Populär ist er bis er heute: der "Schinderhannes". Als Johannes Bückler, Sohn eines "unehrenhaften" Schinders um 1783 getauft, wurde er nach einer Bagatellverurteilung in die Kriminalität gedrängt. Er beging mit seiner Bande zahlreiche Verbrechen und Vergehen im damals französischen Hunsrück und im rechtsrheinischen Westerwald. 1802 wurde er gefangen genommen, nach einem Prozess vor einem Sondergericht zum Tode verurteilt und 1803 in Mainz hingerichtet.
Früh gab es schon Versuche, möglicher Mythenbildung entgegenzuwirken. Der am Verhör beteiligte Friedensrichter Johann Nicolaus Becker versuchte 1804 die romantische Verklärung zu widerlegen sowie Verfahren und Urteil zu rechtfertigen. [1] Für die Sozialgeschichte ist das Thema der Räuberbanden und organisierten Kriminalität geradezu prädestiniert, hat doch kein Geringerer als Eric J. Hobsbawm bereits 1959 die Herausbildung der italienischen Mafia dadurch erklärt, dass die Unterschichten nach Mitteln suchten, "ihr Elend auch außerhalb der periodischen Bauernaufstände zu lindern". [2] Dem Interesse der Frühneuzeitforschung bot Heiner Boehncke 1991 in Form einer größeren Quellensammlung zum Thema eine Grundlage. [3]. In jüngerer Zeit haben etwa Andreas Blauert [4] und, teils in populärwissenschaftlicher Darstellung, Uwe Danker [5] das organisierte Bandenwesen im frühneuzeitlichen Deutschland untersucht. Anhand von Fallstudien arbeitete Helmut Berdings Sammelband über "Kriminalität und Abweichendes Verhalten" einzelne Aspekte, etwa die strukturell bedingte Wirtschaftskriminalität Frankfurter Juden, heraus. [6] Im November 2003 lancierte das Stadtarchiv Mainz eine große Ausstellung über den Schinderhannes.
Udo Fleck, der 2003 in Trier über "Räuberbanden im Rheinland von 1500 bis 1815" promoviert wurde [7], stellt hiermit gewissermaßen als Beiprodukt seiner Forschungen ein Quellencorpus von rund 2800 Dokumenten auf 3722 Seiten bereit. Ursprünglich, so Fleck, war die Herausgabe als Druckversion geplant, jedoch griff man auf die kostengünstigere CD-ROM-Form zurück. Die Dokumente sind den Mainzer Voruntersuchungsakten entnommen worden, also denjenigen Ermittlungsakten und Dokumenten, auf die sich Richter, Staatsanwalt und Verteidiger während des späteren Prozesses stützten. Der eigentliche Prozessverlauf wird also nicht wiedergegeben. Stattdessen lässt sich anhand dieser heute im Stadtarchiv Mainz deponierten Quellen zweierlei nachvollziehen: erstens die Verbrechen der Schinderhannes-Bande im Hunsrück, zweitens die Methoden der Verbrechensbekämpfung im französischen Rheinland um 1800. Die einzelnen Quellen sind insoweit aufgearbeitet, als sie ein einheitliches formales Äußeres durch den Bearbeiter erhalten und mit Kurzregesten versehen sind. Diese technische Anpassung der Originaldokumente ist gut gelungen. So sind die Seitenumbrüche in den Quellen angegeben, womit der Abgleich mit Arbeiten möglich wird, die vormals zumindest punktuell auf die Akten zurückgegriffen haben.
Die Quellen liefern detaillierte Einblicke in Handeln und Denken der rheinischen Bevölkerung, und zwar hauptsächlich der unteren und mittleren Schichten. Man erfährt etwa manches über gewöhnliche Tagesabläufe und Soziabilitäts- beziehungsweise Kommunikationsformen im spezifischen Milieu. Hier bietet sich noch Raum für größere Untersuchungen. Auch können die zeitgenössischen amtlichen und autobiografischen Quellen, so das bereits oben erwähnte Werk des Friedensrichters Becker, auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Den Großteil der Quellen machen das Endurteil sowie Verhörprotokolle aus, in denen die Befragten wortwörtlich sprechen. Die Ausdrucksweise allerdings war bereits von den damaligen Protokollanten geglättet und ins Hochdeutsche transkribiert worden. Der Bearbeiter hat sich um eine weitgehende Einheitlichkeit bemüht, was in der Regel gelungen ist, dennoch ist, etwa bei Ortsbezeichnungen, eine Reihe dialektaler oder orthografischer Fehler übersehen worden. Besäße die Quellensammlung ein Register, würde dies rasch evident. Um eine Quellensammlung handelt es sich tatsächlich deshalb, weil ein kritischer Fußnotenapparat fehlt. Wenn etwa von einem "lutherische[n] Pfarrer" gesprochen wird, der bei einem Verhör die Zeugin unter Alkoholeinfluss gesetzt hatte, ist es nur mittels anderer Quellen möglich herauszufinden, um welche Person es sich handelte (in diesem Fall hieß der Mann Peter Homburger). Während solche Anmerkungen fehlen, wird der Leser jedoch mit einer Unmenge, zum Teil unnötiger, weil häufig vorkommender Quellen konfrontiert wird (zum Beispiel Aufträgen an Subalterne zur Personenvorladung).
