sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8

Sybille Steinbacher: Auschwitz

Sybille Steinbacher (Ruhr-Universität Bochum), hervorgetreten durch Studien zu Stadt und KZ Dachau (1993) und der "Musterstadt" Auschwitz (2000), hat in der renommierten Taschenbuchreihe von Beck Wissen - im Rahmen des limitierten Umfangs und der festgelegten Darstellungsform (keine Literatur- und Quellenangaben) - eine ebenso knappe und präzise wie fundierte und gut lesbare Geschichte der Stadt Auschwitz und des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz verfasst.

Auf der Basis umfassender Kenntnisse stellt die Autorin die Vorkriegsgeschichte der Stadt, die Pläne der Nazis zu einer "Siedlungs-Musterstadt" Auschwitz sowie die ersten Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dar. Der Gründung des Lagers, seiner Umwandlung in eine Vernichtungsstätte, dem Bau des Werkes "IG Auschwitz O/S" sowie Auschwitz als ein zentraler Ort der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik sind weitere Kapitel gewidmet. In den beiden letzten werden die Verfahren gegen Auschwitz-Täter und die Versuche von Revisionisten abgehandelt, den Massenmord in Auschwitz zu leugnen.

Steinbacher gelingt es überzeugend, die wichtigsten Aspekte der Geschichte von Auschwitz zusammenhängend darzustellen, aus politik- und sozialgeschichtlicher Perspektive einen erhellenden Blick auf den historisch-politischen Raum zu richten, in dem Auschwitz, nach der Einverleibung von Ostoberschlesien auf dem Boden des "Deutschen Reiches" gelegen, möglich war. Auschwitz heißt durchweg zweierlei: die Mordfabrik, das Todeslager einerseits, die "eingedeutschte" Stadt mit ihren angesiedelten "rassisch wertvollen Deutschen" und den in unmittelbarer Umgebung entstandenen Industrieunternehmen mit großer deutscher Belegschaft andererseits. Der Massenmord fand nicht im fernen, unbekannten Osten statt, sondern gleichsam nebenan, unweit von Heim und Herd nicht weniger Deutscher. Zurecht betont Steinbacher, dass die "Endlösung der Judenfrage" weder vom Kontext der rassistischen Ostpolitik noch vom Rücksiedlungsprogramm der Volksdeutschen aus Ost- und Südosteuropa zu trennen ist. Die Dynamik der Aussiedlung von Juden und Polen und der Ansiedlung von "heim ins Reich" geholten Deutschen "im Dienste der völkischen Umschichtung" (64) führte - in extremer Weise radikalisiert - zum systematischen Massenmord an den Juden. Den Zusammenhang von Vertreibung und Vernichtung, von "Lebensraumeroberung" und Massenmord stellt die Autorin in klaren Zügen nachvollziehbar dar. In ihrer Beschreibung der "Endlösung der Judenfrage" und der Skizzierung von Auschwitz als Vernichtungszentrum finden sich alle relevanten Aspekte und Fakten souverän zusammengefasst. Profunde Kenntnis der Quellen und der Forschungsliteratur ermöglichen Steinbacher eine sichere, sachgerechte Auswahl der wichtigsten Lagerereignisse, die präzise und dicht geschildert werden.

Mit Bedauern stellt man hingegen fest, dass die Darstellung der Frankfurter Auschwitz-Prozesse Fehler aufweist. Offensichtlich hat die Autorin auf einen Blick in die Verfahrensakten verzichtet. So werden die Namen von nicht weniger als fünf Angeklagten (117) des 1. Auschwitz-Prozesses falsch geschrieben: Ludwig Stark statt Hans Stark, Viktor Capesius statt Victor Capesius, Willi Frank statt Willy Frank, Johann Schobert statt Johann Schoberth sowie Willy Schatz statt Willi Schatz. Weiter ist davon die Rede, in "Schwäbisch-Hall" (114) seien Ermittlungen gegen den späteren Angeklagten Wilhelm Boger in Gang gekommen. Richtig ist, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ermittlungen gegen Boger eingeleitet hat. Anlass war die Anzeige eines in der Landesjustizanstalt Bruchsal einsitzenden ehemaligen Auschwitz-Häftlings. Der Angeklagte Emil Bednarek war kein "Blockführer" (117), eine Funktionsbezeichnung für einen Angehörigen der Lager-SS, vielmehr als Häftling Blockältester der Strafkompanie. Der BGH hat 1969 das Urteil des Schwurgerichts im Fall Lucas nicht mit der Begründung aufgehoben, "Lucas habe auch Häftlingen geholfen" (117). Das Revisionsgericht war vielmehr der Auffassung, das Frankfurter Gericht habe die Einlassung von Lucas nicht "lückenlos widerlegt", auf der Rampe unter (vermeintlichem) Zwang (Putativnotstand) selektiert zu haben. Der 2. Frankfurter Auschwitz-Prozess begann nicht im Dezember 1964 (118) sondern genau ein Jahr später. Das Verfahren gegen Sawatzki und Frey (1973 - 1976) war nicht das "letzte Verfahren" (118) in Frankfurt. Von 1977 - 1981 fand der Prozess gegen Czerwinski und Schmidt statt. Das Verfahren gegen Czerwinski wurde wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten abgetrennt und vorläufig eingestellt, Schmidt verurteilte das Schwurgericht 1981 zu acht Jahren Jugendstrafe. Weiter sei angemerkt, dass die fünf Öfen der Krematorien II und III jeweils drei und nicht zwei Brennkammern (81) aufwiesen, das Strafgesetzbuch nur niedrige und keine "niederen" Beweggründe (111) kennt, der Sitz der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch) nicht in Dessau (70) sondern in Frankfurt am Main und später Friedberg i. T. war. In Dessau war die Herstellerfirma von Zyklon B, die "Dessauer Werke für Zucker-Raffinerie GmbH", ansässig.

Die mangelnde Sorgfalt in Kapitel IX (Auschwitz vor Gericht) schmälert nicht die Leistung der Autorin, mit dem Buch für Multiplikatoren, Studierende, Schüler und andere eine verlässliche, den Stand der Forschung wiedergebende Darstellung geschrieben zu haben. Jedem, der knapp und präzise über Auschwitz informiert werden will, sei das Buch sehr empfohlen.

Rezension über:

Sybille Steinbacher: Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte, München: C.H.Beck 2004, 128 S., 1 Abb., 5 Karten und Pläne, ISBN 978-3-406-50833-2, EUR 7,90

Rezension von:
Werner Renz
Fritz Bauer Institut, Frankfurt/M.
Empfohlene Zitierweise:
Werner Renz: Rezension von: Sybille Steinbacher: Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte, München: C.H.Beck 2004, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8 [15.07.2004], URL: https://www.sehepunkte.de/2004/07/5528.html


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