Umweltgeschichtliche Studien beziehen ihren Reiz nicht zuletzt aus der Tatsache, dass sie sich auf dem Schnittfeld mehrerer historischer Teildisziplinen befinden. Hier kreuzen sich Fragestellungen der Technik- und Wirtschaftsgeschichte mit kultur-, mentalitäts- und gesellschaftshistorischen Themen, können die traditionelle Jagd- und Forstgeschichte sowie die politische Herrschaftsgeschichte in einen Dialog treten mit neueren klimahistorischen oder naturwissenschaftlich-geologischen Herangehensweisen. In dem Buch von Radkau, der aktualisierten und um ein Nachwort (423-452) ergänzten Ausgabe der vor zwei Jahren erschienenen Ursprungsfassung, werden diese Vielschichtigkeit der Perspektiven und Komplexität der Probleme in besonders anregender Weise vorgeführt.
Der Autor ist bisher als einer der besten deutschen Kenner der neuzeitlichen Wald- und Forstgeschichte sowie technikgeschichtlicher Zusammenhänge hervorgetreten. Von diesem Fundament ausgehend werden nun umfassend die zentralen umweltpolitischen Konstanten Klima, Wasser, Boden und Wald sowie die Grundfragen nach Nachhaltigkeit und Naturverträglichkeit von Energiegewinnung und Nahrungsmittelproduktion bei sich beschleunigendem Bevölkerungswachstum aufgegriffen und zu einem interessanten, welt- und epochenumspannenden Gesamtbild verwoben. All dies geschieht quellennah und in souveräner Kenntnis um die moderne Forschungsliteratur (auch wenn diese leider nicht durch ein eigenes Literaturverzeichnis erschlossen ist). Es versteht sich, dass das Buch dabei problem- und strukturorientiert verfährt. Die Beschreibungen von Zuständen und Entwicklungen stehen immer in Verbindung mit der Diskussion der einschlägigen umweltgeschichtlichen Hypothesen und Theorien.
Das Panorama, das nach einer einleitenden Problemskizze (Kapitel I, 11-51) entfaltet wird, und mit dem die (chronologisch nicht völlig linear ablaufenden) "Großepochen der Umweltgeschichte" (52) abgesteckt werden, beginnt bei den Gesellschaften der Subsistenzwirtschaften (Kapitel II, 52-106), die vor allem von religiösen Ritualen und dem natürlichen Jahresablauf geprägt gewesen und deren grundlegende Gepflogenheiten für viele bis ins 19. Jahrhundert hinein maßgeblich geblieben seien. Andererseits sei es aber schon im Europa der Frühen Neuzeit zur modifizierenden Einflussnahme staatlicher Instanzen auf die tradierten Lebensformen gekommen (Kapitel III, 107-182). Anders als in den meisten frühen Hochkulturen Chinas, Ägyptens oder Perus, wurde hier insbesondere die rechtliche Ordnung der Wasser- und Forstaufsicht zu einem "Eckpfeiler der Staatenbildung" (107). Der Blick auf die Umwelt wurde so zunehmend ein rechtlich-politischer.
Den dritten umwelthistorischen Entwicklungsstrang begründete der europäische Kolonialismus (erörtert in Kapitel IV, 183-225). Er habe nicht nur ein weiteres Element der bewussten Störung der Selbstregulierungskräfte der Subsistenzwirtschaft in den kolonisierten Ländern gebildet, sondern auch viele unbeabsichtigte Wirkungen verursacht, etwa zur "biologischen Invasion" (182) regionsfremder Arten geführt. In den Kolonialmächten selbst sei dadurch ein umwelthistorischer "europäischer Sonderweg" (216) untermauert worden, in dem sich gesellschaftliches Überlegenheitsgefühl, politisch-institutionelle Stärke und ein langfristiger wirtschaftlicher Aufschwung verstärkt hätten durch im Vergleich zur "Dritten Welt" vorteilhafte Naturdeterminanten.
Die Kapitel V und VI (226-340) führen uns unmittelbar an die heutige Zeit heran. Sie skizzieren die Entstehungs- und Rahmenbedingungen der modernen Industriegesellschaften, die mehr und mehr an die Grenzen der Naturreserven stoßen, gleichzeitig aber beinahe durchgehend Ökologie als Problem thematisieren (von den Apologetiken des ausgehenden 18. Jahrhunderts bis hin zur "Öko-Bewegung" mit ihren ganz eigenen wissenschaftlichen, spirituellen und materiellen Wurzeln). Die gegenwärtige Lage werde dabei neu definiert durch die Globalisierungstendenzen mit ihren zwiespältigen Folgen: den Möglichkeiten wie Gefahren gegenseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit, moderner Techniken, umfassender Entwicklungspolitik und kulturell-touristischer Vernetztheit.
