Jahrzehnte der Gewalt: 1914-1945

Von Martina Steber, Institut für Zeitgeschichte München-Berlin

Hölzerne Vögel umflattern ein detailreiches, handgeschnitztes Standmobile aus Holz. Das Exponat zur Alltagsgeschichte des Ersten Weltkriegs zieht im Museum des Hauses der bayerischen Geschichte in Regensburg die Blicke auf sich. Es wurde von dem russischen Soldaten Ivan Rodosch gefertigt, als dieser 1914/15 im Kriegsgefangenenlager Puchheim unweit von München inhaftiert war. Selbst wenn die Vögel am Mobile gefangen sind, so fliegen sie doch. Das historische Objekt fängt in faszinierender Weise zentrale Facetten der drei Jahrzehnte zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg ein: Krieg, Gewalt, Hunger, Lager und Verschleppung und zugleich Träume von Freiheit, Kreativität und Individualität, das Sich-Aufbäumen gegen die Ordnung der Gewalt. Sprechende Objekte dieser Qualität finden sich eine ganze Reihe in der Regensburger Dauerausstellung, und die Ausstellung ist dort am überzeugendsten, wo sie von solchen Objekten ausgeht. Dies gelingt in der Erzähleinheit zum Ersten Weltkrieg besonders gut, die sich ganz auf die Erfahrungen von Soldaten und ihren Familien konzentriert. Entlang von Alltagsgegenständen, die sich bis heute in vielen Familien erhalten haben, entfalten die Ausstellungsmacher ein vielschichtiges Bild des Kriegsalltags - von der Militarisierung, der Bedeutung von Religion und den Kriegslazaretten über die Kommunikation zwischen "Front" und "Heimat" bis hin zur Mangelwirtschaft. Immer wieder machen Personalisierungen deutlich, dass der Krieg alle betraf und zur alles durchdringenden gesellschaftlichen Erfahrung wurde.

Dieser erfahrungsgeschichtliche Erzählstil wird in den angrenzenden Teilen der Generations-Einheiten 5 (1900-1925) und 6 (1925-1950) indes nicht fortgesetzt, die das Zeitalter von Weltkriegen, gescheiterten Demokratieaufbrüchen, nationalsozialistischer Diktatur und exterminatorischer Gewalt rahmen. Nach einer Leiterzählung durch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie sie das sprechende Standmobile hätte entfalten können, sucht man vergebens. Selbst das verschwisterte Paar von technischem Fortschritt und kultureller Bewahrung, das die Ausstellungserzählung bis dahin als bayerisches Spezifikum dominiert hat, verliert sich in der Darstellung von Ereignissen, Biographien und politischen Gruppen. Es überwiegen politik-, bisweilen auch gesellschaftsgeschichtliche Perspektiven. Die Revolution von 1918/19 wird zu Recht ausführlich beleuchtet, die erste demokratische bayerische Verfassung, die Bamberger Verfassung vom 14. August 1919, mittels eines Medientisches erschlossen. Die Radikalisierung der Revolution in den Räterepubliken des Frühjahrs 1919 sowie in der politischen Etablierung des rechtsextremen Milieus in der "Ordnungszelle Bayern", aus der die NSDAP hervorging und die in Hitlers Novemberputsch 1923 ihren Höhe- und Umschlagpunkt fand, wird adäquat präsentiert.

Problematisch hingegen ist die Deutung der Vorgänge, die den Besucherinnen und Besuchern in kurzen Texten geboten wird. Das liegt zum einen an dem gewollt humorigen Duktus, in dem sie verfasst sind und der den historischen Vorgängen in keiner Weise gerecht wird. So informiert, um ein Beispiel herauszugreifen, der Kapiteltext zu Generation 5: "Im November 1918 wird revoltiert. Kurt Eisner gibt den Ausschlag. Der Berliner jüdischer Herkunft ist Bayerns größter Patriot. Er setzt Frauenwahlrecht und 8-Stunden-Tag um. Am Ende wird es den Bayern zu viel. Kaum drei Prozent an Stimmen erreicht er. Schließlich fällt Eisner einem Attentat zum Opfer. Jetzt ist die Revolution radikal. Und so endet sie auch." Wer sind hier "die Bayern"? Und was wird "den Bayern zu viel"? Wer "revoltiert"? Der "Berliner jüdischer Herkunft"?

