sehepunkte 2 (2002), Nr. 9

Hans-Joachim Giersberg: Friedrich als Bauherr

Der Bau von prachtvollen Kulissen, die pragmatische Nutzungen städtebaulich dekorieren, hat in der Region Berlin-Brandenburg eine lange Tradition. Er ist keinesfalls eine Erfindung der aktuellen Potsdamer und Berliner Schlossfassadendebatten, sondern findet sein Vorbild in den palladianischen Fassadenarchitekturen Friedrichs II. in Potsdam und Berlin. Das zum Wenigsten kann man dem nun wieder und unverändert aufgelegten Buch "Friedrich als Bauherr" von Hans Joachim Giersberg entnehmen, wenn man sich schon nicht von der immensen und intensiv durchdrungenen Faktenfülle, die der Autor mitteilt, überzeugen lässt. Der Band ist die deutlich erweiterte Fassung der 1975 an der damals Ost-Berliner Humboldt-Universität eingereichten Dissertation Giersbergs, die erstmals 1986 unter dem vorliegenden Titel erschienen ist. Im letzten Jahr trat der um die administrative Vereinigung der Schlösserverwaltungen von West-Berlin und Potsdam seit 1995 hochverdiente Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg aus Gesundheitsgründen zurück. Die Neuauflage seines Buches ist eine Art Abschiedsgeschenk des Verlages.

Es handelt sich dabei um ein genaues Reprint, in dem selbst die inzwischen überholten Angaben zu den verwendeten Archiven weder korrigiert noch kommentiert worden sind, wenn etwa das längst in Dahlem wieder vereinigte Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz noch in Merseburg lokalisiert oder das Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen "in Berlin (West)" annonciert wird. Es ist in seiner Art also ein Zeitdokument, bis hin zu der von Giersberg für seine Zeitgenossen konstatierten neuen Begeisterung für die friederizianischen Normentwürfe von Wohnbauten, wo es scheint, als ob der normierte Plattenbau der DDR legitimationssuchend ins 18. Jahrhundert zurückgreift. Als das Buch 1986 anlässlich des 200. Todestages Friedrichs II. erstmals gedruckt wurde, hatte sich in dem vorausgehenden Jahrzehnt in der DDR-Geschichtspolitik ein einschneidender Wandel vollzogen. Die Staats- und Parteiführung versuchte, letztlich um den eigenen, von Militär und Staatssicherheitsdienst abgesicherten "Absolutismus" historisch zu legitimieren, Preußen in das Modell des sozialistischen Geschichtsbildes zu integrieren. Vor allem die strenge, aber aufgeklärte Militärmonarchie Friedrichs II. eignete sich zu diesem Zweck.

In diesem Zusammenhang konnte Ingrid Mittenzwei 1979 ihre Biografie Friedrichs II. veröffentlichen, kam 1980 das in die Gärten von Sanssouci verbannte Reiterstandbild des Königs wieder (fast) an seinen Originalstandort auf der Berliner Straße Unter den Linden. Es musste allerdings wegen einiger Gasleitungen um wenige Meter versetzt werden und steht erst nach einer neuerlichen Restaurierung im letzten Jahr wirklich am originalen Ort. 1986 fand dann im Neuen Palais in Potsdam die große, von Giersberg wesentlich geprägte Ausstellung "Friedrich II. und die Kunst" mit ihrem vorzüglichen Katalog statt. Bis heute ist sie der breiteste Überblick über die Kunst und Kultur des friederizianischen Zeitalters geblieben.

In diesem Kontext steht schließlich auch Giersbergs Buch zur Architekturpolitik des Königs. Was aber fasziniert, ist die politische Eleganz, mit der der Autor - auch sprachlich, wenngleich der Text einen guten, kürzungsbereiten Lektor zweifellos benötigt hätte - die Tücken des DDR-Materialismus hinter sich lässt und die Kraft der Einzelperson Friedrichs herausarbeitet. Selbstverständlich wird auch die Leistung der Architekten und Dekorateure angemessen gewürdigt, vor allem die Rolle Georg Wenzeslaus von Knobelsdorffs und Karl von Gontards als Hauptverantwortliche herausgehoben sowie die Struktur der preußischen Bauverwaltung skizziert. Doch bleibt immer deutlich, wer im Hintergrund die Fäden zieht, wer bestimmt, was gebaut wird: Der König.

