Die hier zu besprechende Arbeit verbindet zwei Problemkreise der Spätmittelalter- und Frühneuzeitforschung, nämlich die Untersuchung des städtischen Finanz- und Rechnungswesens mit der Frage nach der Einbindung der Landstadt in die territoriale Herrschaft. Deren Vollzug als reine Geschichte der Unterdrückung zu sehen, auf die notwendigerweise Zerrüttung und Verfall folgten, gilt schon seit geraumer Zeit nicht mehr als aktuelle Sichtweise. Dennoch wird auch heute häufig übersehen, dass Institutionen, welche die Autonomie mittelalterlicher Städte bedingten, am Beginn der Neuzeit keineswegs verschwanden, sondern im Rahmen eines sich verändernden Bedingungsgefüges lediglich ihren Charakter wandelten. Deutlich wird dies unter anderem anhand der seit dem Spätmittelalter überlieferten Stadtrechnungen, die Ausdruck einer sich zunehmend entfaltenden Geldwirtschaft waren, und der mit ihrer Erstellung und Kontrolle beauftragten Personenkreise und Gremien, die sich durch eine wie auch immer geartete institutionelle Rückbindung in die Bürgerschaft auszeichneten. Während die Rechnungen selbst in ihrer Form und Gestaltung bis weit in die Neuzeit hinein sehr stabil blieben, mussten sich die für das städtische Rechnungswesen Verantwortlichen intensiveren Zahlungs- wie auch Kontrollansprüchen einer erstarkenden Landesherrschaft stellen.
Genau an dieser Stelle setzt Andreas Neuwöhner mit seiner Dissertation an. Diese entstand in Paderborn bei Frank Göttmann und steht im Kontext einer Reihe dort angesiedelter Arbeiten zur Geschichte des frühmodernen geistlichen Staates. Im Kern verfolgt der Autor die zunehmende Integration der Stadt Paderborn in den hochstiftischen Territorialstaat, die er bewusst nicht als reinen "Weg in die Untertanenschaft" beschreibt, sondern als wechselhaften, keineswegs linearen Prozess, in dessen Verlauf seitens der Stadt auch Spielräume bewahrt und zurückgewonnen werden konnten. Im Einzelnen fragt der Autor nach dem Wandel des Stadtregimentes und den Trägern einer sich professionalisierenden Verwaltung wie auch nach den Instrumenten, mit denen der werdende Territorialstaat in das städtische Gefüge einzugreifen suchte. Ein spezielles Augenmerk wird auf dessen frühe Erscheinungsform als "Steuerstaat" gerichtet, wobei Neuwöhner hier auch eine Verbindung zur Theorie einer allgemeinen Krise des 17. Jahrhunderts herstellt. Schwerpunktmäßig werden Quellen städtischer Provenienz herangezogen, unter denen neben den Ratsprotokollen die zwar nicht lückenlos, aber doch in großer Zahl überlieferten Stadtrechnungen den wichtigsten Anteil haben. Diese werden zwar keinen hochkomplexen Analysemethoden unterzogen, wie sie zuletzt etwa anhand des burgundischen Rechnungswesens vorgeschlagen wurden [1], aber dennoch sehr akribisch ausgewertet. Der Autor tut dies einerseits auf traditionelle Weise, indem er aus den Einzelposten sachbezogene Informationen in großer Zahl gewinnt, andererseits wurden die jährlichen Rechnungssummen in verschiedenen Kombinationen zu tabellarischen Übersichten zusammengefasst, sodass die Konturen des städtischen Haushalts mit seinen Hauptgruppen an Einnahmen und Ausgaben deutlich werden.
