Transnistrien und Nordbukowina, Südukraine, Krim und Nordkaukasus, Weißrussland - das sind die Stationen einer an der Ostfront eingesetzten Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes - der Einsatzgruppe D. Diesem erschütternden "Kampfweg" ist das Buch von Andrej Angrick gewidmet.
Dem folgt auch die Kapiteleinteilung. Zuerst wird die Vorkriegskonstellation beschrieben, ausgehend vom Bündnis zwischen Hitler und dem rumänischen Diktator Ion Antonescu. Es folgt ein vergleichsweise später Einstieg in den Krieg im Süden der Ostfront und die Zusammenarbeit mit der rumänischen Armee. In der Ukraine verübte die Einsatzgruppe Verbrechen im Einklang mit der 11. Armee, danach auf der Krim, im Nordkaukasus und in den Partisanenwäldern der weißrussischen Pripjat'-Sümpfe.
Angrick schreibt mit Recht, "daß im Rahmen militärischer Operationen noch nie zuvor so wenige Menschen willkürlich über das Leben so vieler anderer entschieden, sie ermordet und gequält hatten." (731). Die Einsatzgruppen waren weder Sicherheitsbeauftragte noch "weltanschauliche Soldaten des Staatsschutzes" - sie waren bloße Mörder, reine Henker, enthusiastische Exekutoren von Hitlers letzter Version der "Endlösung der Judenfrage".
Natürlich steht hauptsächlich der Judenmord im Blickfeld des Verfassers, aber nicht ausschließlich. Auch dem Schutz jener Volksdeutschen in der Südukraine, die Stalin nicht "rechtzeitig" hatte deportieren können, ist ein Abschnitt des Buches gewidmet. Der Verfasser macht auch den Zusammenhang zwischen beiden Erscheinungen klar - zwischen der Tötung der einen und dem Schutz bzw. der Bevorzugung der anderen Gruppe. Er zeigt, dass mit der Ausnahme von Volksdeutschen, "Volksfinnen", "Volksitalienern" und "Volksrumänen" alle anderen Einwohner Russlands, ganz gleich ob sie feindliche Partisanen oder freundliche Kollaborateure waren, in der Tat keine wirkliche Zukunftsperspektive unter deutscher Herrschaft hatten. Der Generalplan Ost blieb zwar eine Utopie des Nationalsozialismus, aber keinesfalls nur ein bloßer Traum: so weit irgend möglich, versuchte man ein Stück des ersehnten "Lebensraumes" zu schaffen - durch Tod und Deportation.
Am Beispiel der Krim, deren deutsche Besiedlung Hitler "eine tolle Sache" fand und die er "frei machen" wollte (538), schildert Angrick dies besonders eingehend. Nur den Tataren sollte es gestattet werden, auf der Halbinsel zu verbleiben; wobei auch sie nicht völlig außer Gefahr waren. [1] Allen anderen drohten Deportation und Vernichtung.
Die Gesamtgeschichte der unzähligen Umsiedlungen der Einheimischen unter der deutschen Besatzung - von der Verschleppung der Ostarbeiter und Evakuierten bis zu den "Säuberungen" der Bevölkerung in den frontnahen Territorien - ist zwar schon reichlich dokumentiert, aber noch nicht geschrieben. Die Einsatzgruppe D unter dem Kommando von Otto Ohlendorf und Walter Bierkamp erwies sich als eines der schärfsten Organe dieses Vernichtungsauftrags. Die Überlebenschancen waren im Tätigkeitsbereich dieser Einsatzgruppe, auch im Vergleich mit "Kollegen" bei den Heeresgruppen Mitte und Nord äußerst gering. In ihrem Bereich tolerierte sie keinen jüdischen Überlebenden. Deswegen waren Gettos in ihrem Tätigkeitsbereich eine Seltenheit, und wenn sie doch welche einrichtete, dann nicht auf Dauer - nur bis zum nächsten technisch günstigen Zeitpunkt der Liquidierung. Auch Judenräte spielten dabei eine völlig andere Rolle als im Mittel- oder Nordabschnitt; sie bildeten nicht eine Vermittlungsebene beim Arbeitseinsatz, sondern wurden eher zur Beraubung jüdischen Eigentums und zur organisatorischen Erleichterung der Vernichtungsaktionen herangezogen.
