Kunsthistoriker, die dreidimensionale Objekte untersuchen, sollten nicht nur, wie üblich, an der Qualität der Abbildungen in ihren Büchern interessiert sein, sondern auch daran, aus welchen Blickwinkeln sie aufgenommen wurden - eine goldene Regel, die viele von uns oft vergessen. Es ist deshalb erfrischend, dass die Illustrationen in Michael Coles neuer Monografie über Cellini ungewöhnliche Perspektiven anbieten: Diese Bilder versprechen originelle Gedanken über sehr beliebte aber auch sehr bekannte Kunstwerke - wie etwa das Salzfass, das vor kurzem im Wiener Kunsthistorischen Museum gestohlen wurde - und der Leser wird nicht enttäuscht. Es ist nicht einfach, etwas Neues über Cellini zu schreiben, weil die Laufbahn des Künstlers durchaus, vor allem in seinen autobiografischen, literarischen sowie theoretischen Schriften, bestens dokumentiert ist. Michael Cole hat jedoch eine methodische Position entwickelt, mit der er alte Themen - wie Cellinis selbstbewusste Konstruktion seiner eigenen theatralischen Persona - neu darstellen und erproben kann. Wenigstens seit dem bahnbrechenden Buch von Stephen Greenblatt über Renaissance self-fashioning sind die rhetorischen Strategien literarischer Texte der Frühen Neuzeit zum einem entlarvt und zum anderen als Teil einer metadiskursiven historischen Realität neu bewertet. Ein Verdienst von Coles Cellini and the Principles of Sculpture ist es, von dieser kritischen Distanz zu den Quellen profitiert zu haben: Wenn die 1985 erschienene Standard-Monografie von John Pope-Hennessy - eigentlich eine illustrierte Zusammenfassung der Autobiografie Cellinis - die Kunst des begabtesten Goldschmiedes des 16. Jahrhunderts noch als einen Kommentar, sogar einen Reflex des abenteuerlichen Lebens des unruhigen Künstlers inszenierte, versteht und analysiert Cole die professionelle Selbststeigerung (the professional trajectory) Cellinis durch seine Werke, und nicht nur durch seine Schriften, im Kontext der florentinischen Skulptur seiner Zeit. Die Kunst Cellinis ist nicht so sehr self-referential, weil sie die Erfahrungen ihres Schöpfers angeblich "widerspiegelt", wie man manchmal in der alten und veralteten Literatur lesen kann, sondern weil sie auch Kommentar der künstlerischen Praxis sowie der Kunsttheorie seiner Zeit ist.
Vor einigen Jahren hätte man dieses Buch vermutlich als einen postmodernen Text beschrieben, aber man muss seinen Titel genau abwägen: Es handelt sich nicht um "Deconstructing Cellini", "Reframing Cellini", "Rethinking Cellini" oder etwas Ähnliches, sondern um den Künstler und die Prinzipien der Skulptur. Der Titel vermittelt die Klarheit und kristalline Struktur des Buches. Die Monografie stellt sich in eine andere Tradition, nämlich die der Studien von Michael Baxandall über die Beziehung zwischen Kunst und Rhetorik, von David Summers über die theoretischen Begriffe der Frühen Neuzeit und von Robert Williams über Techne und Metatechne in der italienischen Kunst des 16. Jahrhunderts. Es wäre jedoch ein Fehler, Cole als einen Epigonen dieser Strömung wahrzunehmen. Sein Ansatz unterscheidet sich auch von dieser Tendenz, weil der Autor von den Kunstwerken ausgeht, um die Texte zu beleuchten, und nicht umgekehrt. Während andere kunsthistorische Studien die Kunsttheorie bereits tief greifend untersucht haben, sich dabei aber oft von der Praxis abkoppeln, versucht Cole, Form als Bedeutungsträger wieder in den Vordergrund zu stellen. Die künstlerischen Medien spielen deshalb eine zentrale Rolle in seiner Analyse: Metall, Marmor und Zeichnung verlangen jeweils eine eigene Art von Aufmerksamkeit und bedingen unterschiedliche Fragestellungen. Doch für den Autor sind die Materialien Cellinis nicht das Hauptthema seines Buches; es geht ihm stattdessen um die denotative Zusammenarbeit von Medium und Inhalt: nicht das Medium, sondern der philosophische Akt (action) des Künstlers, seine Verfahrensweisen (procedures) stehen im Zentrum der Untersuchung. Und diese Verfahrensweisen sind nicht nur kunsthistorisch konnotiert, Cole deckt auch ihre Verflechtungen mit medizinischen, alchimistischen und politischen Diskursen der Zeit auf.
