Bayern wird Königreich (1800-1825) - Wird Bayern Nation? (1825-1850)

Von Sabine Freitag, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

"Am Anfang war Napoleon" - auch wenn diese These Thomas Nipperdeys gängige Vorstellungen bayerischer Souveränität zunächst in Frage stellt, so führt doch auch im Haus der Bayerischen Geschichte am Kaiser der Franzosen kein Weg vorbei: Durch ihn wird Bayern Königreich. Im ersten Stock des Regensburger Hauses eröffnet ein digital animiertes Gemälde des französischen Malers François-Guillaume Ménageot die Dauerausstellung. Es zeigt die Ziviltrauung der bayerischen Prinzessin Auguste Amalie mit Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais am 13. Januar 1806 in der Münchner Residenz. Die Ambivalenz dieses Ereignisses - die Wittelsbacher empfinden die Verbindung als höchst unwürdig, zugleich erscheint die damit abgesicherte Aufwertung zum Königreich unwiderstehlich - wird durch eingeblendete Kommentare zu den an diesem "Drama" beteiligten Personen kommuniziert: Da muss "die Tochter geopfert" werden, gibt es viel "Missgunst" (Murat), wirkt ein "Strippenzieher" (Montgelas) und rebelliert ein "Spielverderber" (Ludwig). Doch am Ende erweist sich die temporäre politische Beziehung der Wittelsbacher zu Napoleon nicht nur als Fluch in Form von Kriegszügen mit bayerischer Beteiligung, sondern eben auch als Segen in Form eines konsolidierten Flächenstaates und - ein Glücksfall für die Prinzessin - in der Person eines gutaussehenden und charmanten Bräutigams. Und zumindest Bayerns "Willen zur Selbstbehauptung" hat sich in dieser bayerisch-französischen Beziehungsgeschichte bewährt, denn die stets "zur rechten Zeit" erfolgten Bündniswechsel - 1805 zu Napoleon, 1813 zu seinen Feinden - werden als "strategische Meisterleistungen" hervorgehoben [1]. Von dieser Lesart nimmt nun die Erfolgsgeschichte bayerischer Staatlichkeit und damit die Ausstellung ihren Anfang.

Sie beginnt mit der bayerischen Verfassung von 1818. Ihre Einführung und Kontextualisierung nimmt vergleichsweise breiten Raum innerhalb der ersten Generation (1800-1825) ein. Das moderne Bayern, daran lassen die Kuratorinnen und Kuratoren keinen Zweifel, entsteht mit seiner Konstituierung als Verfassungsstaat. Als Leitexponate dienen ein schönes Faksimile des Verfassungsoriginals und die Schmucklade der bayerischen Ständeversammlung (ab 1848 Landtag), in der ein Exemplar der Magna Charta Bavariae aufbewahrt wurde, daneben finden sich Graphiken und erläuternde Schautafeln. Die Verfassung von 1818 wird als "Meisterwerk" [2] eingestuft, obgleich die darin formulierten Garantien (etwa Gleichheit vor dem Gesetz, Religionsfreiheit oder Verdienstbeamtentum) auch in anderen zeitgenössischen Verfassungstexten zu finden sind und die Kompetenzen der bayerischen Ständeversammlung zunächst auf Beratung und Steuerbewilligung beschränkt blieben. Insgesamt 15 Staaten des Deutschen Bundes gaben sich bis 1821 eine eigene Verfassung, doch mit Ausnahme der als Negativfolie dienenden Hinweise auf Preußen und Österreich, die ihre Verfassungsversprechen im Gegensatz zu Bayern bis 1849/50 nicht einlösten, bleiben alle vergleichenden Bezüge zum deutschen Frühkonstitutionalismus in der Ausstellung ausgespart. Weder der Deutsche Bund, noch die deutsche Bundesakte von 1815 und ihr Artikel 13 ("landständische Verfassungen"), noch die Wiener Schlussakte von 1820, in der sich die deutschen Fürsten wechselseitige Bündnistreue im Falle politischer Unruhen zusicherten, finden Erwähnung.

Damit bleibt die Ausstellung hinter ihrem eigenen Anspruch zurück, den Wandel bayerischer Staatlichkeit vor allem in seiner "nationalen sowie internationalen Vernetzung" aufzuzeigen [3]. Stattdessen richtet sie ihr Augenmerk auf die Selbstbindung der bayerischen Monarchen, die künftig bei ihrer Thronbesteigung einen Eid auf die Verfassung schwören - eine, wie es heißt, "einzigartige Geste in Europa" [4]. Den vier ausgestellten großformatigen Herrscherportraits von Max I. Joseph, Ludwig I., Maximilian II. und Ludwig II. kommt die Aufgabe zu, diesen Sachverhalt als Ausdruck einer reformwilligen Obrigkeit zu veranschaulichen. Aber gelingt das?

