Mit der gewichtigen monografischen Arbeit zum Kölner Rathaus und seiner "historischen Umgebung" liegt nunmehr ein weiterer Band der Reihe "Stadtspuren. Denkmäler in Köln" vor. In insgesamt vierzehn Aufsätzen behandeln die Autoren des Buches die wechselvolle, komplexe Baugeschichte des bedeutendsten kommunalen Gebäudes der Stadt. Am Beispiel Kölns wird dabei dem Leser vor Augen geführt, wie sich die Ratsgebäude (domus consulum, domus civium, domus communionis oder domus burgensium genannt) seit dem Ende des 12. Jahrhunderts zu wichtigen Dominanten der mittelalterlichen Städte entwickelten. [1] Neben den Kirchen und wehrhaften Wohnsitzen, die das Stadtbild prägten, gewann das Ratsgebäude oftmals den Charakter eines Symbols städtischer Freiheit und Unabhängigkeit. Nach langen Kämpfen zwischen der Bürgerschaft und den Stadtherrren hatten sich in den wirtschaftlich stärksten Städten Schöffenkollegien und Räte konstituiert. Sie vertraten die Belange der Bürgergemeinde gegenüber der weltlichen Oberherrschaft und setzten die kommunale und rechtliche Selbstverwaltung durch.
Unter dem Titel "Ursprung und Voraussetzungen des mittelalterlichen Rathauses und seiner Umgebung" untersuchen Marianne Gechter und Sven Schütte die mit der Stadtgründung Kölns einsetzende Bebauung jenes Areals, in dem später das gotische Rathaus errichtet wurde. Akribisch belegen sie anhand von Quellen und bauarchäologischen Befunden die "historische Bedeutung" dieses Ortes. Dabei werden unter anderem solch herausragende Bauten wie das Praetorium, die Nutzung dieses Gebäudes in der Merowingerzeit als regia, und die im 4. Jahrhundert nachgewiesene Synagoge behandelt. Erst in karolingischer Zeit, zwischen 770 und 790, ist durch ein Erdbeben die bestehende Bebauung teilweise zerstört worden. Während das Praetorium daraufhin abgerissen wurde, baute man die Mikwe und Synagoge wieder auf. Die noch im späten 8. Jahrhundert entstandenen Quartiere an diesem herrschaftsträchtigen Ort - hier wohnten die jüdische Bevölkerung und wohlhabende Kaufleute - machen deutlich, dass es sich um Personengruppen handelte, die unter königlichem Schutz standen. Ein eigenes jüdisches Viertel bildete sich schließlich im frühen 12. Jahrhundert heraus. In ihm besaß auch die Richerzeche, eine Vereinigung der reichen Kaufleute, ihren Sitz. Zum ersten Mal wird dieses Gebäude nach 1130 als domus in quam cives conveniunt aber auch als domus divitum erwähnt. Die "endgültige Aufgabe königlicher Rechte in Köln und die Übertragung des letzten königlichen Besitzes an die bürgerliche Gemeinde" (171) brachten es mit sich, dass für diesen Bezirk "die Kontinuität als Verwaltungs- und Regierungssitz" immer erhalten blieb und mitten im jüdischen Viertel der Rathausbau entstehen konnte. Methodisch sinnvoll erscheint dabei die topografische Untersuchung dieses städtebaulichen Areals. Nicht zuletzt dadurch gelangen beide Autoren zu neuen Erkenntnissen, mit denen sie die bisherige Forschung korrigieren und um wesentliche Aspekte ergänzen. Der materialreiche Aufsatz (69 - 188) überschreitet die im Buchtitel gewählte zeitliche Eingrenzung erheblich, wird doch die wechselnde Bebauung der "Rathausumgebung" seit der Stadtgründung analysiert. Gerade die komplexe Baugeschichte des Kölner Rathauses lässt den im Titel verwendeten "Gotik-Begriff" problematisch erscheinen, der "im konventionellen Sinn" als "die Gestaltungsweise sakraler und europäischer Architektur des späten Mittelalters" (8) verstanden wird.