Im Gang der Untersuchung werden zunächst die konfliktträchtigen Beziehungen zwischen Stadt und Stadtherr in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts analysiert. Als Leitfaden dienen hier die vier zwischen 1604 und 1642 erlassenen Stadtordnungen der Bischöfe Dietrich von Fürstenberg und Ferdinand von Bayern, mit denen diese jeweils im Anschluss an offen ausgebrochene Konflikte beziehungsweise nach 1618 kriegsbedingte Umbruchsituationen ihrer Herrschaft über Paderborn einen Rahmen gaben. Neuwöhner betrachtet diese normativen Quellen sowohl vergleichend als auch gemessen an der in seinen Hauptquellen zu Tage tretenden Verfassungswirklichkeit, wobei sich etwa zeigt, dass der in der Stadtordnung von 1623 vorgesehene fürstliche Schultheiß als vermeintlicher verlängerter Arm des Landesherrn de facto im Stadtregiment keine Rolle spielte. Dies stützt die These des Autors, dass sich Ferdinand im Gegensatz zu seinem im Land residierenden Vorgänger stärker auf die städtische Selbstverwaltung stützte. Es folgen zwei strukturell angelegte Kapitel, die sich dem Stadtregiment und den Finanzen widmen. Zunächst werden die städtischen Gremien in Zusammensetzung und Funktion analysiert und sodann die einzelnen städtischen Ämter und Dienstfunktionen beschrieben. Hinsichtlich der Funktionsträger des Stadtregiments wurden im Verlauf des 17. Jahrhunderts Schritte der Professionalisierung hin zu einem hauptamtlichen, fest entlohnten städtischen Beamtentum vollzogen. Bezeichnend ist hierbei, dass Reformen bei der Besoldung von Bürgermeistern und Kämmerern oder die Neuordnung des Akzisewesens häufig durch den Landesherrn angestoßen, die Umsetzung und Kontrolle jedoch von der Stadt geleistet wurden. Das umfangreiche dritte Kapitel widmet sich schließlich den Finanzen, orientiert an der Einnahmen- und Ausgabenseite, wobei einleitend die Grundlagen und spezifischen Merkmale des Paderborner Rechnungswesens erläutert werden und abschließend der Umfang der Gesamthaushalte im Verlauf des 17. Jahrhunderts betrachtet wird. Der Hauptdruck auf den städtischen Haushalt erwuchs aus den außerordentlichen Lasten des Dreißigjährigen Krieges und anschließend aus den zunehmenden landesherrlichen Steuerforderungen. Für die Zeit davor konstatiert Neuwöhner keine Krisensymptome, sondern im Gegenteil solide städtische Finanzen und einen beachtlichen Gestaltungsspielraum. Diese Befunde münden schließlich in die Gesamtthese einer sich etablierenden "Herrschaft mit dem Bischof". Nachdem in einer Folge direkter Auseinandersetzungen die Prädominanz des Landesherrn klar war, funktionierte die Integration der Hauptstadt in das Territorium nicht über enge landesherrliche Kontrolle, sondern eher über punktuelle Eingriffe, während das gehobene Bürgertum zunehmend in die Rolle der städtischen und stiftischen Beamtenschaft fand.
Der Wert der vorliegenden Studie entfaltet sich auf mehreren Ebenen. Für die Paderborner Stadtgeschichte ist nun ergänzend zu der 1999 erschienenen Überblicksdarstellung eine überaus wertvolle Brücke in die bislang eher schlecht erforschte Neuzeit geschlagen. Neben den Erkenntnissen und dem umfangreichen Zahlenmaterial zum städtischen Haushaltswesen stellen auch die Einzelbeschreibungen der existenten Ämter und Funktionen eine wichtige Basis für weitere Forschungen dar, wobei zu bemerken ist, dass hier eine gewisse Nivellierung zu Gunsten der subalternen Positionen stattgefunden hat, da etwa Richter und Stadtsekretär nicht wesentlich umfänglicher gewürdigt wurden als Nachtwächter und Feldhüter. Nahe liegend wären nun beispielsweise erweiterte Fragestellungen zur Wirtschaftsgeschichte. So stellt sich etwa die Frage, ob die gesteigerte Finanzkraft, mit welcher Paderborn in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die landesherrlichen Steuerforderungen teils abfedern konnte, tatsächlich nur Resultat demografischen Wachstums war oder ob sich hier auch andere Faktoren belebend auswirkten. Zu denken wäre etwa an die nach 1650 wieder existierende fürstbischöfliche Hofhaltung in Neuhaus. Über die reine Stadtgeschichte hinaus wäre auch ein stärkeres "Kontrastmittel" im Sinne stabiler Forschungsergebnisse zum Charakter der fürstlichen Herrschaft und speziell der Finanzen im Hochstift Paderborn des fortgeschrittenen 17. Jahrhunderts zu wünschen. Erst dann wäre beispielsweise zu entscheiden, welche Bedeutung die Städte fiskalisch im Verhältnis zu den Ämtern hatten, deren Rechnungen für das 17. und 18. Jahrhundert in großem Umfang überliefert sind.
