Rezension über:

Jörg Zedler: Nützliche Leichen. Monarchenbegräbnisse in Bayern und Belgien 1825-1935 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 109), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022, 559 S., 48 Abb., ISBN 978-3-525-36859-6, EUR 75,00
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Rezension von:
Nina Kreibig
Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Nina Kreibig: Rezension von: Jörg Zedler: Nützliche Leichen. Monarchenbegräbnisse in Bayern und Belgien 1825-1935, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 11 [15.11.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/11/36725.html


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Jörg Zedler: Nützliche Leichen

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Der Tod eines:r Regent:in ist primär eine politische Angelegenheit. Mit diesem Satz könnte die vorliegende Studie zusammengefasst werden. Aktualität erfährt sie durch den kürzlichen Tod der Queen und das Auftreten des neuen Königs Charles III. im Bemühen um die Stabilisierung der Monarchie in jenen Teilen des Commonwealth, die zuletzt von Separationsbestrebungen geprägt waren.

Jörg Zedler legt hierbei eine Untersuchung zu großen Themenbereichen vor: zum einen eine Auseinandersetzung mit dem Tod von Monarch:innen in Bayern und Belgien zwischen 1825 und 1935; zum anderen eine Betrachtung der politischen Verhältnisse im unmittelbaren Kontext dieser Ereignisse. Flankiert werden beide Aspekte durch religiöse, kultur- und medienhistorische Analysen. In sechs Kapiteln zeichnet Zedler detailliert den Ablauf der Begräbnisse und die Rezeption der Tode von elf bayerischen und sechs belgischen Herrscher:innen nach, die anhand der rites de passage nach Arnold van Gennep untersucht werden. Das Augenmerk liegt auf der politischen Inszenierung und Instrumentalisierung der Verstorbenen.

Die Studie geht der These nach, dass sich die Notwendigkeit eines zeremoniellen Auftretens im monarchischen Kontext nicht allein auf die Frühe Neuzeit, sondern auch auf das 19. und 20. Jahrhundert erstreckte. Eine zweite These postuliert, dass dem kollektiven Erinnern umso mehr Bedeutung zukam, je größer der politische Einfluss der Bevölkerung wurde. Einen Vergleich zwischen Bayern und Belgien begründet der Autor mit der politisch unsicheren Stellung beider Länder im 19. Jahrhundert. Die politische Unsicherheit gerade in Krisenzeiten forderte, dass im Todesfall des Herrschers, eine Stabilisierung der Monarchie angestrebt werden musste. Der Erhalt der Ordnung konnte durch Formen der zeremoniellen Repräsentation der Toten erfolgen. Der Fokus der Studie liegt nicht nur auf der staatlichen Intention, sondern rekurriert gleichsam auf die Wahrnehmung eines Todesfalls durch die Gesellschaft. Dies verweist auf die Relevanz der sich entwickelnden Massenmedien. Basierend auf der Annahme, dass zwar primär die Inszenierung des Begräbnisses an die eigene Bevölkerung, sekundär aber an ausländische Mächte gerichtet war, zieht Zedler neben medialen Erzeugnissen, Hausarchiven, Polizei- und Ministerialakten auch diplomatische Korrespondenz heran. Mithilfe eines "Methodenmix[es]" (61) bemüht sich der Autor, unbewusste Denkstrukturen der Akteur:innen herauszuarbeiten. Monarch:innenbegräbnisse betrafen in Bayern und Belgien höfische und staatliche Handelnde, ausländische Gäste, Presse und Bevölkerung.

Ein Schwerpunkt liegt auf den konkreten Abläufen und der Intention des pompe funèbre. Dabei wird ersichtlich, dass der Umgang mit einem Todesfall keineswegs das Individuum in den Fokus nahm, sondern die Behandlung der Verstorbenen primär politischen Interessen galt. Akribisch arbeitet Zedler Unterschiede und Parallelen zwischen beiden Ländern heraus, wenn er auf die Bedeutung der Religion, die Ausgestaltung des Leichenzugs oder die Einbindung auswärtiger Gäste verweist. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts traten bei diesen Ereignissen technischen Innovationen im Bereich der medialen Berichterstattung in den Vordergrund.

