Band sechs der vom Deutschen Forum für Kunstgeschichte / Centre allemand d'histoire de l'art herausgegebenen Reihe "Passerelles" ist einem grenzüberschreitenden Thema gewidmet: Mit den Porträts deutscher Dichter und Künstler von der Hand Pierre Jean Davids, genannt David d'Angers, stellt Bernhard Maaz dem Leser einen Ausschnitt aus dem Œuvre des Bildhauers vor, der als Zeitgenosse und Schüler Jacques-Louis Davids seinem Namen den Zusatz "d'Angers" hinzufügte, um unverwechselbar zu bleiben. Angesichts seiner Faszination von der Idee, die Porträts berühmter Personen seiner Zeit zu verbreiten, um sie anderen als Vorbild vor Augen zu führen, trifft der Titel "Vom Kult des Genies" sicher nicht nur auf die deutschen Bildnisse David d'Angers zu. Vielmehr könnte der Titel als Überschrift für den größten Teil seines Werkes dienen; nicht zuletzt wurde er mit der Gestaltung des Frieses des Panthéon in Paris beauftragt, der Kirche, in der nach der Revolution auserwählte Nationalhelden Frankreichs verehrt wurden. [1]
Von Goethe war d'Angers bereits beeindruckt, bevor er ihn bei der Porträtsitzung persönlich traf. Euphorisch schrieb er kurz vor der Abreise an seinen Freund und Reisebegleiter Victor Pavie: "Bist Du bereit? So unsterblich wie er ist, er ist schon alt. Lass uns eilen. Die Gelegenheit ist günstig". [2] So verwundert es nicht, dass Maaz die Porträtbüste Goethes als Auftakt seines Buches wählte (15-44). Durch Zeugnisse von Goethes Zeitgenossen, die David vor Ort erlebt hatten, oder die ersten Reaktionen von Besuchern und Öffentlichkeit auf das für den deutschen Zeitgeschmack ungewöhnlich ausdrucksvolle Werk lässt Maaz vor den Augen des Lesers die Situation anschaulich wiedererstehen: Nachdem Goethe, zusätzlich unter Zeitdruck durch die Feierlichkeiten zu seinem 80. Geburtstag, David Zeit für die Porträtsitzung eingeräumt hatte, stellte sich heraus, dass sie viele gemeinsame Interessen hatten. Unter anderem unterhielten sie sich über die Theorien Lavaters und teilten die Ansichten zum Einfluss berühmter Individuen und in diesem Zusammenhang die hohe Wertschätzung der Verbreitung ihrer Porträts. Und so war Goethe fasziniert von den Gipsmedaillons mit den Porträts bekannter Personen, die David ihm nach seiner Rückkehr zusandte. Maaz beschreibt auch die Ambivalenz im Verhalten Goethes, der sich einerseits für den jungen Künstler und seine Begabung interessierte und sich andererseits wiederholt von dessen Arbeit, seinem Porträt, distanzierte. Ironisch äußerte er sich über die Unmengen Ton, aus denen "Gott der Herr [...] einen ganzen Adam herausgeknetet hätte" (22). Er habe mit "dem kleinen Format schon genug zu thun", als dass er begreifen könnte "wie sich eine doppelt und dreyfach vergrößerte Form benehmen könnte" (38). Vor Betrachtern der Büste zog er sch mit den Worten, er wolle nicht zweimal anwesend sein, zurück (40). [3]
Neben Goethe waren für David d'Angers insbesondere sein Kontakt zu dem Arzt und Künstler Carl Gustav Carus und durch diesen seine Begegnung mit Caspar David Friedrich von Bedeutung. Die Freundschaft mit Carus hielt sich über die Ländergrenzen hinweg und Carus empfahl durch Frankreich reisende Freunde an David, die dort herzlich aufgenommen wurden. Er schätzte Carus' Kunst und erbat sich von ihm Bilder, die er wiederum mit Skulpturensendungen entgalt. David war bestrebt, diesen Kontakt aufrechtzuerhalten, und versuchte, bei Aufenthalten in Deutschland seinen Freund zu besuchen, was nicht immer gelang. Friedrichs Kunst hinterließ auf ihn einen nachhaltigen Eindruck. Im Anblick seiner Gemälde entfuhr ihm der Ausruf "Voilà un homme, qui a découverte la tragédie du paysage!", der in der Folgezeit von Carus immer wieder zitiert wird. [4] Er erwarb eine Zeichnung Friedrichs und bat Carus um die Vermittlung weiterer Arbeiten.