Was das Buch so wohltuend von den hysterischen Kassandrarufen der ständig "betroffenen" Öko-Protagonisten abhebt, ist seine Grundskepsis gegenüber einfachen Erklärungsmustern. Vieles wird als "Öko-Mythos" (432) entlarvt. Alle Problembereiche werden differenziert beurteilt und behutsam interpretiert. Das heißt beileibe nicht, dass es Radkau an scharfem Bewusstsein für tatsächliche ökologische Gefahren mangeln würde. Und es bedeutet auch nicht, dass er angesichts der Aktualität des Themas nicht zu klaren Worten und dezidierten Einschätzungen in der Lage wäre; die Sprache des Buches ist erfrischend klar, engagiert, durchaus zu plastischen Zuspitzungen fähig. Aber Radkaus differenziert- skeptische, das heißt historisierende Herangehensweise macht viele Umweltprobleme und ihre vielgestaltigen Verflechtungen überhaupt erst sichtbar, indem sie Ideologiekritik auch gegen die vermeintlichen Ideologiekritiker anwendet.
So gelten ihm etwa die Maya keineswegs als die oft besungenen Ökovorbilder, sondern werden in ihren sozialen, kulturellen und ökonomischen Zusammenhängen verortet; ihre "altbewährten Methoden" der Brandrodung, mit denen sie lange Zeit eine angemessene und umweltverträgliche Nahrungsmittelbeschaffung organisierten, hätten letztlich zu Reaktionsunfähigkeit geführt und zum eigenen Untergang mit beigetragen (43f., 435ff.). Andererseits sei zum Beispiel die Schweinemast, die immer wieder als Element der Waldzerstörung gegeißelt wird, bei genauerer Betrachtung geradezu ein Beitrag zum Erhalt des Waldes gewesen, weil viele Eichenhaine ihre Existenz erst der Schweinezucht verdankten. Das Schwein gehöre zu den "unbekannten Helden der Umweltgeschichte" (76f., 442).
Auf Grund seines distanzierten zeit- und regionsübergreifenden Zugangs kann Radkau zudem eindringlich herausarbeiten, dass die unberührte Natur seit jeher ein ideologisches Konstrukt ist. Menschen hätten stets - wenn auch mit einem ständig abnehmenden Grad an umweltbewahrender "Trägheit" (40f.) - die Natur verändert, wobei die angeblich "zerstörte" Natur oft diejenigen Landschaften hervorgebracht habe, die heute als ursprünglich und ökologisch wertvoll erachtet würden. Aus all dem wird ersichtlich, wie sehr es bei der Betrachtung von Umweltpolitik auf die Interdependenzen von Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft und auf eine "Historisierung der Ökologie" (39) ankommt.
Dem Fassettenreichtum und dem gewollten "vagabundierenden Blick" (8) des Buches entspringt freilich eine gewisse Unübersichtlichkeit. Manchmal vermisst man einen stärker konturierten roten Faden, und nicht selten verliert sich der Leser etwas in Gedankensprüngen, die zwar intellektuell reizvoll sind und exkursartig viele wichtige Probleme ansprechen, die aber mitunter auch assoziativ und verwirrend wirken. Das Buch ist mehr ein großer "Steinbruch" von instruktiven Interpretationen und anregenden Gedanken, weniger eine abgerundete Analyse. Es eröffnet mehr Diskussionsfelder und bildet eher Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für weitere umweltgeschichtliche Forschungen, als das Thema systematisch zu resümieren.
Dennoch überwiegt der positive Eindruck bei weitem. Radkau hat ein ambitioniertes Projekt gewagt, und er hat damit gewonnen. Er hat der Umweltgeschichte neue Sichtweisen erschlossen und auf entscheidende Punkte aufmerksam gemacht: auf die Vielgestaltigkeit der Probleme, die einfache Bewertungen schlechterdings verbietet; auf die wissenschaftsgeschichtlich bemerkenswerten Möglichkeiten von moderner, die historischen Disziplinen verbindender Umweltgeschichte; nicht zuletzt auf die Notwendigkeit eines komparatistisch-weltgeschichtlichen Herangehens in einem Problembereich, der seit je keine nationalen Grenzen kennt.
Joachim Radkau: Natur und Macht. Eine Weltgeschichte der Umwelt, München: C.H.Beck 2002, 469 S., 2., akt. u. erw. Aufl., ISBN 978-3-406-48655-5, EUR 19,90
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