Hans Baldung Griens Hauptwerk, das noch in situ erhaltene Hochaltarretabel im Freiburger Münster, bildete im letzten Jahr den Ausgangspunkt einer Ausstellung im Augustinermuseum Freiburg, die sich der zwischen 1512 und 1517/18 anzusetzenden Freiburger Schaffensperiode des Künstlers und der angrenzenden Jahre annahm. Schon weil das Retabel nicht von seinem Standort bewegt werden konnte und altdeutsche Tafelbilder allzu fragile Ausstellungsobjekte darstellen, mussten Zeichnungen und Druckgrafik im Mittelpunkt des Interesses stehen. Diese Konzentration legitimierte sich jedoch auch durch die Bedeutung dieser Medien in Baldungs Freiburger Zeit. Denn im zweiten Jahrzehnt entstand ein Großteil der ikonographisch und thematisch höchst ungewöhnlichen Einblattholzschnitte und Helldunkelzeichnungen des Künstlers.
Auch der Aufsatzteil des umfangreichen und vorzüglich bebilderten Ausstellungskataloges reflektiert diese Schwerpunktsetzung: Beatrize Söding analysiert hierin die Entwicklung von Baldungs Zeichenstil und den verwendeten Zeichenmitteln, während Matthias Mende, der bereits 1978 ein mustergültiges Werkverzeichnis der Druckgrafik des Künstlers vorlegen konnte, der Funktion, Verbreitung und der Wahrnehmung von Baldungs Holzschnitten nachgeht.
Beiden Studien vorangestellt findet sich eine Untersuchung Ulrich Södings, in der er Baldungs Umgang mit den verschiedenen Themen- und Stoffkreisen nach stilistischen und ikonographischen Gesichtspunkten beleuchtet. Damit wird zugleich eine Verklammerung mit dem Katalogteil erzielt, der die Zeichnungen und Druckgrafiken zusammenfasst und sie ebenfalls thematisch und chronologisch gliedert.
Gesondert folgen noch einzelne Exponate unterschiedlicher Thematik: Tafelbilder, Scheibenrisse sowie einige Blätter des Karlsruher Skizzenbuches. Der Katalog wird schließlich noch durch zwei objektmonografische Kapitel zum Hochaltarretabel sowie zu dem gleichfalls im Münster bewahrten Schnewlin-Retabel aus der Werkstatt des Künstlers abgerundet.
Wenn Ulrich Södings Einteilung in Themengruppen zunächst auch schematisch anmuten mag, gelingt es ihm auf diese Weise doch, die Eigenart Baldungs, seinen selbstbewussten Umgang mit der Bildtradition und dem wirkmächtigen Vorbild Dürers, anschaulich herauszuarbeiten. Dadurch, dass sich die Betrachtungen nicht auf die Freiburger Jahre Baldungs beschränken, sondern den Bogen von den zwischen 1503 und 1508 liegenden Anfängen in Dürers Nürnberger Werkstatt bis hin zum Spätwerk der Vierzigerjahre spannen, wird auch die künstlerische Entwicklung Baldungs gut verdeutlicht.
Die Freiburger Zeit tritt so hervor als eine Phase, in der der Künstler zwar ikonographische Sonderwege verfolgt, jedoch schon eine souveräne, emotionsgeladene Bildsprache beherrscht, die sich zwischen Stilisierung und Naturbeobachtung bewegt. Auf einen breiteren, humanistisch-voyeuristischen Rezipientenkreis lassen erotisch konnotierte Themenkreise wie die Todesallegorien und Hexendarstellungen schließen, die in dieser Zeit auffallend häufig vorkommen. Wohltuend erweist sich in diesem Zusammenhang der weitgehende Verzicht auf umfangreichere Stellungnahmen zu den vielen Deutungsvorschlägen, die gerade Baldungs Hexenszenen in der letzten Zeit erfahren haben. Forschungsmeinungen finden kurz Erwähnung, ansonsten aber wird eine zurückhaltende Deutung des Dargestellten vorgezogen.
Demgegenüber treten in den detaillierten Beobachtungen Beatrize Södings bereits Ansätze zu Tage, wie eine der grundlegenden Forschungsarbeiten zu Baldung, Carl Kochs Verzeichnis der Handzeichnungen von 1941 [1], zu überarbeiten und um die vielen zwischenzeitlich erfolgten Neufunde zu ergänzen ist, auf die die Autorin in einer Fußnote verweist. Allerdings verdienen einige der von ihr vertretenen Ansichten, nochmals genauer überprüft zu werden. Anders als die Autorin behauptet (vergleiche Seite 74 und Anmerkung 40), existieren von Dürer durchaus einige braungrundierte Pinselzeichnungen wie drei Blätter zu einer Marienkrönung [2]. Auch wenn diese Blätter wohl erst nach 1520 entstanden sind, kann dennoch nicht ganz zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass Baldungs Präferenz für braune Farbgründe auf die Kenntnis von ähnlichen, jedoch nicht erhaltenen frühen Zeichnungen Dürers zurückzuführen ist. In Södings Aufsatz oder an der entsprechenden Stelle im Katalog wäre zudem der Hinweis wünschenswert gewesen, dass das von 1513 stammende Blatt mit der Hexe in Berlin (Katalog Nummer 35) immerhin die erste sicher datierte Rötelzeichnung der deutschen Kunst darstellt. Vor diesem Hintergrund gewinnt Falks These, nach der sich hinter dem Monogramm GK auf einer Basler Werkstattzeichnung jener Georg Koch verbirgt, der sich 1510 in Augsburg nachweisen lässt und 1514 in Basel heiratet, noch größere Plausibilität [3]. Denn Rötel lässt sich gerade in Augsburg schon vereinzelt zu Beginn des 16. Jahrhunderts belegen, sodass Baldung dieses Zeichenmittel über die Vermittlung seines am Freiburger Retabel mutmaßlich beteiligten Gesellen kennen gelernt haben könnte.
