Rezension über:

Hannes Bahrmann: Francos langer Schatten. Diktatur und Demokratie in Spanien, Berlin: Ch. Links Verlag 2020, 288 S., ISBN 978-3-96289-077-3, EUR 20,00
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Rezension von:
Walther L. Bernecker
Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Walther L. Bernecker: Rezension von: Hannes Bahrmann: Francos langer Schatten. Diktatur und Demokratie in Spanien, Berlin: Ch. Links Verlag 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 5 [15.05.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/05/35204.html


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Hannes Bahrmann: Francos langer Schatten

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Der Autor von "Francos langer Schatten" wird im Klappentext als "Historiker und Spanienkenner" vorgestellt; in der Kurzvita am Ende des Buches charakterisiert Hannes Bahrmann sich selbst als "Journalist". Diese Bezeichnung ist sicherlich treffender, da die Herangehensweise an das Thema "Diktatur und Demokratie in Spanien" eher journalistisch-essayhaft als streng wissenschaftlich ist.

Auf dem Außenumschlag heißt es: "Hannes Bahrmann erzählt anschaulich die dramatische Geschichte vom Franco-Putsch 1936 über den Tod des Diktators 1975 bis heute. Und er zeigt, wie sehr die unbewältigte Vergangenheit die demokratische Gegenwart belastet." Mit dieser Vorstellung werden bereits zwei Charakteristika der Darstellung betont: zum einen das erzählende Element, zum anderen eine Schwerpunktsetzung auf den Bereich der "unbewältigten Vergangenheit". Das Buch enthält rund 30 Kurzkapitel von je 7-15 Seiten. Die einzelnen Kapitel sind zwar im Wesentlichen chronologisch angeordnet, halten sich aber mitnichten an die Abfolge der historischen Ereignisse, sondern springen in der Vergangenheit vor und zurück, wie es dem Gedankenfluss des Autors zupasskam. Damit ist bereits eine der Hauptschwächen des Bandes angesprochen: Es fehlt ihm an einem systematischen Zugang. Das verhindert eine vertiefende Analyse bestimmter Themenbereiche. Vieles bleibt im rein Deskriptiven, ohne letztlich analytisch-interpretierend zu sein. Bahrmann liegt das Narrative; das macht sein Buch gut lesbar, kann aber einem Leser mit Analyse-Anspruch nicht Genüge tun.

Die einzelnen Kapitel können als in sich abgeschlossene Miniaturen bezeichnet werden, die jedoch sehr ungleich gestaltet sind. Ein Beispiel für die sprunghaften (und inhaltlich bedenklichen) Rückblicke ist die Darstellung der Guerrillabewegung nach dem Bürgerkrieg, als der Autor plötzlich über einen Rückblick auf die Zeit der bandoleros in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis hin zum Carmen-Mythos zu sprechen kommt.

Selbst die immer wieder angesprochene fehlende Vergangenheitsaufarbeitung bleibt im Narrativen stecken und kommt in ihrer Allgemeinheit zu fragwürdigen Schlussfolgerungen. So heißt es missverständlich im "Prolog": "Man errichtete die spanische Demokratie auf dem Fundament der Diktatur" (14); im Klappentext: "Spaniens Demokratie wurde nahtlos auf dem Fundament des alten Terrorsystems aufgebaut", und noch drastischer auf S. 268: "Die Demokratie in Spanien steht auf dem Fundament der faschistischen Diktatur." Zweifellos ist der Franquismus die Vorgeschichte der heutigen Demokratie; der Autor suggeriert bei seinen Pauschalurteilen jedoch fälschlicherweise, das heutige Spanien sei nur eine Fortentwicklung oder Variante der franquistischen Diktatur, was nicht einmal harsche Kritiker des heutigen demokratisch-parlamentarischen Systems behaupten. Auch ist weder der Satz korrekt "Alle Gerichtsurteile aus der Zeit der Diktatur gelten bis heute" (Klappentext) noch stimmt die Charakterisierung der Franco-Diktatur als "faschistisch" (wozu es eine Unmenge an Fachliteratur gibt). Es gibt auch andere, äußerst problematische Gewichtungen, etwa wenn der baskisch-separatistischen Untergrundorganisation ETA bescheinigt wird, die Organisation habe "das Ende der Franco-Diktatur herbeigeführt" (161). Weit gefehlt!