Monarch:innenbegräbnisse waren vom Bemühen um Kontinuität geprägt. Dabei macht Zedler zwei Ziele aus: einerseits die Beweisgabe an die Bevölkerung, dass der Regent tatsächlich verstorben war; andererseits das Evozieren emphatischer Empfindungen in der Bevölkerung. Maßgeblich lag die Ausrichtung bei dem Thronnachfolger, der Stabilität der politischen Verhältnisse versprach. Anders sah dies indes im Fall jener Herrscher:innen aus, an die explizit nicht erinnert werden sollte, weil sie, wie im Fall Ottos I., als geisteskrank diagnostiziert waren, oder wie Leopold II. in Belgien ein skandalträchtiges Leben geführt hatten. Unterschiede werden aber nicht nur im Ländervergleich herausgearbeitet, sondern auch in Hinsicht auf die Geschlechter. Bei dem Tod einer Monarchin erfolgte ein verkürztes Zeremoniell und die Inszenierung entbehrte der politischen Konnotation, die das Prozedere im Fall eines verstorbenen Königs auszeichnete, weil der weibliche Tod im vorliegenden Fall nicht die Monarchie gefährdete.

Die Darstellung des Todes folgte anfänglich den (bürgerlichen) Narrativen des guten und schönen Todes, zunehmend auch familiärer Verbundenheit, die sich stabilisierend nach außen richtete und die Frauen als Garantinnen des Zusammenhalts der Familie und der nahbaren Verbindung zur Bevölkerung verstand. Eine "Akzentverschiebung" (305) in der Darstellung der toten Regent:innen kann ab der Mitte des 19. Jahrhunderts konstatiert werden, als das Leben der Verstorbenen eine größere Bedeutung einzunehmen begann als die Präsentation der Toten.

Das 5. Kapitel wendet sich der Bedeutung der massenmedial genutzten Bilder zu, die mit kulturellen und politischen Veränderungen auf die Repräsentation der Monarch:innenbegräbnisse Einfluss nahmen. Die Frage, ob Bilder eine mediale Macht darstellen, die Texten und Ritualen nicht zukommt, beantwortet Zedler affirmativ: Bilder stellen die Umwelt nicht nur dar, sondern konstruieren diese mit. Dabei weist er nach, dass sich die Verbreitung der Bildberichterstattung über Monarch:innenbegräbnisse in politischen Krisenzeiten verstärkte. Zunehmend verdrängte dabei das Bildmotiv von aktiv handelnden Herrscher:innen jenes vom Totenbett und fokussierte zudem ab dem 20. Jahrhundert auf die Darstellung familiärer Kontexte. Ein weiteres Motiv, das ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Bedeutung gewann, war das Publikum selbst, das sich auf den Fotografien wiederfand und mit seiner Teilnahme am Leichenzug durch die Interpretation einer daran ablesbaren Treue die Monarchie stärkte und zugleich als Akteur in Erscheinung trat.

Lag der Zweck der Inszenierung der Begräbnisse in der Stabilisierung der Herrschaft, so bleibt zu klären, wem die "nützlichen Leichen" dienten. Zedler führt neben Hof und Staat, Bevölkerung, Presse und auswärtige Gäste an. Dabei waren nicht alle Verstorbenen gleichwertig von Nutzen. Das Bemühen um eine angemessene Inszenierung war umso größer je relevanter die Verstorbenen für das politische Gefüge waren. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts macht der Autor den Beginn eines "Transformationsprozesses" (452) in beiden Ländern aus, der sich in einem "Charakterwandel der Begräbnisse" (452) darstellt. Ausgelöst wurde dieser Prozess durch den sukzessiven Machtverlust der Monarchien seit 1848, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch "Kommunikationsverdichtung" und intensivierte politische Partizipation der Bevölkerung zum Ausdruck kam (452f.).