Zum anderen wird der Geschichte Bayerns nach 1918/19 ein Narrativ eingeschrieben, das die rechtsextreme Überformung des bayerischen Staates in den ersten Jahren der Republik auf die Demokratiegründung und ihre Aushöhlung föderativstaatlicher Macht zurückführt, mehr noch: in der Weimarer Verfassungsgebung den eigentlichen Schuldigen ausmacht. "14. August 1919. Bayerische Verfassung verabschiedet. Kommt zu spät. Weimarer Reichsverfassung schon in Kraft. Reichsrecht bricht Landesrecht. Bayern grantig!" Das rechte Anrennen gegen die Republik, die antisemitische Politik der "Ordnungszelle", die Fundamentalopposition bayerischer Regierungen gegen die Weimarer Koalition: War dies also bloßer Ausdruck bayerischer "Grantigkeit"? Die Regensburger Ausstellung perpetuiert mithin die problematische Verlusterzählung eines in der Monarchie bestens regierten, weil eigenständigen Staates, die in der Weimarer Demokratiekritik ihren Ursprung hat und in konservativen Kreisen Bayerns lange gepflegt wurde [1].

Obwohl die Ausstellung 1925 eine Zäsur setzt (allerdings ohne sie zu kennzeichnen oder zu begründen), konzentriert sich die Erzähleinheit der Generation 6 ("Diktatur - Katastrophe - Neubeginn" 1925-1950) auf das NS-Regime, die Besatzungszeit und die zweite Demokratiegründung. Die Weimarer Demokratie findet sich allein in Gestalt weniger Referenzen auf ihr Scheitern. Selbst Heinrich Held (1868-1938), BVP-Politiker und Ministerpräsident von 1924 bis 1933 und der sicherlich einflussreichste republikanische Politiker Bayerns, wird nur über sein persönliches Scheitern 1933 angesichts der nationalsozialistischen Machteroberung vorgestellt. Von der Demokratisierung Bayerns unter den Auspizien der konservativen Bayerischen Volkspartei (BVP) seit 1924 erfahren die Besucherinnen und Besucher nichts - nicht von der Fragilität der Demokratie, nicht von ihrer Stärke gerade in den frühen 1930er Jahren. Demgegenüber wird die Geschichte des NS-Regimes vielschichtig dargestellt. Erkennbar ist das Bemühen, unterschiedliche Aspekte der nationalsozialistischen Herrschaft und Gesellschaft einzufangen: die Inklusions- und Exklusionsmechanismen der Volksgemeinschafts-Utopie, Propaganda und individuelle Regime-Begeisterung, Widerstand und Verfolgung, Rassismus, Terror und Krieg. Die vielen Objekte, darunter sehr sprechende Beispiele, die Fotografien, Filme und aufschlussreichen Karten könnten in der Tat ein differenziertes Bild des NS-Regimes in Bayern zeichnen. Dies wird jedoch von zwei Grundentscheidungen der Ausstellungsmacher verhindert: zum ersten durch das Design des Ausstellungsmöbels; zum zweiten durch den Verzicht auf ein erklärendes, einordnendes Narrativ.

Während sich die Ausstellungsmöbel in der übrigen Ausstellung durch Weite, Zugänglichkeit und Übersichtlichkeit auszeichnen, ist für das NS-Regime genau das Gegenteil der Fall. Es handelt sich um ein schräg gestelltes, lang gezogenes Rechteck mit vier Einbuchtungen, in dem mittels Innenwänden Ausstellungsbuchten geschaffen werden. Erklärungen und Nachweise zu den Objekten befinden sich, oftmals in Sichthöhe, auf dem Glas. Um sie zu lesen, muss der Besucher in die Ausbuchtungen treten, die aber kaum mehr als zwei bis drei Personen fassen. Ob der Enge verstellt man schnell die Texte, so dass die Rezeption schon allein deshalb schwierig werden kann. Die Anlage des Ausstellungsmöbels verhindert paradoxer Weise die Beschäftigung mit den Inhalten. Nachdem der Großteil der Objekte im Inneren des Möbels platziert ist, konzentrieren sich die meisten Besucher notgedrungen auf die wenigen Ausstellungsinhalte auf den Außenseiten, die so (ob gewollt oder nicht) besonders hervorgehoben werden. Auf diese Weise wird der Teddybär eines Kindes aus dem Bombenkrieg zum symbolischen Objekt für den gesamten Zweiten Weltkrieg. Die Erzählelemente zum Vernichtungskrieg befinden sich in der Nische nebenan.