Mende richtet in seinem Beitrag den Blick vor allem auf die Verbreitungsweise der Holzschnitte und wirft die interessante Frage auf, ob die Dürer-Monogramme auf einigen frühen Blättern nicht schon zu Lebzeiten Dürers den Druckstöcken hinzugefügt wurden, womit gleichsam das noch geltende Urheberrecht des Werkstatthauptes an den Produkten eines ehemaligen Schülers kenntlich gemacht worden wäre. Baldungs Konzentration auf das Medium des Holzschnittes, seine Experimente mit dem Clair-Obscur-Holzschnitt und die Vorliebe für bestimmte Themenkreise kann Mende als Strategie des jungen Künstlers herausstellen, gerade die von Dürers Druckgrafik nicht gedeckten Marktnischen zu besetzen. Schließlich geben aktuelle Preisbeispiele für Baldung-Holzschnitte, die Mende am Schluss liefert, selbst dem Nichtfachmann eine Ahnung, welche Rarissima eines allzu häufig gering geschätzten, da auf Vervielfältigung zielenden Mediums in der Ausstellung vereinigt wurden.
Zu den Höhepunkten, die der Katalog jeweils mustergültig abbildet und ausführlich bespricht, zählen das ikonographisch singuläre Blatt des von den Engeln in den Wolken getragenen Christus (Katalog Nummer 15) sowie drei Abzüge des Hexensabbats von 1510, zwei verschiedenfarbige Tonplattendrucke und der reine Linienblock (Katalog Nummer 34a-c). Als Entwerfer von Glasmalereien kann Baldung durch einige Scheibenrisse beziehungsweise zeichnerische Vorarbeiten vorgestellt werden, unter denen der originalgroße Karton für das Fenster mit der Kreuzigung über dem Heiligen Grab im Freiburger Münster hervorragt (Katalog Nummer 61). Dass gleich mehrere der kostbaren Helldunkelzeichnungen, aber auch die beiden Basler Todesallegorien (Katalog Nummer 65-66) nach Freiburg geliehen wurden, unterstreicht die wissenschaftliche Relevanz des Ausstellungsprojektes. Es ist daher ein wenig bedauerlich, dass die dem anlassgebenden Werk wie dem Schnewlin-Retabel gewidmeten Aufsätze sich gleichsam nur als Anhang dem Katalogteil anfügen.
In den ausführlichen Beschreibungen und Deutungen der einzelnen Bildtafeln sind geringfügige Doppelungen mit dem Beitrag Ulrich Södings nicht immer zu vermeiden gewesen. Immerhin finden sich die Malereien beider Retabel vollständig farbig abgebildet, die aufgeführten Quellen zur Geschichte des Hochaltarretabels reichen zudem bis in die jüngste Zeit und sind für die Entstehungszeit des Werkes vollzähliger als bei Perseke aufgeführt [4].
Trotz der gebotenen zeitlichen und thematischen Beschränkung ruft die Publikation erneut einen höchst originellen Künstler ins Bewusstsein, der zu den Schlüsselfiguren der frühen Neuzeit am Oberrhein zählt. Zugleich weist sie auf noch bestehende Forschungsdesiderata hin. Fast ungewollt wird dabei zugleich deutlich, warum Baldung eine wenig bekannte Größe geblieben ist. Doch haben sein intellektueller Anspruch, seine pathetischen Neigungen sowie eine oft exzentrisch und glatt anmutende Formensprache es bislang eher verhindert, dass er zu den populären Figuren der Dürerzeit wie Cranach oder Holbein der Jüngere aufrücken konnte. Auch die Freiburger Ausstellung und ihr Katalog, mag man es bedauern oder nicht, werden daran wohl wenig ändern.
Anmerkungen:
[1] Carl Koch: Die Zeichnungen Hans Baldung Griens, Berlin 1941.
[2] Vgl. Friedrich Winkler: Die Zeichnungen Albrecht Dürers. 4 Bände, Berlin 1936-1939, hier Bd. 3, Nr. 338-340.
[3] Vgl. hierzu Paul H. Boerlin/Tilman Falk/Richard Gassen/Dieter Koepplin (Bearb.): Hans Baldung Grien im Kunstmuseum Basel, Basel 1978, S. 62, unter Nr. 34.
[4] Helmut Perseke: Hans Baldungs Schaffen in Freiburg (Forschungen zur Geschichte der Kunst am Oberrhein Bd. 3/4). Freiburg i. Br. 1941, hier S. 4-9.
Saskia Durian-Hess (Hg.): Hans Baldung Grien in Freiburg. Katalog der Ausstellung im Augustinermuseum (19.10.2001 - 15. 1.2002), Freiburg/Brsg.: Rombach 2001, 327 S., 137 Abb., ISBN 978-3-7930-9303-9, EUR 59,90
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