Catharina Margaretha Linck ist keine Unbekannte in der Geschichte. 1891 druckte Franz Carl Müller einen Teil aus ihren Akten in "Friedrich's Blättern für gerichtliche Medizin und Sanitätspolizei" ab. 1980/81 übersetzte Brigitte Eriksson die von Müller edierte Quelle ins Englische und publizierte sie in einem Sonderband des "Journal of Homosexuality". Diese Orte der Veröffentlichungen kennzeichnen die Veränderungen, die der wissenschaftliche Zugang zu gleichgeschlechtlichem Verhalten von Menschen in der Vergangenheit durchmachte. Während Müller im Fall von Linck von einem "Mannweib" sprach, betitelte Eriksson ihren Aufsatz: "A Lesbian Execution in Germany, 1721". Nun nahm sich dieses Falles die Literaturwissenschaftlerin Angela Steidele an. Sie unternahm zusätzliche Archivheuristik sowie biografische Recherchen. Dabei stieß Steidele in unterschiedlichsten Quellentypen auf Spuren von Catharina Linck - von Kirchenbüchern, über einen Bericht an den König, bis hin zu einem nach der Verhaftung des Paares gedruckten Pamphlet. Dort, wo es an unmittelbarer Überlieferung fehlte (etwa bei Lincks Aufenthalt im Waisenhaus oder Karriere in der Armee), zog sie Parallelen aus ergänzenden Akten oder Sekundärliteratur heran. Den zweiten Teil des Buches bildet die akribische Edition aller relevanten Texte. Die aussagekräftigste Quelle bleibt für sie jedoch das schon von Müller publizierte Gutachten des Berliner Criminal-Collegiums von 1721. Die Verfasserin bietet insgesamt eine auf den neuesten Stand der Geschlechterforschung gebrachte Interpretation des Lebens und Handelns der Hauptfigur sowie anderer Personen und Institutionen, die mit Catharina Linck zu tun hatten.
Der Titel des Buches suggeriert eine kühne und gesellschaftliche Normen wenig beachtende Biografie, die mit dem Tode bestraft wurde. Die Brisanz dieser "wahrhaften Geschichte", geprägt vom mehrfachen Geschlechter-, Konfessions- und Ortswechsel, besteht in der Infragestellung und gleichzeitigen Beleuchtung der zeitgenössischen Ordnungsvorstellungen, aber auch in den individuellen Handlungsmöglichkeiten der Protagonistin. So gab die gerichtliche Verhandlung und Begutachtung dieses Falles damals unter anderem Anlass zu Erörterungen, inwieweit der Sodomiebegriff auf gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Frauen überhaupt angewandt werden könne.
Angela Steidele zeichnet den Lebensweg Lincks detailliert nach. Nachdem Catharina das Waisenhaus verlassen hatte, arbeitete sie im Textilhandwerk. In einer radikalpietistischen Täufersekte ließ sie sich dann als Mann auf den Namen Anastasius Lagrantinus Rosenstengel taufen, doch bereits davor hatte sie ihre Frauen- gegen Männerkleider getauscht. Nachdem sie sich erfolglos als Prophet versucht hatte, kehrte sie in Frauenkleidern nach Halle zurück. Während ihrer folgenden Soldatenkarriere (1705-1711) rettete ihr die Offenbarung ihres weiblichen Geschlechts das Leben, als sie wegen Desertion hätte gehängt werden sollen. Auch später trat Catharina mal in Frauen-, mal in Männerkleidern beziehungsweise -rolle auf. In Halberstadt bekräftigte sie 1717 ihren Männerstatus, indem sie als Anastasius Rosenstengel Catharina Margaretha Mühlhahn heiratete. Doch die Aufgabe, als Ehemann für das Familienauskommen zu sorgen, fiel Linck schwer. Ein kurzfristig die Subsistenz sichernder Aufenthalt im Münsteraner Jesuitenkolleg wurde 1719/20 mit dem Übertritt zum Katholizismus, das heißt erneuter Taufe und Trauung 'erkauft'. Im Mai 1720 folgte in Helmstedt die Konversion Lincks zum Luthertum - und damit ihre vierte Taufe. Bei einem Streit im Halberstädter Haus der Schwiegermutter wurde Lincks weibliches Geschlecht entdeckt und sie der städtischen Justiz übergeben. Catharina Mühlhahn kam ebenfalls ins Gefängnis.
