Zu den zentralen Elementen der Planwirtschaft in der SBZ/DDR zählte zweifellos die umfassende und gewaltsame Neuordnung der Eigentumsverhältnisse. Bereits in den ersten Nachkriegsjahren fielen Weichenstellungen, wie etwa die Bodenreform, die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien sowie die Beschlagnahmung von privatem Vermögen. Dabei nahm die Bedeutung des verstaatlichten Sektors schnell zu, während der private Wirtschaftssektor erheblich zurückgedrängt und auf einige wenige Wirtschaftsbereiche begrenzt wurde. Zunächst in der Grundstoff- und Schwerindustrie, später auch in der Landwirtschaft wurde der staatliche und genossenschaftliche zulasten des privaten Sektors forciert ausgebaut. Eine Folge davon war das rasante Ansteigen der Beschäftigtenzahlen in der volkseigenen beziehungsweise verstaatlichten Wirtschaft. Mit dem Rückgang des privaten Wirtschaftssektors war auch ein Rückgang der Zahl der Selbstständigen verbunden, die aus nahezu allen Wirtschaftsbereichen, vor allem aus der Landwirtschaft und dem Handwerk, herausgedrängt wurden. Trotz dieses Bedeutungsverlustes konnte und wollte die SED-Führung nicht völlig auf die Wirtschaftsleistung privater Handwerker, Gewerbetreibender und Einzelhändler verzichten. Die Versorgungskrise Anfang der Fünfzigerjahre, die letztlich zum Volksaufstand am 17. Juni 1953 geführt hatte, zeigte deutlich die grundlegenden Schwächen der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft. Auch in den nachfolgenden Jahren stellte daher die Privatwirtschaft einen unverzichtbaren Bestandteil der ostdeutschen Volkswirtschaft dar. Die endgültige Beseitigung des privaten "Mittelstandes" erfolgte bekanntlich erst nach dem Machtwechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker 1971.
Frank Ebbinghaus hat sich im vorliegenden Buch, das auf der Dissertation des Autors bei Heinrich August Winkler basiert, mit der SED-Mittelstandspolitik beschäftigt und erstmals eine quellengesättigte Darstellung zu diesem wichtigen Thema vorgelegt. Ebbinghaus möchte die Mittelstandspolitik nicht nur in den Kontext größerer politischer Zusammenhänge rücken und die für die "Herrschaftssicherung besonders wichtigen Konsumgüterproduzenten" in den Blick nehmen (13), sondern außerdem die "dynamischen Wechselbeziehungen zwischen modernen Gesellschaftsstrukturen und totalitärem Herrschaftsanspruch" untersuchen (15). Der Anspruch ist hoch: Unter Berufung auf Ludolf Herbst und Stephan Merl soll in der Studie "ein relativ breiter, letztlich auf den systematischen Diktaturvergleich zielender Ansatz verfolgt" werden (21).
Die Untersuchung ist in fünf Teile gegliedert. In den beiden ersten Kapiteln, die sehr knapp gehalten sind, wird die SED-Mittelstandspolitik bis 1957 skizziert. Es folgt ein längerer Abschnitt über die erste Sozialisierungskampagne Ende der Fünfzigerjahre, die eine wachsende Vergenossenschaftlichung beziehungsweise staatliche Beteiligung in den jeweiligen Betrieben zum Ziel hatte. Ebbinghaus beschreibt die Entstehungsgeschichte und unterstreicht vor allem die Bedeutung der 33. Tagung des ZK im Oktober 1957, bei der es unter anderem um die Abrechnung mit der Harich-Janka-Gruppe ging. Dieser "innerparteiliche Machtkampf" sei letztlich der wichtigste Antriebsfaktor für die Sozialisierungspolitik gewesen (66). Anschließend wird die Durchführung der anvisierten Sozialisierung am Beispiel von Brigadeeinsätzen im Bezirk Suhl sowie im Kreis Sonneberg behandelt. Dabei gelingt es Ebbinghaus, die Widersprüchlichkeit der SED-Mittelstandspolitik anschaulich herauszuarbeiten. Auf der einen Seite sollte das Privateigentum an Produktionsmitteln beseitigt werden, auf der anderen Seite konnte aber auf die versorgungsrelevanten Produktionskapazitäten der mittleren und kleineren Privatbetriebe nicht verzichtet werden. Hierbei ergaben sich auch Konfliktlinien zwischen dem Politbüro und der Staatlichen Plankommission, die in dieser Frage stärker gesamtwirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen schien. Widerspruch kam auch vereinzelt von den Blockparteien. Die Kampagne zur Sozialisierung des Mittelstandes wurde 1960 zunächst abgebrochen und erst zehn Jahre später wieder aufgegriffen.