Giersberg skizziert dabei einen Bauherrn, der letztlich konservativ geblieben ist und immer neu die Formen seiner Jugendzeit reproduzieren ließ. Die Kolonnaden von Schloss Rheinsberg, der Residenz Friedrichs II. als Kronprinzen, finden sich später in Sanssouci wieder, ebenso das runde Arbeitszimmer. Er beschäftigt zeitlebens die gleiche, französisch orientierte Schule von Dekorateuren. Die den einfachen Bürgerhäusern Berlins und Potsdams vorgeblendeten Schaufassaden, teilweise detailgenau nach Palladio, Piranesi, Blondel, Perrault oder Chambers kopiert, sind dabei als eine Art Architekturmuseum zu verstehen, gedacht, der bürgerlichen Architektur im armen Preußen einen fürstlichen Maßstab zu geben. Dass es Friedrich II. selbst bei Repräsentationsaufgaben mehr auf die malerische Wirkung als auf die akademische Korrektheit ankam, zeigte die (nicht erhaltene) Lustgartenfront des Potsdamer Stadtschlosses, in der ganz gegen alle Regel das Ende einer Doppelsäulenkolonnade nur mit einer einzelnen Säule abschloss. Knobelsdorff warnte vor diesem Verstoß, der König setzte ihn trotzdem durch. Das Potsdamer Stadtschloss wurde im Übrigen nach beträchtlichen Kriegsbeschädigungen erst im Jahre 1960 abgerissen.

Friedrich II. ließ nach Musterbüchern bauen, ohne die grundrisstechnischen oder gar baukonstruktiven Probleme seiner Ideen zu durchschauen. Diese Allgewalt entsprach dem Selbstverständnis eines Herrschers, der auch nach Aussagen seiner Zeitgenossen unfähig war, anderen zu vertrauen oder gar Macht zu delegieren. Die aktuelle Ausstellung über seinen Bruder, Prinz Heinrich von Preußen, in Schloss Rheinsberg (2002), ihr guter Katalog und vor allem die reiche Biografie Heinrichs von Eva Ziebura (1999) geben hierzu ausführliche Belege. Denn wenn einmal sein Beschluss gefallen war, musste er unbeirrt durchgeführt werden. Darüber hielt der König strenge Aufsicht. Die war nicht zuletzt nötig wegen der immensen Verluste, die durch Materialdiebstahl auf den Baustellen beklagt wurden. Allein die Tatsache, dass Giersberg die fachliche Inkompetenz des Herrschers bei gleichzeitigem Gestaltungsenthusiasmus, den Materialmangel und den Klau am Bau erwähnte, muss DDR-Lesern von 1986 ein eigenes Vergnügen bereitet haben, waren dies doch auch im Arbeiter- und Bauernstaat bekannte Probleme.

Architektur als Leidenschaft des absoluten und damit auch absolute Vollkommenheit beanspruchenden wie anstrebenden Herrschers ist gewiss keine Besonderheit Friedrichs II. gewesen, zumal dessen Begeisterung für die Literatur und die Musik deutlich ausgeprägter waren. Das ist auch an seinen dilettantischen Architektur-Skizzen zu sehen, denen selbst begeisterte Preußen-Anhänger keine künstlerische Qualität zubilligen können. Der König zeichnete, Giersberg bemerkt es treffend, als Aktenvermerk. Doch Friedrich beherrschte eben weit über die Architektur hinaus seinen Staat, und das war dann doch etwas Besonderes, das ihn zum idealen Bezugspunkt für den autoritären Sozialismus machte. Giersbergs Buch nutzt diese Gelegenheit gekonnt aus, informiert über die vielen Bauprojekte, ihre verwickelte Geschichte, die oft verzweifelten Versuche der Architekten, ein wenig Autonomie zu erhalten. Die meisten dieser Forschungsergebnisse sind längst Standard geworden, manche waren es schon vorher, vor allem auf Grund der Monografie von Friedrich Mielke über das Potsdamer Bürgerhaus (1972). Dennoch lohnt es sich, den Band zu lesen, gerade wenn man sich die Mühe macht, zwischen den Zeilen nach dem DDR-Friedrich zu suchen.


Rezension über:

Hans-Joachim Giersberg: Friedrich als Bauherr. Studien zur Architektur des 18. Jahrhunderts in Berlin und Potsdam, Berlin: Siedler 2001, 341 S., 248 s/w- Abb., ISBN 978-3-572-01239-8, EUR 15,00

Rezension von:
Nikolaus Bernau
Berliner Zeitung
Empfohlene Zitierweise:
Nikolaus Bernau: Rezension von: Hans-Joachim Giersberg: Friedrich als Bauherr. Studien zur Architektur des 18. Jahrhunderts in Berlin und Potsdam, Berlin: Siedler 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 9 [15.09.2002], URL: https://www.sehepunkte.de/2002/09/3038.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.