Der Prozess - den Steidele in einen zeitspezifischen rechtshistorischen Hintergrund einbettet, ohne dabei jedoch die neuere diesbezügliche Forschung, etwa Wolfgang Behringers oder Andrea Griesebners zu rezipieren [1] - dauerte fast anderthalb Jahre und endete mit einer vom preußischen König bestätigten Hinrichtung Lincks und einer Zuchthausstrafe für ihre Frau. Den zehn von ihr in einzelnen Kapiteln rekonstruierten Stationen des Lebenswegs der beiden Frauen fügt die Verfasserin eine abschließende Überlegung über "Transidentität und Homosexualität" in der Frühen Neuzeit hinzu, die ihr Verständnis von Lincks Motivationen noch einmal auf den Punkt bringt.
Die Selbstäußerungen Lincks, aus denen man auf ihre Handlungsmotive schließen könnte, beschränken sich in der Hauptquelle von 1721 auf ein Minimum. Aus ihrem Leben, so wie es aus der vorwiegend gerichtlichen Perspektive zu rekonstruieren ist, geht trotzdem hervor, dass (Ehe-)Gemeinschaft und Sex mit einer anderen Frau einerseits und der Kleider- beziehungsweise Rollentausch andererseits eng zusammenhingen und auf Lincks gleichgeschlechtliches Begehren zurückzuführen sind. Nun ist aber "gleichgeschlechtlich" nicht gleich "lesbisch" oder "homosexuell", berücksichtigt man nur zum Teil die "schweren Treffer", die der soziale Konstruktivismus in der Geschlechtergeschichte erzielt hat. [2] Steidele aber überträgt ihren Schlussbefund (146) auf den Beginn ihrer Untersuchung und stellt Linck von Anfang an als eine "lesbisch begehrende Frau" (31) dar. Daran wäre nichts auszusetzen, wenn damit das mehr oder weniger zeitlose Lesbisch-Sein nicht zum alleinigen Erklärungsmuster erklärt würde. Die spekulative Gratwanderung fällt nicht immer zu Gunsten der Plausibilität aus: Ein Beispiel hierfür ist die Deutung des Namens Anastasius Rosenstengel, den Steidele "zu ironisch hintergründig" findet, "als dass er aus Zufall entstanden sein könnte" (37). - Mit dessen Wahl habe Linck ihre männliche Identität spielerisch bekräftigen wollen. Dasselbe soll auch für ihre weiteren falschen Nachnamen gelten (57). Ob jedoch auch Linck unter Anastasius Rosenstengel den auferstandenen Mann beziehungsweise das weibliche (Rose) und männliche penetrierende (Stengel) Genital verstand, dafür bringt Steidele keine überzeugenden Argumente.
Auch die Heirat sieht die Autorin konsequent als Verbindung zweier einander begehrender und miteinander einverstandener Frauen - Mühlhahns Selbstdarstellung als getäuschtem Opfer schenkt sie keinen Glauben. Auf deren lesbische Identität spielt sie auch mit der rhetorischen Frage an, ob "sie sich schon zuvor mit Frauen eingelassen hatte" (70). Die Aussagen beider Angeklagten über ihre intime Beziehung - die aufseiten Rosenstengels durchaus gewaltsame Züge aufwies, da er bei Konflikten so auf seinen Status als Eheherr pochte - deutet Steidele beharrlich als verzweifelte Verteidigung Mühlhahns. Dabei geht aus deren Worten gar nicht hervor, dass sie Sex mit einer Frau wissentlich zugestanden hätte (101). In gewissem Sinne ähnelt die hier postulierte Komplizenschaft eines weiblichen "Betrugsopfers" den Erörterungen über Betrande de Rols aus "The Return of Martin Guerre" von Natalie Z. Davis, nur wurden diese unvergleichbar dichter am zeitgenössischen Verständnis entlang geführt. [3]
Die von der Autorin angestrebte Kontextualisierung würde nicht nur bedeuten, alle Personen zu identifizieren und die Eigenarten des frühneuzeitlichen Gerichtswesens zu erklären, sondern hieße auch, das "Unmoderne" in den ständischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit, etwa die soziale (darunter auch die Geschlechts-)Ungleichheit und den Foltereinsatz im Strafprozess (95; 160, Anm. 17) aus der zeitgebundenen Logik heraus zu begreifen versuchen. Von einem solchen Verstehen ist jedoch wenig zu spüren, wenn die Nichtzulassung der Frauen zum Militär und demzufolge die Unmöglichkeit als Frau zu desertieren, als "Frauenverachtung" bezeichnet wird (53). Die Suche nach den Rebellen gegen die gesellschaftlichen Normen verdeckt manchmal den Blick darauf, was die Betreffenden mit der Gesellschaft doch alles gemeinsam hatten.