Bei dem Werk handelt es sich um eine profunde und dichte Studie, die in zahlreichen Exkursen medientheoretische, kulturwissenschaftliche oder religionswissenschaftliche Überlegungen aufgreift. Dieser reiche Wissensschatz erschwert bisweilen jedoch den Lesefluss. Gleiches gilt für Wiederholungen, die aufgrund der deskriptiven Struktur unumgänglich sind. Obgleich die Erzählstruktur deutlich wird, irritieren bisweilen zeitliche Sprünge und solche zwischen den beiden Königshäusern. Wirft der angestrebte Vergleich beider Länder anfangs Fragen auf, so zeigt sich im weiteren Verlauf, wie gut gewählt dieser Ansatz ist.

Bezüglich des Forschungsstandes orientiert sich der Autor an der gängigen Literatur aus dem Bereich der Sepulkralkultur und Studien zur Politikgeschichte, vertieft aber wiederholt durch interdisziplinäre Exkurse den Erkenntnisgewinn. Dabei zeichnet sich Zedler als Kenner der bayerischen Landesgeschichte und transnationalen Politikgeschichte aus. Obgleich Belgien als Referenzbeispiel für die primär fokussierte bayerische Situation interpretiert werden kann, liegt auch hier eine gründliche Analyse vor. Das reiche Quellenmaterial liefert eine breite Basis für Beschreibungen und Interpretationen.

Dabei hätte der Emotionsgeschichte mehr Augenmerk gewidmet werden können. Hier hätten sich die Konzeptionen eines "emotional regimes" [1] oder einer "emotional community" [2] als nutzbar erwiesen. Als Erweiterung der rites de passage, die Zedler in Bezug auf die Rituale verwendet, wären Turners Ausführungen über die "Schwellenwesen" [3] in der liminalen Phase ein interessanter Ansatz gewesen, auch, wenn Zedler verdeutlicht, dass es eben nicht um Individuen ging. Auch die Entwicklung des Tourismus hätte berücksichtigt werden können.

Der Fokus auf das politische Geschehen in Kontext der Funeralzeremonien lässt eine ausgiebige Gegenüberstellung des regulären (bürgerlichen) Begräbnisses vermissen, die zum Verständnis der Abläufe beigetragen hätte. Im Anbetracht der Fülle der Arbeit ist dies nachvollziehbar. Die Bildanalyse (Kap. 5) besticht durch ihre zahlreichen anschaulichen Abbildungen und lässt erkennen, wie tief sich der Autor in die Materie eingearbeitet hat. Spannend wird es dann, wenn Zedler auf die politischen Krisen und gesellschaftlichen Umbrüche zu sprechen kommt. Allerdings bleibt die Bevölkerung, die er als wichtigen Faktor ausmacht, bisweilen farblos. Hier wäre ein Verweis auf Memorabilien jenseits der Bilderzeugnisse lohnenswert gewesen.

Hervorgehoben werden soll der Umstand, dass sich der Autor auch mit den Königinnen auseinandersetzt. Dieser Umstand ist erfreulich, werden Herrscherinnen dieser Zeitstufe in der einschlägigen Fachliteratur doch noch immer wenig beachtet. Zedler ist nicht der erste, der sich mit den großen Themen Tod, Monarchie und Politik befasst, doch führt gerade die Kombination der hier angewendeten Methoden zu einer ergiebigen und lesenswerten Analyse, die den Forschungsstand zweifelsohne bereichert.


Anmerkungen:

[1] William M. Reddy: The Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001, 129.

[2] Barbara H. Rosenwein: Emotional Communities in the Early Middle Ages, New York 2006, 24.

[3] Victor Turner: Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur. Mit einem Nachwort v. Eugene Rochberg-Halton, übers. v. Sylvia M. Schomburg-Scherf (Theorie und Gesellschaft, Bd. 10), Frankfurt a.M./New York 1989, 95.

Nina Kreibig