Mit ihrer Biografie des Grafen Ott Heinrich Fugger leistet Stephanie Haberer einen Beitrag zur Fugger-Forschung und zur allgemeinen Sozialgeschichte und zeigt, wie das Instrument der wissenschaftlichen Biografie sinnvoll eingesetzt werden kann. Ihrem Ziel entsprechend hat sie einen systematischen Ansatz gewählt. Sie stützt sich auf Konzepte des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, auf dessen Analysen der Relation von Besitz und Anerkennung, auf die Modelle zu Habitus und Handlungsfeldern. Auf diese Weise gewinnt sie einen Interpretationsrahmen, in den sie die biografischen Fakten einordnen kann.
Der Name Ott Heinrichs verbindet sich mit der Vorstellung vom Abschluss der Aristokratisierung der Familie Fugger und dem Niedergang ihres Handelsgeschäfts. Haberer untersucht zunächst den familiären Kontext, Kindheit, Bildungsgang und Eheverbindungen ihres Protagonisten. Katholisch konfessionalisiert und mit den Ansprüchen einer Familie aufwachsend, die sich im reichsunmittelbaren Adel Süddeutschlands etablieren wollte, besuchte er das Jesuitenkolleg in Augsburg und die bayerische Landesuniversität Ingolstadt. Eine anschließende Bildungsreise führte ihn nach Burgund und Norditalien, wo er sich an den Universitäten Perugia und Siena immatrikulierte. Die Fähigkeiten endlich, die es ihm gestatteten, als Mann von Welt aufzutreten, erwarb er sich am Hof in Graz. Er heiratete in erster Ehe Anna von Pappenheim und nach deren Tod Maria Elisabeth von Waldburg-Zeil, beides Verbindungen, welche die soziale Position der Familie festigten und auch ökonomische Vorteile versprachen. Dieses also die Voraussetzungen seines Handelns, das "Startkapitel", wie Haberer schreibt.
Handlungsfelder sieht sie in Fuggers Wirken erstens als Handelsherr, zweitens als Grundherr, drittens als Fürstendiener, viertens als Kriegsunternehmer. Das Fugger'sche Handlungsunternehmen erlebte im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts einen dramatischen Niedergang, wofür die Verfasserin nicht allein die Zeitumstände, sondern auch die Haltung der Eigentümer verantwortlich macht. Diese seien für den Handel nicht ausgebildet und nur daran interessiert gewesen, Einnahmen aus dem Unternehmen zu ziehen und sie für den Konsum zu verwenden. Als Grundherr agierte Fugger nicht anders als seine Standesgenossen, paternalistisch und ohne erkennbare Neigung für die Landwirtschaft. Sein wichtigstes Handlungsfeld bildete der bayerische Hof in München. Für die Interaktion auf diesem Parkett war er ausgebildet worden; hier konnte er seine Talente als Gentilhomme entfalten. Die Gunsterweisungen des Herzogs empfing er in Form lukrativer Verwaltungsämter oder militärischer Kommandos. Seine Kriegsunternehmungen fügten sich also ganz in diese Zusammenhänge. Bezeichnenderweise nahm er zwischen 1626 und 1631, obwohl bestallter Oberst, an keinem Kriegszug seines Regiments teil, sondern war darauf bedacht, seine Position bei Hofe zu wahren.
Haberer bedient sich, wie bemerkt, Bourdieu'scher Kategorien, um dieses Leben zu analysieren. Bourdieu unterscheidet bekanntlich zwischen ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital, das wechselseitige Umwandlungen erlaubt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Kategorien, die Bourdieu aus seinen Untersuchungen der französischen Gesellschaft in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, auf andere soziale Verhältnisse übertragen werden können. Dabei ist es bezeichnend, wie die Verfasserin mit den Begriffen "ökonomisches" und "soziales Kapital" gut operieren kann, den Begriff des "kulturellen Kapitals" - Bildung und kulturelle Kompetenz - aber unmerklich durch den des "symbolischen Kapitals" ersetzt. Das symbolische Kapital - Ehre, Ansehen, Kredit - kann allerdings nicht als gleichgeordnet, sondern nur als Funktion des sozialen Kapitals betrachtet werden. Der Verfasserin sollte diese stillschweigende Abänderung des Modells nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn sie orientiert sich an der Lebenswelt, die sie beschreibt und in der sich eben die genannten Primärkapitalien nicht ausgleichen ließen, weil ein Graf himmelhoch über einem Professor stand.
Sehr viel überzeugender lässt sich hingegen Bourdieus Habitus-Begriff anwenden. Fuggers Sozialisation, sein Stand, sein Geschlecht, seine Konfession bildeten einen Habitus aus, dessen Repräsentation seine Selbstdarstellung und seinen Lebensstil bestimmte. Haberer behandelt Titel, Wohnungen, Beschäftigungen wie Pferdezucht und Jagd, "objektiviertes kulturelles Kapital" wie Sammlungen und Gemäldegalerien. Ihr gelingt eine eingehende Analyse, die Ott Heinrich Fugger als standesbewussten Edelmann zeigt, der die Repräsentationsstandards wahrte, ohne zum Beispiel ein Kenner von Kunst und Literatur zu sein. Trotzdem konnten seine habituellen Handlungen ein Werk wie den Panegyricus equestris veranlassen, den Jakob Balde zu seinen Ehren verfasste - Jakob Balde immerhin, der durch Herders Übersetzungen noch heute als Dichter einen guten Namen hat.
Haberer wertet die Quellen umsichtig aus. Sie liefert wichtige Erkenntnisse für die Sozialgeschichte des Adels. Und sie legt ein Buch vor, das sich gut und flüssig lesen lässt.
Stephanie Haberer: Ott Heinrich Fugger (1592-1644). Biographische Analyse typologischer Handlungsfelder in der Epoche des Dreißigjährigen Krieges (= Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft. Reihe 4: Studien zur Fuggergeschichte; Bd. 29), Augsburg: Wißner 2004, VI + 534 S., ISBN 978-3-89639-420-0, EUR 24,80
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