Wie wenig offen sich die Autorin alternativen Deutungen gegenüber zeigt, darauf weisen auch einige, allerdings nicht sehr zahlreiche Fehler hin. Die Aussage Mühlhahns über "die von ihrer Mutter übergebene Lederne Wurst" (Dildo) (99), könnte Steidele zufolge auch ein Versuch gewesen sein, die Mutter in die Angelegenheit hineinzuziehen und sich an ihr zu rächen. Dabei geht es vielmehr um eine in den Gerichtsakten übliche Vermischung der Zeitebenen - Mühlhahn staunte über das Auftauchen des Dildos, den ihre Mutter erst später, nach der Verhaftung Rosenstengels, dem Stadtgericht übergab. Steidele behauptet unter Berufung auf Rudolf Dekker und Lotte van de Pol außerdem, der Dildo wäre "ein recht verbreiteter Gegenstand, den auch viele andere Frauen in Männerkleidern benutzten" (50). Doch auf der zitierten Seite ist - abgesehen von den Hörnern oder Silberröhren zum Urinieren - die Rede nur von Catharina Linck selbst und drei anderen Fällen. [4] Dem Befund dieser Autoren, dass die weibliche Verkleidung und der damit verbundene Rollentausch in der Frühen Neuzeit nichts Unvorstellbares waren, kann man zustimmen, Steidele gibt die entsprechende Stelle allerdings verkehrt wieder: nicht "als Frauen verkleidete Männer" (29), sondern "als Männer verkleidete Frauen" waren "keine kuriösen Einzelfälle", heißt es richtig. [5]
Die Grenzen der frühneuzeitlichen Geschlechterordnungen, sowie die individuellen Handlungsmöglichkeiten mit modernen Begriffen wie etwa Homosexualität fassen zu wollen, trägt nicht unbedingt zu deren besserem Verständnis bei. Steidele konzentriert sich auf "die vielfältigen Abweichungen, die als Vorgeschichte späterer lesbischer Lebenskonzepte verstanden werden können" (147); sie sucht also nach Anhaltspunkten für die (Hypo-)These, die komplexe homosexuelle Identität hätte sich schon vor der Foucault'schen Wende des späten 18. bzw. 19. Jahrhunderts herauszubilden begonnen. Manchmal bedient sie sich dabei Vorstellungen, die in der Geschichtswissenschaft schon längst als überwunden gelten, etwa über die "Schollengebundenheit" des so genannten vierten Standes (147). Die Andersartigkeit der äußerst mobilen Linck, die Steidele teilweise aus ihrer Heimatlosigkeit ableitet, muss aber nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit ihrem gleichgeschlechtlichen Begehren stehen. Für eine solche Spekulation reicht das Quellenzitat, sie "bliebe doch dergleichen", als Beleg nicht aus. Vor der Überbetonung des homosexuellen Begehrens als alleinigem Handlungsmotiv könnte gerade der Vergleich mit anderen "Frauen in Männerkleidern" bewahren. Die Geschichte von Catharina Margaretha Linck würde dadurch an Lebendigkeit und deren insgesamt gelungene historische Analyse nur noch an Überzeugungskraft gewinnen.
Anmerkungen:
[1] Wolfgang Behringer: Gegenreformation als Generationenkonflikt oder: Verhörsprotokolle und andere administrative Quellen zur Mentalitätsgeschichte, in: Winfried Schulze (Hg.): Ego-Dokumente. Annäherungen an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, 276-293, hier bes. 276-278, 282-284; Andrea Griesebner: Konkurrierende Wahrheiten. Malefizprozesse vor dem Landgericht Perchtoldsdorf im 18. Jahrhundert, Wien / Köln / Weimar 2000, 113-118.
[2] Franz X. Eder: Die Historisierung des sexuellen Subjekts. Sexualitätsgeschichte zwischen Essentialismus und sozialem Konstruktivismus, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichte 5 (1994), 311-327, hier 327.
[3] Robert Finlay: The Refashioning of Martin Guerre, in: The American Historical Review 93 (1988), 553-571; Natalie Z. Davis: "On the Lame", in: The American Historical Review 93 (1988), 572-603.
[4] Rudolf Dekker / Lotte van de Pol: Frauen in Männerkleidern. Weibliche Transvestiten und ihre Geschichte, Berlin 1990, 28.
[5] Dekker / van de Pol: Frauen in Männerkleidern (wie Anm. 3), 12.
Angela Steidele: In Männerkleidern. Das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, hingerichtet 1721. Biographie und Dokumentation, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, VI + 250 S., ISBN 978-3-412-16703-5, EUR 22,90
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