Die Baugeschichte des Rathauses bis ins ausgehende 14. Jahrhundert wird von Christoph Bellot ausführlich dargelegt. Dabei kann sich der Autor fast nur noch auf "sekundäre Quellengattungen stützen, da der Gegenstand der Untersuchung materiell kaum noch besteht". (201) An den Saalbau des 14. Jahrhunderts wurden im Laufe der Zeit weitere Gebäudeteile angebaut bzw. bestehende Gebäude dem Rathaus angegliedert. Bis um 1570 entstand somit ein "Konglomeratbau", der die unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen des Stadtregiments in sich vereinte. Allerdings spiegelte seine Architektur nicht die "angemessene Darstellung eines Gemeinwesens" (197) wieder. Lediglich die nach 1571 errichtete Renaissancelaube (im Beitrag von Michael Keine thematisiert) und der gegenüber dem Rathaus aufgeführte "Spanische Bau" (1608 - 15) konnten durch ihre Formensprache den repräsentativen Erfordernissen des Rates und seiner kommunalen Verwaltung entsprechen. Nach dem 16. Jahrhundert war der bestehende Komplex mehrfach erweitert und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Stil des Historismus überformt worden. 1943 und 1945 wurde das wertvolle Rathaus in Köln schwer zerstört. Die erhalten gebliebenen Teile - darunter der Saalbau mit Hansasaal sowie der Turm - sind rekonstruierend in den bis 1975 dauernden Neubau einbezogen worden Daraus ergibt sich für Bellot, aber auch für die anderen Autoren, eine besondere Problematik. Die originale Bausubstanz des Rathauses ist nur noch punktuell vorhanden und erlaubt heute keine komplexe Bauforschung mehr. Die übliche Herangehensweise - der Vergleich zwischen Baubefund und schriftlicher Quelle - ist somit für das Kölner Rathaus nur noch bedingt möglich. Dennoch gelingt Bellot das schwierige Vorhaben, anhand archivalischer Quellen einschließlich der bildlichen und schriftlichen Überlieferung, die Baugeschichte des gotischen Rathauses bis zum 14. Jahrhundert schlüssig zu dokumentieren. Er spannt den Bogen vom domus divitum (zwischen 1310 und 1328/30) - dem Kern des späteren Rathauses - bis zu den Anbauten des 14. Jahrhunderts und gibt einen Ausblick auf das Baugeschehen des 15. Jahrhunderts. Trotz der Vielfalt der Informationen bleibt dank der durchdachten inhaltlichen Gliederung die Übersichtlichkeit für den Leser gewahrt.
Thematisch schließen sich Lucia Hagendorf-Nußbaum und Norbert Nussbaum mit ihrem Beitrag über den gotischen Hansasaal an, "dem im Wiederaufbaukonzept der 60er die problematische Aufgabe zuteil wurde, ein durch Umbauten und Zerstörungen verlorenes historisches Erscheinungsbild in Erinnerung zu halten". (337) Als würdiger Mittelpunkt des gesamten Rathauskomplexes beeindruckte der Saal sowohl durch seine Größe als auch seine reiche Ausstattung. Mit einer Spitztonne überwölbt, nimmt er das gesamte Obergeschoss des Saalbaues ein. Während die Längswände durch Maßwerkpaneele gegliedert werden, präsentiert sich die südliche Schmalseite als aufwändig gestaltete Schauwand mit einer kleinteiligen Baldachinarchitektur und den überlebensgroßen Figuren der "Neun Helden". Auch in diesem Beitrag wird sorgfältig die Baugeschichte des Saales recherchiert, der im "Innern" heute nur "noch einen architektonischen Rest seiner Geschichte" birgt. (376) Während Walter Geis auf die bedeutendsten Bildwerke im Inneren des Rathauses - die "Neun guten Helden" an der Südwand und die Prophetenfiguren an der Nordwand des Hansasaales - eingeht, beschäftigt sich Nicole Buchmann mit der Wandmalerei in diesem Saal, die an der Nordwand nur noch in Fragmenten erhalten blieb. Die Aufsätze zu den "Mobilien des Rathauses" von Ulrike Wirtler und Cordula Kaspar sowie von Gerd Schwerhoff ("Das Kölner Rathaus im Geflecht spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Gerichtsstätten") bereichern das Buch, da hier Themen berührt werden, die von der kunstgeschichtlichen Forschung lange vernachlässigt wurden. Die grundlegenden baulichen Veränderungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fasst Mario Kramp zusammen. Abschließend resümiert Ulrich Krings den Wiederaufbau des Kölner Rathauses nach seiner Zerstörung im zweiten Weltkrieg. Insgesamt gesehen wird der gut bebilderte und mit Anhang versehene Aufsatzband für die weitere Forschung ein unentbehrliches Nachschlagewerk sein.
Anmerkung:
[1] Vergleiche dazu vor allem den Beitrag von Christoph Bellot.
Walter Geis / Ulrich Krings (Hgg.): Köln: Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung (= Stadtspuren. Denkmäler in Köln; Bd. 26), Köln: J.P. Bachem Verlag 2000, 664 S., 560 z. Tl. farb. Abb., ISBN 978-3-7616-1391-7, DM 88,00
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