Bahrmann kennt sich durchaus in der spanischen Geschichte aus; er zieht vielfältige Literatur heran, referiert zahlreiche Details, hat aber große Schwierigkeiten bei der Gewichtung und historischen Einordnung einzelner Episoden und Ereignisse, die ebenso unvermittelt eingeführt wie abrupt beendet werden. Ein Beispiel von vielen Möglichen: Das achtseitige Kapitel über den ersten Wahlsieg der Sozialisten 1982 mutiert nach drei Seiten zu einer Chronik von Skandalen aus jenen Jahren, um schließlich in den letzten sechs Zeilen unvermittelt die Heirat des Wirtschaftsministers Miguel Boyer mit Isabel Preysler (deren Namen nicht erwähnt wird, obwohl sie bis heute in Spanien weit bekannter ist als ihr verstorbener Ehemann), der geschiedenen Ehefrau von Julio Iglesias, zu referieren (204). Was hat das in einem Kapitel zu den entscheidenden Reformen der sozialistischen Regierung in den 1980er Jahren verloren, dessen Titel "Siegreiche Sozialdemokraten" lautet?

Die Vorliebe des Autors für das Pointillistische, für Details und sein Hang zur Vernachlässigung allgemeinerer Darstellungen bzw. interpretatorischer Analysen kommen immer wieder zum Vorschein: Im Kapitel über die sowjetische Intervention in den Bürgerkrieg wird zwar ausführlich auf einzelne Geheimdienstler eingegangen; die entscheidende und bis heute höchst umstrittene Frage nach den Auswirkungen von deren Aktivitäten im republikanischen Lager aber mit dem kargen Satz abgetan: "Die Auseinandersetzungen zwischen Stalinisten, Anarchisten und Trotzkisten schwächten die Kampfmoral der Verteidiger der Republik nachhaltig" (72). Dabei handelt es sich bei diesen "Auseinandersetzungen" um einen ganz entscheidenden Aspekt bei der Einschätzung der politischen Konstellation im republikanischen Lager. Ein weiteres Beispiel: Bei den Verfolgungen und Säuberungen nach dem Bürgerkrieg werden viele Anekdoten und kurze biografische Einzelschicksale aufgeführt, es fehlt aber an einer globalen Einschätzung der Bedeutung und Möglichkeiten der innerspanischen Opposition; das Gleiche lässt sich zur ETA sagen, über deren Aufbau, Rückhalt in der Bevölkerung, unterschiedliche Ziele, Strukturen etc. sehr wenig zu lesen ist. Das Franco-Regime verstand sich selbst als ein Modernisierungsregime. Über die Modernisierungspolitik ist aber wenig zu erfahren, ebenso über die wichtige Rolle der katholischen Kirche im Franquismus.

Zu den Grundprinzipien wissenschaftlichen - und auch journalistischen - Arbeitens gehört Transparenz, d. h. Nachprüfbarkeit bestimmter Aussagen. In "Francos langer Schatten" gibt es keine einzige Fußnote oder einen Klammervermerk, nicht einmal in Fällen, in denen der Autor einzelne Passagen in Anführungszeichen gesetzt hat und damit zu erkennen gibt, dass es sich um Zitate anderer Autoren handelt; diese werden aber nirgends (weder mit Namen noch Titel) genannt. Und wo Bahrmann einzelne Gewährsleute namentlich erwähnt, führt er sie nicht in der Bibliographie auf, so dass eine Nachprüfbarkeit der Aussagen ausgeschlossen ist (z. B. Javier Cervera Gil, 64; Miguel Carlos Hernández, 87; Jorge Marco, 99). Welcher (ungenannt bleibende) "britische Historiker" ist auf Seite 117 gemeint?