Gestalterisch fällt das Möbel zur NS-Geschichte völlig aus dem Rahmen der übrigen Ausstellung. Dies spiegelt sich auch im Duktus des Erzählens. Die Ausstellungsmacher verzichten im NS-Kapitel auf jene zwei zentralen Elemente, welche die Ausstellungskonzeption in allen übrigen Teilen leiten: die gewichtende Hervorhebung einzelner Ereignisse oder Phänomene und ihre Präsentation auf einer "Bühne" sowie die Markierung des spezifisch Bayerischen. Das ist umso verwunderlicher, als Bayern zu kaum einer anderen Zeit stärker auf eine Bühne gerückt wurde als während der NS-Herrschaft: München als Hauptstadt der Bewegung, Nürnberg als Stadt der Reichsparteitage, Landsberg am Lech als Stadt der Jugend, Bamberg als Stadt des Bunds deutscher Mädel, Bayreuth als Ort der Wagner-Festspiele, Garmisch-Partenkirchen als Austragungsort der Winterolympiade 1936, vor allem aber der Obersalzberg bei Berchtesgaden als Hitlers zweiter Regierungssitz. Die NSDAP entstand nicht von ungefähr in Bayern, und die Ausstellung zeigt, wie sich die NS-Bewegung die oberbayerische Tracht als regionalen Identitätsmarker aneignete. Auch dass mit dem ersten Konzentrationslager Dachau ein zentraler Ort des Terrorregimes in Bayern lag, gehört zu dieser bühnenhaften Repräsentation Bayerns im NS-Regime. Diese nationalsozialistische Topographie Bayerns wird kartografisch dargestellt, aber sie wird an keiner Stelle erzählerisch aufgegriffen. Hier aber liegt die Spezifik Bayerns für den Nationalsozialismus, die zu einer Geschichte des "Mia san Mia" genauso gehört wie die der Weißen Rose oder der Freiheitsaktion Bayern, die unter anderem als Beispiele für den Widerstand gegen das NS-Regime angeführt werden. Das Kapitel zum Nationalsozialismus wirkt so wie ein Fremdkörper in der Ausstellung - und damit auch in der Geschichte Bayerns im 19. und 20. Jahrhundert.

Stattdessen versucht sich die Ausstellung an einer Gesamtgeschichte des NS-Regimes in Bayern, die auf dem begrenzten Raum, der zur Verfügung steht, und unter Verzicht auf eine einordnende, leitende Erzählung nur scheitern kann. Gerade hier wäre aber sie von herausgehobener Bedeutung. Auf die zentrale Frage nach dem "Warum?", nach dem "Wie war es möglich?" finden die Besucherinnen und Besucher des Museums kaum eine Antwort. Über den Verweis auf die "Plagen", die diese "Generation" umgetrieben hätten, ist die bayerische Landesgeschichte längst hinaus. Die Ausstellung leider nicht, wie der Kapiteltext zu Generation 6 zeigt: "[A]uf Traumatisierung durch Krieg, Niederlage und Revolution folgen Inflation, Weltwirtschaftskrise und Massenarmut. Sie gebären die Sehnsucht nach dem Messias, der sich als Antichrist entpuppt." Der Dämon Hitler also. Abgesehen von "den Nationalsozialisten" beziehungsweise "der NSDAP" werden keine Akteurinnen und Akteure benannt, die für die Durchsetzung und Implementierung der NS-Herrschaft in Bayern verantwortlich waren. Dafür fehlt nicht der Hinweis darauf, dass "Bayern als letztes Land von Berlin aus 'gleichgeschaltet'" wurde (Einführungstext: Bayern und der Nationalsozialismus). Überall brechen derzeit in den Gemeinden und Städten Bayerns Konflikte um den erinnerungskulturellen Umgang mit NS-Regime, Massenmord und Vernichtungskrieg auf. Zumeist werden die Debatten um die lokalen Eliten geführt, die das Regime in Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung vor Ort getragen haben und die dem Bild des typischen Nationalsozialisten, wie es nach 1945 etabliert wurde, nicht entsprechen. Die Regensburger Ausstellung hätte sich angeboten, Kontinuitäten und Diskontinuitäten über 1933 beziehungsweise 1945 zu thematisieren und dabei wie in der übrigen Ausstellung besonders genau bayerische Charakteristika herauszuarbeiten. Sie hätte dazu auf ein mittlerweile sehr breites Wissen zurückgreifen und als wichtiger Transmissionsriemen zwischen Forschung und Öffentlichkeit wirken können. Es ist schade, dass diese Chance vergeben wurde.

Anmerkung:

[1] Sie findet sich bis heute in Gesamtdarstellungen der bayerischen Geschichte; vgl. Andreas Kraus: Geschichte Bayerns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 4. Aufl., München 2013, 649-656.