Jedes der vier Kapitel ist einem Medium und einer Verfahrensweise gewidmet: Metall, Goldschmiedekunst und der composizione; Bronze, Kolossalskulptur, Gießen und dem paragone; Marmor, Meisterschaft und der difficultà; disegno, Tugend und dem philosophischen Akt. Jedes Kapitel ist so kompakt geschrieben, dass eine Zusammenfassung des Inhalts in einer kurzen Rezension unmöglich ist; man kann die Lektüre dieses komplexen Buches nur dringend empfehlen. Die vorzügliche Analyse der Kunstwerke Cellinis entfaltet sich auf verschiedenen Ebenen, die miteinander verbunden sind: Das Talent des Autors für formalanalytische Beschreibungen schließt ikonographische, rezeptionsgeschichtliche und metahistorische Interpretationen nicht aus. Im Gegenteil, es ist die Verflechtung dieser verschiedenen hermeneutischen Strategien, die das Buch besonders reizend machen. Der Text fließt, weil die Argumente in einer soliden Art konstruiert und seine Sätze glänzend geschrieben sind. Es ist fast Literatur, ohne an wissenschaftlicher Substanz zu verlieren.
Ab und zu fragt sich jedoch der Leser, ob manche Interpretationen nicht überdeterminiert sind. Der Inhalt des zweiten Kapitels (Casting, Blood, and Bronze) wurde bereits 1999 in anderer Form in einem Artikel für das Art Bulletin publiziert, und diese elegante Schrift (Cellini's Blood), die aus lauter Bescheidenheit in der Bibliographie nicht einmal aufgelistet ist, hat zu Recht den Arthur Kingsley Porter Prize der College Art Association verdient. Es stellt sich immerhin die Frage, ob all die subtilen Beobachtungen des Autors relevant sind. Wenn die allgemeine These überzeugt, erklärt wirklich das Zitat aus den Studien von Mircea Eliade über die Rolle des geopferten Blutes im Metallgießen die Ergebnisse des florentinischen Künstlers? Cole schreibt (69): "Metempsychosis, the transfer of life from one being to another, is an almost primordial strategy in metal forging; Eliade's discussion of the importance of animal and human oblations in various cultures' founding rituals offers a way to normalize Cellini's own act of creation." Es ist wahr, dass der Goldschmied von alchimistischen Prozessen (wahrscheinlich aus professionellen Gründen), Magie und sogar schwarzer Kunst fasziniert war, aber es besteht der Verdacht, dass die Hermeneutik Coles manchmal die "Goldsmith's Intelligence", um seinen Begriff zu verwenden, überschätzt.
Die Themen des Buches verbinden diese Monografie mit Antikensehnsucht und Maschinenglauben von Horst Bredekamp, und es ist möglich, dass der Autor seine Interessen für Magie und Alchimie in Zukunft weiter vertiefen wird. Solche kulturhistorischen Themen verlangen noch mehr Disziplin als die Thematisierung von self-fashioning, den Medien und dem philosophischen Akt, und das zweite Buch ist bekanntlich schwieriger als das erste. In der Zwischenzeit hat Michael Cole die bislang intelligenteste Monografie über Cellini geschrieben; mit seinem Buch hat die Forschung über den florentinischen Künstler ein absolut neues Spitzenniveau erreicht, das in einer kristallinen, einprägsamen und exquisiten Sprache glänzend vorgetragen wird.
Michael W. Cole: Cellini and the Principles of Sculpture, Cambridge: Cambridge University Press 2002, 246 S., 8 Farb-, 66 s/w-Abb., ISBN 978-0-521-81321-1, GBP 55,00
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