Rezension über:

Roy Gibson: Man of High Empire. The Life of Pliny the Younger, Oxford: Oxford University Press 2020, XVIII + 298 S., ISBN 978-0-19-994819-2, GBP 19,99
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Rezension von:
Andreas Klingenberg
Historisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Klingenberg: Rezension von: Roy Gibson: Man of High Empire. The Life of Pliny the Younger, Oxford: Oxford University Press 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 11 [15.11.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/11/34397.html


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Roy Gibson: Man of High Empire

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Plinius der Jüngere ist eine Persönlichkeit der Römischen Kaiserzeit, über die wir besser Bescheid wissen als über die meisten anderen seiner Zeitgenossen. Seine Briefe unterrichten uns über alltägliche Dinge aus dem Leben eines Senators, sind jedoch kein zufällig erhaltenes Zeugnis, sondern für die Veröffentlichung zusammengestellt und redigiert. Es handelt sich somit um eine Selbstdarstellung, getragen und durchdrungen von den Wertvorstellungen, die Plinius mit seinen Standesgenossen teilte. Und doch lässt sich hinter dieser Selbstdarstellung auch der Mensch Plinius entdecken, so verspricht es das hier zu rezensierende Buch. Roy Gibson verfolgt darin zwei Zielsetzungen: Zum einen möchte er "the life of Pliny in its social, historical, and cultural contexts" (xvi) rekonstruieren; zum anderen geht es ihm darum, einen Beitrag zur Biographieforschung selbst zu leisten. [1]

Im ersten Kapitel wird der verfolgte Ansatz begründet: Wie im späteren Mittelalter die Städte Como und Verona darum stritten, die Heimat des jüngeren Plinius zu sein, so bedeutsam seien überhaupt bestimmte Orte für seine Vita gewesen, sie bilden demnach das Leitmotiv für die einzelnen Kapitel. Dieser interessante Punkt wird in einer kurzen Reflexion darüber untermauert, inwieweit eine moderne Biographie einer antiken Person wie Plinius geschrieben werden kann. Zu Recht hebt Gibson hervor, wie sehr Plinius mit Italien verbunden war, nicht nur mit 'Pliny country', wie Ronald Syme die Transpadana bezeichnete, [2] sondern auch mit Umbrien und der Laurentinischen Küste bei Ostia. Zugleich ermöglicht diese Vorgehensweise einen alternativen Aufbau zu einer streng chronologisch aufgebauten "cradle to grave biography" (24), die für antike Personen in aller Regel unmöglich ist.

So ganz kann Gibson der 'klassischen' Anlage einer Biographie jedoch nicht entgehen, und so behandelt er im dritten Kapitel zu Comum vor allem Kindheit und familiäre Herkunft des Plinius, im vierten zu Kampanien dessen Jugend im Haus des Onkels. Mehr als die Prägung des nachmaligen Senators durch die Landschaft steht tatsächlich sehr viel mehr sein Verhältnis zu bestimmten Personen in diesen beiden Kapiteln und deren Einflüsse auf ihn im Mittelpunkt, sei es zum frühverstorbenen leiblichen Vater, den Gibson (wenn auch mit Vorsicht) wie viele andere mit L. Caecilius Secundus aus Comum identifiziert, sei es zum als Vormund auftretenden Senator Verginius Rufus, oder sei es zum älteren Plinius und dessen Schwester, seiner Mutter. Hierbei gelingt es Gibson durchaus, aus den überschaubaren Stellen im Briefcorpus, an denen die genannten Personen behandelt sind, das Beziehungsgeflecht und einige Züge von Plinius' Charakter plausibel herauszuarbeiten.

Bereits in diesen Kapiteln macht sich bemerkbar, was für die restliche Arbeit in besonderem Maße gilt: eine gleichermaßen profunde Kenntnis wie kritische Analyse der plinianischen Schriften, deren Ergebnisse den Protagonisten weder heroisieren noch übermäßig negativ zeigen. Gerade indem Gibson herausarbeitet, welche Faktoren die Selbstdarstellung bestimmen, welche Grenzen und Möglichkeiten Plinius gesetzt waren, vermag er fast ausnahmslos zu nachvollziehbaren Urteilen zu gelangen.

