Im Editorial ihres Themenheftes diskutieren die Herausgeber den Bedeutungsgehalt des Begriffes "Kollaboration": Die vorliegende Aufsatzsammlung zeigt dessen Bandbreite für den Zweiten Weltkrieg anhand unterschiedlicher geografischer und nationaler Kontexte auf. Das Kompendium bietet einen Querschnitt durch die aktuelle Okkupationsforschung, welche die Suche nach einheimischen Tätern zunehmend um die Frage nach den Handlungslogiken sowie nach dem diffusen und wissenschaftlich nur schwer zu fassenden Bereich der "weichen" oder Alltagskollaboration erweitert. Die Herausgeber plädieren folgerichtig für den Gebrauch der Begriffe "Zusammenarbeit" und "Kooperation", der Band füllt diese auf mehr als 200 Seiten mit Inhalt.
Die präsentierten Beispiele umfassen Studien von Tim Cole zum mit dem Deutschen Reich verbündeten Ungarn, von Mariana Hausleitner zur rumänischen "Ethnokratie" oder von Tatjana Tönsmeyer zur Slowakei, außerdem Beiträge von Frank Golczewski zur Ukraine und schließlich von Tanja Penter zum Donbass, wo sich die schlimmste Form deutscher Herrschaft in Europa überhaupt manifestierte. So unterschiedlich wie die Rahmenbedingungen für eine Zusammenarbeit zwischen deutschen Besatzern und Einheimischen sind denn auch die geschilderten Motivationslagen, die von nationalen Erwartungen und Zwangsverpflichtung (eindrucksvoll von Golczewski am Beispiel der ukrainischen SS-Division "Galizien" beschrieben) und handfesten materiellen Gründen (Katrin Reichelt zur lettischen Beteiligung an der Enteignung der lettischen Juden) über wirtschaftliche Erwartungen und die Hoffnung auf Technologietransfer (Slowakei) bis hin zu Rachewünschen gegenüber mit der Sowjetunion assoziierten Eliten, indigenem Antisemitismus oder dem Stereotyp vom "jüdischen Bolschewismus" reichten (Vertreibung und Ermordung der Juden in Bessarbien und der Nordbukowina). Besonders überzeugend scheint mir der Beitrag von Penter zu sein: Dieser beschreibt ein Geflecht von Voraussetzungen, das selbst auf sowjetischem "Kerngebiet" das Funktionieren kriegswichtiger Industrieanlagen ermöglichte. Penter schildert neben materiellen Zwängen, in denen sich die Belegschaften befanden, auch länger zurückliegende Prägungen und Vorerfahrungen, welche für die Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht disponierten: Die Okkupation behandelt sie vor dem Hintergrund der Repression der dreißiger Jahre, der Ausschaltung "bürgerlicher Spezialisten" und der sich verändernden gesellschaftlichen Stellung der sowjetischen Ingenieure.
Einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt die Lektüre des Beitrags von Klaus-Peter Friedrich über "Zusammenarbeit und Mittäterschaft in Polen", und dies trotz des wichtigen Anliegens, mit den verschiedenen Formen deutsch-polnischer Zusammenarbeit ein Desiderat der als Nationalgeschichte betriebenen polnischen Weltkriegsforschung aufzuzeigen. Friedrich analysiert die Mythisierung des polnischen nationalen Widerstandes, lässt jedoch dessen Leistungen unerwähnt. Ausgespart bleibt die auch in der polnischen Forschung seit langem geführte Diskussion um "Randverhalten" im Untergrund und um die realen Auswirkungen moralischer Verhaltensmaßregeln auf die vielen indifferenten polnischen "Normalbürger", die im besetzten Land abseits politischer Ideale ihr Dasein fristeten und versuchten, einen mörderischen Krieg zu überleben. In Friedrichs Darstellung wird aus einem moralischen Orientierungspunkt, welchen der Untergrundstaat ohne Zweifel für viele Polen in einer Situation existenzieller physischer und geistiger Bedrohung vonseiten der deutschen Besatzungsmacht darstellte, ein "öffentlicher Staatsanwalt" und eine "innerethnische Disziplinierungsgewalt" (121). Dies ist ebenso irreführend wie die pauschale und auf Einzelbeispielen für teils militanten polnischen Antisemitismus basierende Formulierung, es habe "eine polnisch-deutsche Zusammenarbeit gegen gemeinsame Gegner - Kommunisten und Juden" - gegeben (135).
Insgesamt enthält der Band anregende, wenn auch disparate Fallbeispiele, die das in den letzten Jahren erarbeitete Bild von der Vielfalt der Zusammenarbeit zwischen Besatzern und Beherrschten bereichern. Gleichzeitig zeigen die Arbeiten die methodischen Schwierigkeiten, das selten aktenkundig gewordene Phänomen der "Alltagskollaboration" zu beschreiben und die unterschiedlichen Formen der Interaktion zu gewichten: Die Mehrzahl der Autorinnen und Autoren legt den Schwerpunkt auf die einheimische Beteiligung an den Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht.
Christoph Dieckmann / Babette Quinkert / Tatjana Tönsmeyer (Hgg.): Kooperation und Verbrechen. Formen der "Kollaboration" im östlichen Europa 1939-1945 (= Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus; Bd. 19), Göttingen: Wallstein 2003, 319 S., ISBN 978-3-89244-690-3, EUR 20,00
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