Die Monarchen tragen zwar keine Krone mehr auf dem Kopf, und die Verfassung ist in der Tat zusammen mit den Kroninsignien (Prunkschwert, Zepter und Krone) auf den Portraits abgebildet, aber lediglich Max I. Joseph stützt seine Hand auf die Verfassung, während sowohl Ludwig I. als auch sein Enkel Ludwig II. das Zepter mit der rechten Hand umfassen und die Hand Maximilians II. gleich auf der Krone liegen bleibt. Wie schwer sich die bayerischen Könige mit ihrer konstitutionellen Einhegung taten und welche Probleme sich aus der Spannung zwischen monarchischem Herrschaftsanspruch und wachsenden bürgerlichen Partizipationsforderungen ergaben, problematisiert die Ausstellung nicht. Dadurch erschließen sich manche "Brüche und Verwerfungen", deren "Beachtung" zum Ausstellungskonzept bayerischer Staatlichkeit gehören soll [5] - etwa die aus dem Hambacher Fest von 1832 resultierende politische Verfolgung demokratisch gesinnter Männer oder die Weigerung Ludwigs I., zum bloßen "Unterschreibkönig" herabzusinken - dem Publikum später nur unzureichend.

Durch die "erzählende Herangehensweise" nahbarer und besser zugänglich werden die "Bühnen" der ersten Generation dort, wo sie die chronologisch an der bayerischen Monarchie ausgerichtete Erzählung der landesväterlichen Fürsorgepolitik verlassen und die Erfahrungsräume der Bevölkerung in den Blick nehmen. Hier wird eingelöst, was von den Kuratorinnen und Kuratoren als "emotionaler Zugang" und "Konkretisierung an persönlichen Schicksalen" [6] beschrieben wird. Dies gelingt in den unterhaltsamen und instruktiven "Kulturkabinetten" (etwa Sprachenvielfalt und Dialekt; traditionelle Feste; Architektur), aber auch in Teilbereichen der Dauerausstellung, die die Alltagsgeschichte in den Mittelpunkt rücken. Eindrucksvolle Originalobjekte, die zum Teil als Leihgaben aus Privatbesitz stammen, versinnbildlichen individuell gelebtes Leben in Bayern, das von der großen Politik direkt beeinflusst wurde. So veranschaulichen Gedenk- und Votivtafeln die leidvollen Kriegserfahrungen der Zivilbevölkerung während der napoleonischen Kriege, aber auch ihren Dank im Falle einer Verschonung vor "Raub, Mordt und Brandt" durch marodierende französische Soldaten. Andere Erinnerungsstücke konkretisieren das soldatische Leben: eine Briefmappe, eine Miniatur, eine Urkunde, eine Pfeife, ein Waffenrock oder auch ein dekorierter Schaukasten aus Unterammergau mit Veteranendenkzeichen aus dem Russlandfeldzug von 1812.

Die "Bühnen" der zweiten Generation (1825-1850), deren Erfahrungsräume kritisch mit der Frage verbunden werden "Wird Bayern Nation?", fallen mit der Regierungszeit Ludwigs I. zusammen (1825-1848), umfassen aber auch diejenige Maximilians II. (1848-1864), gehen also über die rein technisch gesetzte Zäsur von 1850 hinaus. Bayern avancierte, so verdeutlicht es unter anderem eine digitale Karte, die die stufenweisen territorialen Verschiebungen und Zugewinne anschaulich aufzeigt, zum "drittgrößten deutschsprachigen Staat nach Preußen und Österreich" [7]. Die notwendige Integration der heterogenen Landesteile mit ihren unterschiedlichen politischen, kulturellen und religiösen Traditionen steht nun im Mittelpunkt.

Während andere Staaten des Deutschen Bundes auf ähnliche Anforderungen mehr oder weniger pragmatisch reagierten, existiert für die bayerischen Integrationsbemühungen ein besonderes Narrativ, das auch in der Ausstellung aufgegriffen wird. In Bayern strebte Ludwig I. bewusst die Verbindung von Integration und Identität an, denn bekanntlich sollte seine Baulust und seine ausgefallene Kulturpolitik zu dieser integrationsfördernden, übergreifenden Identitäts(er)findung beitragen.

Doch "stiften Denkmäler Identität"? [8] Hier bleiben die Kuratorinnen und Kuratoren kritisch, aber auch etwas unbestimmt. Sie präsentieren zwar zeitgenössische Gemälde und Objekte, die auf die bekannten "Nationaldenkmäler" Ludwigs I. verweisen, etwa Schützenscheiben mit Walhalla, Befreiungshalle oder Bavaria, sparen aber den Hinweis auf das parallel dazu von Ludwig I. bemühte Narrativ eines Bayerns der verschiedenen deutschen Stämme aus, obgleich dieses Narrativ mit der damit verbundenen Förderung regionaler Geschichtsforschung und Denkmäler möglicherweise nachhaltiger zur Ausbildung bayerischer Identität beigetragen hat. Nur das "Kulturkabinett" zur bayerischen Festkultur knüpft an dieses Narrativ an, bezieht es aber einzig auf die Vielfältigkeit bayerischer Festkultur. Doch auch wenn die Beantwortung der komplexen Frage nach Wirkung und Erfolg der monarchischen Integrationspolitiken eine Herausforderung bleibt, die nicht leicht zu meistern ist, so greift die abschließende Einschätzung der Kuratoren und Kuratorinnen gleichwohl zu kurz, wenn sie Ludwigs I. diesbezügliche Geschichtsphilosophie lediglich als zu "verkopft" [9] einstuft.

