folge hatte, dass zahlreiche kirchliche Einrichtungen Italiens ihre Bibliotheksbestände, vor allem Inkunabelbestände, nach Rom meldeten - für mittelalterliche Verhältnisse Big Data.

Wie schon eingangs erwähnt, ist die Frage nach der Möglichkeit, Buchbesitz möglichst umfangreich zu erfassen, ein Wiedergänger in vielen Beiträgen; wie schon stellenweise oben angedeutet, wird die quellenkritische Erörterung unterschiedlich weit getrieben. Welche Rückschlüsse man auf den gesamten Buchbesitz und insbesondere die Haltung des Erblassers zu den Büchern treffen kann, könnte stellenweise etwas kritischer diskutiert werden. Trotz ihrer Kürze bieten die Aufsätze einiges Material für die Forschung zu (süd-)italienischen Bibliotheken.


Anmerkung:

[1] Le biblioteche degli ordini regolari in Italia alla fine del secolo XVI. Abrufbar unter http://rici.vatlib.it/[29.01.2021].

Andreas Kistner