Ebbinghaus wendet sich im vierten Kapitel gegen die von Jörg Roesler und Monika Kaiser vertretene These, Ulbricht sei in den Sechzigerjahren ein Reformer gewesen. Seiner Ansicht nach hat die SED vielmehr ihre mittelstandsfeindliche Verdrängungspolitik dem allgemeinen Reformkontext angepasst (131). Nach wie vor wollte die Hegemonialpartei ökonomische und ideologische Ziele gleichzeitig verwirklichen, obwohl hier von Anfang an der bereits beschriebene Zielkonflikt bestand. Ebbinghaus gelangt zu dem Ergebnis, dass die Mittelstandspolitik zwischen Ulbricht und Honecker "kein Streitthema" war (332), auch wenn manche Differenzen in Einzelfragen bestehen blieben. Damit betont er die Kontinuitäten in diesem Politikfeld über die Zäsur des Jahres 1971 hinweg. Im Mittelpunkt des letzten und umfangreichsten Kapitels steht schließlich die Verstaatlichung 1971/72. Auch hier werden vom Autor zwei Fallbeispiele ("Musterbeispiel" Apolda und Bezirk Karl-Marx-Stadt) ausführlich präsentiert, welche die konkrete Umsetzung der Beschlüsse der SED-Führung deutlich machen sollen.
Ebbinghaus hat mit seiner Studie, für die er vor allem die Bestände der SED, der Staatlichen Plankommission sowie der SED-Bezirks- und Kreisleitung Karl-Marx-Stadt ausgewertet hat, eine Forschungslücke geschlossen. Trotzdem stellt die Studie keine Gesamtdarstellung der SED-Mittelstandspolitik zwischen 1955 und 1972 dar. Sie konzentriert sich vielmehr auf die Jahre 1957/58 und 1970/72. Des weiteren verfolgt der Autor primär einen politikgeschichtlichen Ansatz. Es verwundert etwas, dass Ebbinghaus die Einschätzung Winklers von der Stabilisierung des Mittelstandes durch Schrumpfung einfach auf die DDR überträgt. Zum einen war Winklers These in erster Linie auf die Entwicklung in der Bundesrepublik nach 1949 gemünzt. Zum anderen wäre dazu eine genauere Analyse notwendig gewesen, bei der die sozioökonomischen Aspekte des Schrumpfungs- und Konzentrationsprozesses stärker hätten berücksichtigt werden müssen. Ebbinghaus weist zwar zu Recht auf die Schwächen der DDR-Statistiken hin und warnt vor einem unreflektierten Umgang mit dieser Quellengattung. Dennoch geht sein pauschales Urteil, die Statistiken "erwiesen sich als ziemlich unbrauchbar" (21), entschieden zu weit. Darüber hinaus hätte man sich einige systematische Ausführungen zum etwas schwammigen Mittelstandsbegriff gewünscht. Wie wurde er von der SED gefasst und worin unterschied er sich beispielsweise von der westdeutschen Auslegung? Hier macht Ebbinghaus nur eine äußerst vage und unpräzise Aussage: "Die SED bezeichnete Einzelhändler, Kleinindustrielle und Handwerker als 'Mittelschicht', 'Mittelstand' oder 'Klassen und Schichten', was dem Selbstverständnis dieser Gruppen durchaus entsprach und von der westdeutschen Mittelstandsforschung übernommen wurde" (13). Der in der Einleitung angekündigte Diktaturvergleich wird zwar in der Zusammenfassung kurz angerissen, erscheint allerdings nicht als Fragestellung oder Strukturierungsmerkmal im Hauptteil der Arbeit. Trotz dieser Einwände bleibt festzuhalten, dass Ebbinghaus insgesamt eine gehaltvolle Studie über die Weichenstellungen in der SED-Mittelstandspolitik Ende der Fünfziger und Anfang der Siebzigerjahre und damit einen wichtigen Beitrag zur Analyse der DDR-Planwirtschaft vorgelegt hat.
Frank Ebbinghaus: Ausnutzung und Verdrängung. Steuerungsprobleme der SED-Mittelstandspolitik 1955-1972 (= Zeitgeschichtliche Forschungen; Bd. 22), Berlin: Duncker & Humblot 2003, 366 S., ISBN 978-3-428-10866-4, EUR 48,00
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