Einfacher, konkreter und sichtbarer lässt sich natürlich dagegen das Zusammenwachsen des bayerischen Staates über den Ausbau seiner Infrastruktur präsentieren. Karten, Eisenbahn- und Schiffsmodelle veranschaulichen die wirtschaftliche Modernisierung Bayerns in der Frühphase seiner Industrialisierung, zu der neben dem Main-Donau-Kanal vor allem der Ausbau des Eisenbahnnetzes zählte. Dass der von Preußen dominierte Zollverein auch für Bayern den Binnenmarkt vergrößerte, bleibt in diesem Zusammenhang unerwähnt.

Zum Ausstellungskonzept gehören neben den großen Bildern oder "Bühnen" und den in Arrangements zusammengeführten Objekten, "deren Bedeutung sich erst durch die Inszenierung erschließt", die Präsentation "wichtige [r] historische[r] Themen über Medien" [10]. Der Weg medialer Präsentation wird unter anderem für die Darstellung der Revolution von 1848 gewählt. Ein Film im Stile des Scherenschnitts vermittelt in einem eigenen kleinen Kabinett die spezifischen Gründe und Ursachen für die Unruhen - Revolution auf bayerisch. Das unterhaltsame Medium läuft hier allerdings ein wenig Gefahr, die Bedeutung der Ereignisse - immerhin lautet der politische Auftrag des Museums ja, "das demokratische Bewusstsein zu stärken" [11] - durch die Reduzierung auf wenige markante Themen (die Bierpreise und Lola Montez) sowie durch die karikierende Darstellung zu relativieren. Das Ganze gerät zur Posse mit operettenhaften Zügen - in der Tat: "was für ein Theater"! [12] Nur der Ausstellungstext rückt diesen Eindruck wieder gerade, indem er auf die politischen Errungenschaften der Revolution verweist, die Maximilian II. nach der Abdankung Ludwigs I. umsetzen musste.

Überhaupt - für die friedliche Koexistenz von Tradition und Moderne stehen am Ende der zweiten Generation emblematisch die Figur Maximilians II. und ein Bürgertum, das sich selbst als Fortschrittsmotor und Leistungselite begreift. Eines der schönsten, weil sorgsam gearbeiteten Ausstellungsstücke ist eine Reiterstatuette aus Bronze, das den in bürgerlicher Kleidung auf einem Ross sitzenden Maximilian II. zeigt, wie er seinen Zylinderhut zieht. Dass dieser ganz und gar verbürgerlichte Entwurf nie realisiert wurde und stattdessen dem eher klassischen Herrscherportrait Ferdinand von Millers der Vorzug gegeben wurde, ist ein beredtes Zeugnis für die Grenzen möglicher Annäherung von Monarch und Volk. Die Ausstellung macht deutlich, wie stark die bayerische Monarchie nach 1848/49 zu neuen Mitteln ihrer eigenen Legitimierung greifen musste. Wenn einige Exponate Maximilian II. als naturnahen, volkstümlichen Wanderer oder Jäger in Janker und Lederhose zeigen, dann ist an diesem Erscheinungsbild nichts mehr zufällig, alles hat eine Funktion. Auch die "klug inszenierten Königsreisen sollen das Ansehen des Königshauses steigern", wie es im Ausstellungstext heißt. Denn wir befinden uns längst im "bürgerlichen Jahrhundert", von dem auch im Audioguide mehrfach die Rede ist. Erfindungsgeist und bürgerliche Vereinskultur werden durch Exponate wie das nur für wenige erschwingliche exklusive Hochrad und das wenig später massentaugliche Niederrad präsentiert. Und wenn schließlich eine zeitgenössische Graphik den Blick in die Fertigungshalle der Velozipedfabrik in Neumarkt ermöglicht, dann verweist sie schon auf ein Bayern, das bald zum attraktiven Standort für andere Produktionsstätten werden sollte.

Anmerkungen:

[1] Zitate in: HDBG-Magazin Nr. 2/2019: Der Museumsführer, 9, 15 und 18.

[2] Ebenda.

[3] HDBG-Magazin Nr. 3/2019: Museumsgeschichte, 38.

[4] HDBG-Magazin Nr. 2/2019, 18.

[5] HDBG-Magazin Nr. 3/2019, 38.

[6] Ebenda, 39.

[7] HDBG-Magazin Nr. 2/2019, 25.

[8] Ebenda, 27.

[9] Ebenda.

[10] HDBG-Magazin Nr. 3/2019, 39.

[11] Ebenda, 38.

[12] HDBG-Magazin Nr. 2/2019, 29.