Einem Autor wie Bahrmann, der viel Literatur zum Thema kennt und lange in Spanien gelebt hat, hätten etliche Sachfehler nicht unterlaufen dürfen, von denen exemplarisch einige erwähnt seien: Die spanische Währung war nicht der Peso, sondern die Peseta (74); nach dem Bürgerkrieg konnte die Autonomie der "Basken, Galizier [sic!; korrekt: Galicier] und Katalanen" nicht abgeschafft werden, weil nur die Katalanen über Autonomie verfügt hatten (83); der deutsche Konsul in San Sebastián hieß Beihl, nicht Biehl (156); der Vater von Fulgencio Coll konnte unter Franco nicht "Regionalpräsident" von Mallorca gewesen sein, weil es dieses Amt erst seit der Einführung der Demokratie und der Autonomen Gemeinschaften gibt (270); 1936 wurde Manuel Azaña nach dem Sieg der Volksfront nicht "erneut Präsident" (das war Niceto Alcalá Zamora), sondern Ministerpräsident, somit Regierungschef (85); Portugal wurde nicht "zwischen 1580 und 1668" von Spanien regiert, sondern löste sich bereits 1640 wieder von Spanien (123); Don Juan de Borbón, Vater von König Juan Carlos, wird fälschlicherweise (173) als "König" tituliert (was er nie war).

Hinzu kommen einige sprachlich-stilistische Eigenarten, die die Lektüre nicht erleichtern wie der (häufig vorkommende) Wechsel der Tempora. Ein Beispiel: "darauf stellt Garzón einen Haftbefehl für einen Staatssekretär im Innenministerium aus und löste damit..." (207) Wieso dieser nicht nachvollziehbare Zeitenwechsel von Präsens zu Imperfekt?

Eine chronologische Ungereimtheit: Für den Bürgerkrieg übernimmt Bahrmann eine dreigeteilte Phasenzäsur (99): Phase eins von Juli 1936 bis Februar 1937, Phase zwei von Ende 1936 (die teilweise Überlappung mit Phase eins wird nicht erklärt) bis 1. Juli 1939 (was geschah eigentlich an diesem Tag?), Phase drei "umfasste den Guerrillakampf, der bis 1952 dauerte". Diese Einteilung lässt sich in vielerlei Hinsicht anfechten; zumindest hätte sie argumentativ erklärt werden müssen, was nicht geschieht. Schließlich noch ein kurzer Kommentar zur Bibliographie: Diese wird unterteilt in (einige wenige) "wissenschaftliche Arbeiten" und (deutlich mehr) "Bücher". Was der Unterschied zwischen beiden Rubriken sein soll, bleibt unklar.

Betrachtet man das Buch in seiner Gesamtheit, fällt das Ergebnis ambivalent aus. Der Autor kennt sich in der neueren Geschichte Spaniens gut aus, er ist belesen, präsentiert viele Details. Es ist ihm allerdings nicht gelungen, sein Detailwissen zu einer kompakten, überzeugenden Gesamtanalyse zu bündeln, die einer stringenten Argumentation folgt. Vielmehr verliert er sich allzu oft in Anekdotischem, führt begonnene Interpretationsansätze nicht zu Ende, sondern weicht unvermittelt in detailverliebte Nebenaussagen aus, bei denen weit mehr der Journalist als der Wissenschaftler zu erkennen ist. Leider entfiel eine gewissenhafte Endredaktion, die viele formale und inhaltliche Ungenauigkeiten hätte eliminieren können. Eine wissenschaftlichen Kriterien entsprechende, essayhaft gut präsentierte Gesamtschau Spaniens im 20. Jahrhundert - wofür der Autor gute Voraussetzungen mitbringt - ist dieses Buch leider nicht geworden.

Walther L. Bernecker