Die westfälischen Freistühle und die von ihnen ausgehende Femegerichtsbarkeit konnten gegen Ende des Mittelalters einige Bedeutung erlangen. Die unter Königsbann agierenden "heimlichen Gerichte" genossen zeitweilig die Förderung der Kaiser und verfügten über ein ganzes Netz "wissender" Freischöffen, die auch zur Vollstreckung von Urteilen berechtigt waren. Vor allem im 15. Jahrhundert wurden in Westfalen Prozesse aus dem ganzen deutschen Sprachraum anhängig gemacht. Kaiser Sigismund trat selbst in den Kreis der "Wissenden" ein, und erst unter Friedrich III. begann eine Politik der Zurückdrängung.
Über diese Thematik scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen zu sein. Zwar gilt das Werk Theodor Lindners, der dem Phänomen bereits vor über 100 Jahren viel von seinem volkstümlichen Schauer nahm, bis heute als maßgeblich, gleichwohl haben sich bis in die jüngste Zeit weitere Autoren geäußert. Wilhelm Janssen konstatierte in seiner Einleitung zur Neuausgabe des Werkes von Lindner, die Entstehung der Freigerichte bleibe nach wie vor unklar, während neuere Forschung zu Wesen und Wirken der Feme Lindner nur bekräftigt hätten. Dessen Darstellung der weitgehenden Harmlosigkeit einer Verfemung erscheinen allerdings im Licht der jüngeren Forschung zumindest fragwürdig. Volker Trugenberger stellte anhand einer Reihe von Fallbeispielen dar, wie die Femeurteile auch in süddeutschen Konfliktlagen wirken und das Handeln der Beteiligten beeinflussen konnten. Den aufwändigen Abwehrkampf der Stadt Frankfurt gegen die Einflüsse der Feme, welcher zugleich deren Relevanz dokumentiert, schilderte Richard Gimbel. Zuletzt zeigte Erika Münster-Schröer anhand eines niederrheinischen Hexenprozesses, dass die Feme auch nach Gründung des Reichskammergerichtes ihre Wirkung noch entfalten konnte. Insbesondere die Einbettung der Freigerichtssprüche in die Mechanismen von Schlichtung und Verhandlung stellte offensichtlich ein wichtiges Moment dar. Was die Einbettung der Feme in die kaiserliche Landfriedenspolitik betrifft, so ist das Ausmaß der Ambitionen insbesondere Karls IV. bis zuletzt strittig geblieben. Wilhelm Hanisch veranschlagte es in Abgrenzung zu Johanna Naendrup-Reimann hoch, wogegen sich wiederum Johann Peter Wurm wandte. Karl-Friedrich Krieger sah die Feme zumindest zeitweilig auf dem Weg zu einer reichsweiten Gerichtsbarkeit.
Angesichts dieser Forschungslage muss eine über 300 Seiten starke Publikation zum Thema "Feme", auch mit Blick auf die in den letzten zehn Jahren eingetretenen Editionsfortschritte, etwa der Regesta Imperii oder der Regesten der Erzbischöfe von Köln, Neugier auslösen. Fricke, hervorgetreten mit einer Reihe allgemein beachteter Arbeiten insbesondere zur süderländischen Freigrafschaft um Lüdenscheid, tritt mit dem Anspruch einer Gesamtwürdigung nicht nur der spätmittelalterlichen Feme, sondern auch ihres modernen Wiedergängers in Gestalt politisch motivierter "Fememorde" an. Er gliedert seinen Stoff in sechs Abschnitte unter den Überschriften "Legende" und "Wirklichkeit", "Macht" und "Ohnmacht" sowie "Ruhm" und "Nachruhm". Diese Titel stellen eher griffige Begriffspaare als klare inhaltliche Kategorien dar. Während zunächst die legendäre Einsetzung der Freigerichte durch Karl den Großen thematisiert wird, steht dem als "Wirklichkeit" nicht eine Annäherung an die modernen Entstehungstheorien gegenüber, sondern ein Abriss, der bereits den Bogen bis in das 16. Jahrhundert spannt. Das Kapitel "Macht" thematisiert zwar dem Untertitel nach den Höhepunkt der Feme während der Regierung Kaiser Sigismunds, tatsächlich wird hier jedoch auch über die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts gehandelt. Das Kapitel enthält eine sehr hilfreiche strukturelle Darstellung der Organe und Institutionen der Feme. Im Kapitel "Ruhm" werden die für die Thematik bedeutenden Kaiser sowie andere in Femeangelegenheiten verwickelte historische Berühmtheiten neben bedeutende Forscherpersönlichkeiten und deren Aussagen zur Femethematik gestellt. Unter dem Stichwort "Nachruhm" handelt Fricke schließlich sämtliche neuzeitlichen Rezeptionen des Themas und schließlich auch die genannten Mordtaten des 20. Jahrhunderts ab.
