Der schmale Sammelband bietet die fünf teils variierten und erweiterten Beiträge einer gleichnamigen Sektion des 44. Deutschen Historikertages in Halle an der Saale. Die Sektion fand auf Jahr und Tag nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 statt, die in ihrer Ungeheuerlichkeit und in ihren vielfachen Folgen die Aktualität des Themas von "Macht und Mord" aufzeigten (2).
Dieses alliterierende Begriffspaar charakterisiert das Mittelalter auch dann zutreffend, wenn man das Zeitalter nicht für finster hält (3), wie es aus moderner, vermeintlich zivilisierterer Perspektive gerne geschieht. Für die damaligen Menschen gehörte Gewalt "zur Ordnung dieser Welt und Gottes [...], ob man sie nun zu deren Erhalt, Umformung oder Zerstörung einzusetzen trachtete" (134), wie Gerd Melville seinen resümierenden Essay "über die Präsenz der Gewalt im Mittelalter" schließt, den man sich auch gut als Einleitung des Heftes hätte vorstellen können. Unter Bezugnahme auf Jacques Le Goff betont er insbesondere die Macht des Imaginären, die zu "grundlegenden Codierungen real erfahrener Gewalt" geführt habe und sie habe allgegenwärtig sein lassen: "Insoweit und nur insoweit war die Kultur des Mittelalters eine Kultur der Gewalt" (125 f.).
Die von Melville vorgenommene Unterscheidung von Gewalt im Sinne von violentia oder vis und Gewalt als Macht im Sinne von postestas ist wesentlich auch für die übrigen Beitragenden, die sich auf Gewalt seitens Herrschender oder gegen Herrschende konzentrieren (121). Nach Melville kam Gewalt als politisches Mittel bei den Beispielfällen aus Deutschland, Frankreich, England und Böhmen (zu denen man, wie er zu Recht betont, leicht weitere aus Italien oder der iberischen Halbinsel hätte anführen können) aus einer gewissen Verlegenheit heraus zum Einsatz, "weil für den angestrebten Zweck kein anderes zur Verfügung stand" (133).
Diese Einschätzung trifft sich mit hehren Zielen der beiden Herausgeber des Sammelbandes, der "das Mittelalter gegen das Verdikt der exzessiven Gewaltbereitschaft" verteidigen soll und einen Beitrag leisten will "zu einer politischen Verfassungs- und Gesellschaftsgeschichte des spätmittelalterlichen Europa" (4 f.). Die Herausgeber fragen in ihrer Einleitung danach, inwieweit im späten Mittelalter "Gewalt Konstituens von Herrschaft blieb, trotz einer fortschreitenden Formalisierung und Verrechtlichung"; insbesondere interessiert sie dabei die Regelhaftigkeit ihrer Anwendung (3). Als zweite methodische Vorüberlegung, an der sich die Beiträger orientieren sollten, wurde vorausgesetzt, dass "politische Prozesse darauf abzielten, Gewalt als Instrument von Herrschaft zu kontrollieren, zu normieren und einzuschränken". Drittens sollte die Annahme gelten, dass Gewalt gegen den Herrscher "Ausdruck politischer und sozialer oder auch dynastischer und persönlicher Interessenkollisionen" war, und viertens, dass jene "auf Änderungen im Vollzug der Herrschaft zielte" (5 f.).
Auf Letztere zielten jedenfalls die Attentate und Schlachten, denen Jörg Rogge im spätmittelalterlichen Deutschland nachgeht. "Mit besonderer Berücksichtigung des Gewaltaspekts" untersucht er ausführlich die viel behandelten Attentate gegen Philipp von Schwaben und Albrecht I. von Habsburg sowie die Schlachten von Göllheim und Mühldorf. Er fragt danach, welchen Stellenwert "konkrete physische, auf den Körper oder den Besitz der jeweiligen Gegner zielende Gewalt" in der Herrschaftspraxis der Könige hatte, wie sich diese Gewalt "auf die Verfassungsentwicklung" auswirkte und wie zeitgenössische Chronisten den Einsatz dieser Gewalt darstellten (8). Er kommt zu dem Schluss, dass man auf höchster Ebene im 15. Jahrhundert nicht mehr wie zuvor zur Klinge oder Giftphiole griff, "wenn es galt, politische Konflikte oder Krisen zu lösen": "Durch die Ritualisierung der Gewalt in festgelegten Verfahren erfuhr diese eine Begrenzung" (50).