Von Kampanien führt der Weg in Kapitel 5 nach Rom, wo Plinius zunächst bei Quintilian in die Lehre ging und dann eine zwar nicht steile, aber doch beachtliche Karriere machte. Dass sich sein Aufstieg unter Domitian vollzog, wollte der Senator später vergessen machen; jedenfalls gab er sich redlich Mühe, diesen Punkt zu übergehen oder kleinzureden. Unter Traian wurde er Consul, doch stagnierte danach seine Laufbahn; Gibson erkennt in den Briefen dieser Zeit wohl zu Recht einen gewissen Pessimismus, der erst durch die Berufung zum Legaten für die Provinz Pontus et Bithynia ein Ende fand.

In Kapitel 6 steht der Landbesitzer Plinius mit seinen Besitzungen in Umbrien und an der Laurentinischen Küste, im Zentrum der Ausführungen - nicht nur die wirtschaftlichen Aspekte werden hier thematisiert, sondern vor allem die gesellschaftlichen Verpflichtungen des Senators in den und für die umliegenden Orte sowie die literarische Tätigkeit des Plinius, für die er vor allem auf dem Land die rechte Muße fand. Das folgende Kapitel ist noch einmal Comum gewidmet und zeigt das Engagement des großen Sohnes der Stadt für seine Heimat.

Von dort geht es in den Osten, zur erwähnten Tätigkeit als Legat im Nordwesten Kleinasiens. Dank der von dort aus geführten Korrespondenz mit Kaiser Traian, dem 10. Buch der Pliniusbriefe, wissen wir darüber mehr als bei sonstigen Statthaltern oder anderen Funktionären in einer Provinz. Bedeutsam und vielzitiert sind die Anfrage des Plinius über das Verfahren gegenüber den Christen sowie die Antwort des Kaisers, die Gibson deshalb einen eigenen Abschnitt wert sind. Nicht zuletzt hier ist sein ausgewogenes Urteil hervorzuheben, denn er vermeidet es, zu viel aus diesen gleichwohl wichtigen Zeugnissen über eine frühe christliche Gemeinde heraus- oder besser: in diese hineinzulesen.

Bemerkenswert ist das auffallend gering ausgeprägte Interesse des Plinius an "culture, traditions, and identity of his subjects" (221), das hier sicher zu Recht betont wird. Noch in Bithynien oder kurz danach verstarb Plinius und hinterließ vor allem mit seinen Briefen ein Monument, das bereits in der Antike seine Leser und Rezipienten fand, gefolgt von zahlreichen Interessenten in der Moderne. Dies ist Thema des "Envoi", der Plinius abschließend im Kontext antiker Vergleichsfiguren und der modernen Forschung würdigt.

Man merkt dem flüssig geschriebenen und vorzüglich zu lesenden Buch das Vergnügen an, mit dem der Verfasser sich den Schriften und dem Lebensweg des Plinius gewidmet hat. Es gelingt ihm dabei, nicht nur den idealtypischen oder exemplarischen Senator vorzustellen, wie es - durchaus verdienstvoll - viele bisherige Beiträge tun, sondern ihn auch als reale Person zum Leben zu erwecken. Wer sich mit Plinius beschäftigt, wird in Gibsons Darstellung daher einen ausgezeichneten Ausgangspunkt und zahlreiche Anregungen finden.


Anmerkungen:

[1] Beides ist verständlicherweise nicht ganz neu. Aus der reichhaltigen Literatur zu Plinius sei hier nur auf zwei Werke verwiesen: S. Page: Der ideale Aristokrat. Plinius der Jüngere und das Sozialprofil der Senatoren in der Kaiserzeit, Heidelberg 2015 stellt v.a. den Senator, sein Wirken und sein Selbstbild in Mittelpunkt (das Buch ist Gibson offenbar nicht bekannt); R. Winsbury: Pliny the Younger. A Life in Roman Letters, London / New York 2014 ist dagegen an einen eher breiten Leserkreis gerichtet.

[2] R. Syme: People in Pliny, JRS 58 (1968), 135-161, hier 136.

Andreas Klingenberg