In den gut 60 Seiten Textdarstellung sind zwar zahlreiche, teils sehr ausführliche Literaturzitate aus einschlägigen Arbeiten enthalten, gleichwohl meidet Fricke eine offene Darstellung der bestehenden Kontroversen wie auch eigene Stellungnahmen hierzu. Zudem werden Werke und Autoren zwar ständig angeführt, die relevanten Stellen jedoch nie präzise belegt. Beim konkreten Fallbeispiel, da, wo die Chance zur Anschaulichkeit bestanden hätte, bleibt es bei Andeutungen: Weder im Falle des "Vetternkriegs" der bayerischen Herzöge noch der Westfalenreise Oswald von Wolkensteins werden die zu Grunde liegende Konfliktlage und das genaue Handeln der Beteiligten in Bezug auf die Femegerichte deutlich. Ebenso irritiert, dass Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach zu den Mehrern des Ruhmes der Feme gezählt wird, obgleich dessen einzige im Buch erwähnte Handlung gerade die Abforderung einer Femesache vor seine eigenen Freischöffen ist.
Der im Titel formulierte Anspruch, das Thema vornehmlich in bildlichen Darstellungen zu fassen, wird bereits im Vorwort dahingehend relativiert, dass streng genommen nur die eine, allgemein bekannte Darstellung eines Femegerichtes aus dem Stadtarchiv Soest existiere. Gleichwohl hat Fricke mehrere hundert Bilder zusammengetragen, die in sechs Bildteilen auf die jeweiligen Textkapitel folgen und jeweils ausgiebig kommentiert sind. Randziffern im Textteil verweisen auf die entsprechende Illustration. Das Gros machen Archivalien, Personendarstellungen sowie Stadtansichten aus. Von letzteren finden sich über sechzig, womit aber lediglich die Tatsache "dokumentiert" wird, dass Städte Schauplätze historischen Geschehens rund um die Feme waren. Für die zahlreichen Königs- und Fürstenbildnisse gilt Entsprechendes. Diejenigen Bildquellen, in welchen tatsächlich ein unmittelbarer Femebezug greifbar ist, hätten auf wesentlich knapperem Raum präsentiert werden können. In den Bildkommentaren werden eine Vielzahl interessanter Details zur Thematik mitgeteilt, erhellende Fallbeispiele jedoch wiederum nur unvollständig und verstreut angeführt. Zudem thematisieren die Texte die unterschiedlichsten Nebensächlichkeiten von der "Schönheit" eines Siegels bis hin zu dem Hinweis, dass das abgebildete Schriftstück "gut lesbar" sei, wobei der Kommentar gelegentlich in den Ton von DuMont-Reiseführern verfällt.
So bleibt insgesamt ein zwiespältiger Eindruck. Fricke verfügt über ein reiches Wissen zur Thematik, hat es aber nur unvollkommen verstanden, dieses in organisierter Form darzubieten. Symptomatisch ist, dass sich in verstreuten Aussagen durchaus die Kenntnis von Phänomenen wie der Territorialisierung der Jurisdiktion oder der Entwicklung der Reichsjustiz zeigt, dass in einem Untertitel aber gleichwohl formuliert wird, "Hoffart und Übermut" der Freigrafen hätten zum Verfall der Feme geführt.
Dennoch kann das Werk allen, die sich zukünftig mit dem Thema auseinandersetzen werden, empfohlen werden. Denn das beigegebene Literaturverzeichnis weist die relevanten Arbeiten von alten Werken und abseitigen Detailstudien bis hin zu den oben genannten Arbeiten gewissenhaft aus. Hier finden sich auch die in Deutschland zu wenig beachteten niederländischen Arbeiten Johanna Kossmann-Puttos. Auch die Versammlung von Bildern und Bildquellen zur Rezeptionsgeschichte dürfte in dieser Form einmalig sein. Sie umfasst Darstellungen des 19. Jahrhunderts ebenso wie Denkmäler und Gedenktafeln für Freistühle, Theaterprogramme bis hin zu Buchtiteln und Devotionalien. Ergänzt wird sie im Textteil durch Hinweise auf Gedichte und Dramen sowie die modernen Verwendungszusammenhänge des Femebegriffs. Eine Aufarbeitung des neuzeitlichen Fememythos könnte hier ebenso ansetzen wie Vermittlungsarbeit etwa in Museen oder Ausstellungen.
Eberhard Fricke: Die westfälische Veme im Bild. Geschichte, Verbreitung und Einfluss der westfälischen Vemegerichtsbarkeit, Münster: Aschendorff 2002, 336 S., 400 Abb., ISBN 978-3-402-06900-4, EUR 34,80
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