Zeichnungen und Gemälde anderer Künstler dokumentieren Davids Zusammentreffen mit ihnen und mit mancher Koryphäe seiner Zeit blieb der Kontakt auch länger bestehen. Wo die konservative Kritik Schwierigkeiten mit der Akzeptanz des romantischen Stils Davids hatte, waren seine großzügig verschenkten Büsten andernorts geschätzter Beweis seiner Freundschaft. Und während Rauch - vielleicht aus dem Bedürfnis, sich von dem Kunstwerk zu distanzieren - seine Büste in einer abgelegenen Dependance seines Besitzes eher versteckte, als sie stolz zu zeigen (86), war Alexander von Humboldt, der David auch bewirtete, als dieser auf der Flucht vor den politischen Wirren in Frankreich sich für einige Zeit nach Griechenland zurückzog, fast schon gekränkt von der wenig persönlichen Widmung auf seinem Konterfei (94).
Profil oder Dreiviertelansicht, Medaillon oder Skulptur - welches war die den Umständen angemessene Wahl der Darstellung? Maaz veranschaulicht die Herangehensweise Davids und zeigt dabei, wie individuell seine Auswahl der darstellungswürdigen Prominenz war. Und während mancher prominente Zeitgenosse sich mit einem Medaillon begnügen musste, konnte es vorkommen, dass David persönlich hoch geschätzten Menschen die höherwertige Darstellungsform der Büste zugestand (99 f.).
Dabei scheut Maaz nicht vor qualitativer Wertung zurück. So schätzt er Vogels Gemälde der Porträtsitzung Tiecks für David als dessen "bedeutendstes überhaupt" ein (48) und Davids Lebenswerk als "von erstaunlicher Fülle und Eigenständigkeit" (11). Auch die künstlerische Persönlichkeit wird beurteilt. So meint Maaz, David habe in Caspar David Friedrich "zweifellos" den "geistesverwandten Einsamen" gesehen (66), und stellt fest, Goethe habe sich dem Festakt zur Einweihung der Davidbüste "klugerweise" entzogen (40). Diese Charakterisierungen machen das Buch gut lesbar und vermitteln einen lebendigen Eindruck von der Zeit, von kleinen Animositäten und großen Grundstimmungen. Oft umreißt Maaz mit wenigen Worten die Grundproblematik eines künstlerischen Diskurses. Er positioniert Anhänger konservativer Richtung gegenüber denen, die dem romantischen Stil aufgeschlossen gegenüberstanden, und verortet Kritik und Probleme in der Persönlichkeitsstruktur oder in gesellschaftlichen Strömungen.
Maaz beleuchtet auf kleinem Raum einen Werkausschnitt eines Künstlers, der bisher nur mit wenigen ausführlicheren Publikationen bedacht wurde. Nicht nur sein die nationalen Grenzen überschreitendes Interesse lässt sein Werk heute wieder aktuell erscheinen. So ist es lediglich zu bedauern, dass das Taschenbuchformat oder die Themenwahl eine eingehendere Behandlung mancher Themenbereiche wohl nicht zuließ. Letztere stellt die Kontakte Davids nach Deutschland, sein Interesse an einzelnen Künstlern und Geistesgrößen des Nachbarlandes sowie deren Reaktion auf seine Kunst in den Mittelpunkt. Gerade in Hinblick auf die Proportionen der Goethebüste wäre es jedoch zusätzlich interessant gewesen, zu den von Bruel herausgegebenen schriftlichen Aufzeichnungen Davids einen eingehenderen Vergleich zu ziehen und so seine Äußerungen zur Person Goethes oder seine Bewertung bestimmter Gesichtsmerkmale zur Interpretation mit heranzuziehen. Doch wird dieser instruktive Band hoffentlich den Anstoß zu weiterer Forschung zu David d'Angers geben, zu der er ein anregender Beitrag ist.
Anmerkungen:
[1] Neil McWilliam: David d'Angers and the Panthéon Commission: Politics and Public Works under the July Monarchy, in: Art History Vol. 5 No. 4, Dec. 1982, 426-446, hier: 427 f.
[2] Paul-Emile Schazmann: David d'Angers. Profils de l'Europe, Genf 1973, hier: 74.
[3] André Bruel (Hg.): Les Carnets de David d'Angers, Bd. I, 1828-1837; Bd. II, 1838-1855, Paris 1958, hier: Bd. I, 56.
[4] Carl Gustav Carus: Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten. Nach der zweibändigen Originalausgabe von 1865/66 neu herausgegeben von Elmar Jansen, 2 Bde., Weimar 1966, hier: Bd. I, 172 f.
Bernhard Maaz: Vom Kult des Genies. David d'Angers' Bildnisse von Goethe bis Caspar David Friedrich (= Passerelles; Bd. 6), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2004, 112 S., 37 Abb., ISBN 978-3-422-06458-4, EUR 14,80
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