Die Archivaliengeschichte in der Einleitung hätte etwas länger ausfallen können, ist aber hinreichend. Sie bietet Hinweise auf Parallelüberlieferungen in Paris und anderen rheinischen Archiven. Einige der Schwierigkeiten, die bei der Edition angefallen sind, werden genannt. Trotz französischer Gerichtssprache wurden französische Fassungen von Quellen ausgelassen, wenn es deutsche Übersetzungen gab, da diese nach Fleck keine nennenswerten Varianzen böten. Dies erleichtert natürlich dem deutschsprachigen Historiker und Forscher, der unter Umständen des Französischen nicht fließend mächtig ist, die Arbeit ganz erheblich, setzt jedoch gleichzeitig die nichtdeutschsprachige Forschungsgemeinschaft außer Stande, ebenso problemlos mit den Dokumenten umgehen zu können. Das hauptsächliche Manko der vorliegenden Sammlung liegt in den Nachteilen des Volltextsuchverfahrens im Rahmen des (zur Installation beigegebenen) Acrobat-Readers: Hierfür muss man eben das exakte Suchwort kennen und noch dazu in der richtigen Schreibweise. Gegenüber der Druckversion ist dies nur bedingt ein (Zeit-)Vorteil, da jeweils der gesamte Datenbestand durchsucht wird und die Suche je nach Rechnerleistung sehr lange dauern kann. Als äußerst schwer wiegend erweist sich die Dokumentenkodierung, in deren Folge die Kopierfunktion unterdrückt ist. Zur Übernahme von Textpassage ist gegebenenfalls also das Abschreiben erforderlich.
Als Resümee bleibt die Feststellung, dass die Bereitstellung der CD-ROM-Version auf Kosten der Nutzbarkeit erreicht wurde. Die einfache Suchmöglichkeit des Textes sowie der rasche Zugriff sind die entscheidenden Vorteile dieser Zusammenstellung. Dabei erschwert allerdings die Orthografie der Quellen aufgrund ihrer nicht durchgängigen Stringenz die Suchfunktion. Schade bleibt zuletzt, dass die französischen Quellen fortgelassen wurden, wenn deutsche Übersetzungen vorhanden waren. Sehr gut ist die Arbeit hingegen für Genealogen geeignet, die mit einem der Beteiligten oder der Vielzahl von Zeugen verwandt sind. Der hauptsächliche Zweck der Edition, die Schaffung einer Dokumentenbasis zur Erforschung regionaler Alltags-, Mentalitäts- und Kriminalitätsgeschichte zur 'Sattelzeit' der Moderne, ist erfüllt.
Anmerkungen:
[1] Johann Nicolaus Becker: Aktenmäßige Geschichte der Räuberbanden an beiden Ufern des Rheins, Mainz 1804.
[2] Eric J. Hobsbawm: The Rebels, London 1959, 57.
[3] Heiner Boehncke / Hans Sarkowicz (Hg.): Die deutschen Räuberbanden, 3 Bde., Frankfurt a.M. 1991.
[4] Andreas Blauert / Gerd Schwerhoff (Hg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000.
[5] Uwe Danker: Die Geschichte der Räuber und Gauner, Düsseldorf / Zürich 2001.
[6] Helmut Berding (Hg.): Kriminalität und Abweichendes Verhalten. Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert, Göttingen 1999.
[7] Udo Fleck: Räuberbanden im Rheinland von 1500 bis 1815, Diss. masch. Trier 2003.
Udo Fleck (Bearb.): Die Mainzer Voruntersuchungsakten gegen die Schinderhannes-Bande, Trier: Kliomedia 2004, 2792 Dokumente auf CD-Rom, ISBN 978-3-89890-072-0, EUR 49,90
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