Die lange Reihe von Gewaltverbrechen von und an englischen Königen im Spätmittelalter, die ihren Höhepunkt in "the murderous season of the 1470s and 1480s" fand (68), rollt Christopher Allmand auf. Bei der Untersuchung der Ereignisse und Motive stellt er fest, dass sich in England seit dem frühen 13. Jahrhundert die Vorstellung davon wandelte, was als legitime Gewalt des Königs akzeptiert wurde: Sie sollte sich darauf beschränken, gute Gesetze zu machen, Gerechtigkeit zu üben, über Krieg und Frieden zu entscheiden und den wachsenden Verwaltungsaufgaben gerecht zu werden. Gleichzeitig wurde ein Gemeinschaftssinn stärker, der um 1300 als sozio-politische Kraft in den frühen Parlamenten Ausdruck fand (65). In der Tradition der Magna Carta von 1215 kam es immer wieder zur Opposition gegen Könige, die kein Vertrauen mehr genossen. Die Dynastiewechsel des 15. Jahrhunderts belegen: "The legitimacy created by effectiveness was becoming as important as the legitimacy of descent" (69 f.).
Martin Kintzinger lenkt den Blick zurück auf den Kontinent und kommt in seiner Untersuchung zum spätmittelalterlichen Frankreich zu dem Schluss, dass sich Gewalt im Umfeld der Herrschaft weitgehend regelhaft vollzog und "keinesfalls eine bloße eruptive Eskalation" war. Ordnung und Konflikt, Gewalt der Herrschaft und Gewalt gegen die Herrschaft seien aus den "Regeln der abendländischen Hof- und Adelskultur" zu erklären (76), verließen aber zugleich deren auf Verständigung angelegte Grenzen (99). Attentate und politische Morde folgten üblichen Verfahrensformen und erwartbaren Mustern und seien daher als "'Verlaufsmodelle'" im Bewusstsein der Zeitgenossen präsent gewesen, weshalb man - auch wenn vielleicht weder Gift noch Dolch im Spiel gewesen waren - schnell und ohne nähere Prüfung "von einem unerklärlichen Vorfall auf ein Attentat und von jedem Attentat auf die verwendeten Mittel und die angestrebten Ziele" geschlossen habe (79).
Der "Gewalt gegen den König im spätmittelalterlichen Böhmen" geht Winfried Eberhard anhand von drei prominenten Beispielen nach, die er als adeligen Widerstand zum Ausbau der Herrschaftspartizipation interpretiert: die Konflikte mit König Wenzel, die Kämpfe gegen König Sigismund sowie den Krieg gegen König Georg von Podiebrad. In keinem der drei Fälle habe es sich um eruptive Gewalt gehandelt, sondern jeweils um geplante Aktionen, die sich an klare Verfahrensformen gehalten hätten. Die organisatorischen Instrumente seien adelige Bündnisse gewesen, der Hauptakteur der Hochadel, der im Falle der Hussitischen Revolution von weiten Bevölkerungsschichten unterstützt worden sei. Ziele der Widerstandsgewalt seien die Wiederherstellung des Rechts und der "'Gerechtigkeit'" gewesen, was konkret die "Sicherung ständischer, speziell adeliger Mitwirkung an der Landesherrschaft" bedeutet habe. Eine Legitimation für den Widerstand habe man aus den "empfundenen oder behaupteten notorischen Rechtsbrüchen des Herrschers" sowie aus dem zu gewährleistenden "'Gemeinen Nutzen'" abgeleitet (116-118).
Wenn auch der Süden und der Norden weitgehend ausgeblendet bleiben, wird mit dem hier gebotenen breiten Spektrum an interessanten Fällen von königlicher Gewalt und Gewalt an Königen überzeugend dargelegt, dass Gewalt im spätmittelalterlichen Europa tatsächlich ein Konstituens von Herrschaft war und dass man im Vergleich eine gewisse Regelhaftigkeit in ihrer Anwendung feststellen kann.
Martin Kintzinger / Jörg Rogge (Hgg.): Königliche Gewalt - Gewalt gegen Könige. Macht und Mord im spätmittelalterlichen Europa (= Zeitschrift für Historische Forschung; Beiheft 33), Berlin: Duncker & Humblot 2004, VI + 143 S., ISBN 978-3-428-11588-4, EUR 36,00
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