Allgemein wird bei der hier angesprochenen Thematik ein erhebliches Erkenntnispotenzial im Vergleich mit weiteren Fallbeispielen liegen. So spricht etwa einiges dafür, dass die Paderborner Entwicklung in vielem dem von Luise Wiese-Schorn (Schorn-Schütte) für Osnabrück und Göttingen beschriebenen "Wandel von der freien zur beauftragten Selbstverwaltung" entsprach. Umgekehrt kontrastiert das Paderborner Beispiel mit dem unter anderem von Klaus Gerteis am Beispiel von Städten des Rhein-Mosel-Raums gewonnenen Befund, den Städten seien Einnahmen aus direkten Steuern entzogen gewesen. Tatsächlich verblieben in Paderborn nicht unerhebliche Anteile der Schatzung im städtischen Haushalt. Die Einschätzung Neuwöhners, eine Vergleichbarkeit des landstädtischen Finanzwesens mit dem der Reichsstädte sei eher nicht gegeben, muss in diesem Zusammenhang hinterfragt werden, da hiermit letztlich der Wert der vorliegenden Ergebnisse unzulässig relativiert wird. Städte wie Überlingen, Nördlingen oder Biberach, zu denen Forschungen existieren, entsprachen in Größe und Wirtschaftskraft weit eher Paderborn als etwa Augsburg oder Köln. Zudem galten strukturelle Merkmale wie kriegsbedingte Überschuldung oder eine Tendenz hin zur Bürokratisierung der Finanzverwaltung unabhängig von der Größe. Selbst der Druck von außen, unter anderem in Gestalt kaiserlicher Kommissionen zur Untersuchung reichsstädtischen Finanzgebarens, kann identifiziert werden. Daher ist hier durchaus Raum für übergeordnete Perspektiven gegeben. Andreas Neuwöhner hat zu deren Entwicklung einen überaus wertvollen Baustein geliefert.
Anmerkung:
[1] Ulf Christian Ewert / Harm von Seggern: Vom Nutzen der Clusteranalyse. Der holländische Adel in den Rechnungen des Rats von Holland, in: Harm von Seggern / Gerhard Fouquet (Hg.): Adel und Zahl. Studien zum adligen Rechnen und Haushalten in Spätmittelalter und früher Neuzeit (= Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte; Bd. 1), Ubstadt-Weiher 2000, 197-217; Ulf Christian Ewert: Langfristige Struktur und kurzfristige Dynamik: Eine Längsschnittuntersuchung der Einnahmen der burgundischen recette générale de toutes les finances (1383-1476), in: ebd., 165-195.
Andreas Neuwöhner: Den Kampf um die Freiheit verloren? Verwaltung und Finanzen der Stadt Paderborn im Spannungsfeld von städtischer Autonomie und frühmodernem Staat (= Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte; Bd. 48), Paderborn: Bonifatius 2004, 311 S., ISBN 978-3-89710-264-4, EUR 34,80
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