Es entsteht der Eindruck, als habe die Einsatzgruppe die kürzere Dauer ihrer Aktivitäten (die Einsatzgruppe D wurde am spätesten - im Juni 1941 - aufgebaut und am frühesten - in Mai 1943 - aufgelöst) mit maximal erhöhter Intensität des Verbrechens kompensieren wollen. Aber eine gewisse historische Ironie steckt in der Tatsache, dass ausgerechnet in der Nordbukowina und in Transnistrien - ihrem ehemaligen Tätigkeitsbereich, den sie an die Rumänen übergeben sollte - der Anteil der den Krieg überlebenden Juden am Ende am größten im ganzen sowjetischen Raum war.
Der Verfasser beschreibt den Kampfweg der mörderischen Truppe ganz unpathetisch. Er konzentriert sich dabei auf die Täter - dem Kreis der Opfer widmet er viel weniger Aufmerksamkeit, und zwar nicht nur wegen des Quellenmangels, sondern ganz bewusst. Den Täterkreis verfolgt er sehr skrupulös, bis zu den kleinsten Details der einzelnen Karrieren, Intrigen im SS-Milieu und sogar zur Geschichte ihrer Bestrafung bzw. Nichtbestrafung in der Nachkriegszeit. Aber als glaubwürdige Zeugen betrachtet er seine Täter nicht, stets prüft er ihre Aussagen kritisch auf ihre Plausibilität (manchmal, aus rein rhetorischen Gründen, erlaubt er sich auch die irritierende Gleichgewichtung der Zeugenaussagen aus Täter- und Opferkreisen, wie z. B. auf Seite 150).
Dementsprechend sind auch seine fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten insbesondere überall dort überzeugend, wo er auf dem deutschen "Quellenboden" steht. Stellt er seinen Fuß aber auf den fremden Boden der sowjetischen Geschichte, zeigen sich vereinzelt gewisse Mängel. Er reflektiert z. B. über die unterschiedliche Haltung der einheimischen Bevölkerung gegenüber den eingesessenen Juden im Baltikum und in der Westukraine einerseits und in Westweißrussland andererseits. Er erklärt das erhöhte antisemitische Engagement im ersten Fall mit dem durch die stalinistischen Deportationen aufgeheizten Antibolschewismus. Aber Westweißrussland war 1940-1941 ebenso von Deportationen betroffen gewesen wie die Ukraine. Hier liegt die Erklärung also sicherlich nicht, man wird weiter nach ihr suchen müssen.
Es gehört zur neuesten Entwicklung der deutschen Militärgeschichte, auch die russischsprachigen Quellen stärker einzubeziehen. Neben den verschiedensten deutschen Archiv- und Gerichtsakten, darunter sogar den Papieren des ehemaligen Direktors des Instituts für Zeitgeschichte, Helmut Krausnick, tauchen in Angricks Quellenverzeichnis auch die wichtigsten Archivsammlungen von Moskau, Riga und Minsk mit eigenen und deutschen Beuteakten auf. [2] Aber das Fehlen der Akten der "Außerordentlichen Staatskommission der UdSSR für die Aufklärung der deutschen Verbrechen" in diesem langen Quellenverzeichnis scheint mir kein reiner Zufall zu sein. Es ist anscheinend Ausfluss der Entscheidung, diese Quellengruppe wegen der Fragwürdigkeit einzelner Vorgänge dieser Organisation pauschal zu ignorieren - was ich nicht unbedingt für richtig halte.
Damit sollen jedoch keinesfalls Angricks Ergebnisse relativiert werden. Sein Buch - dieses Gruppenportrait der Täter aus dem Einsatzkommando D vor dem Hintergrund ihrer Taten - ist hervorragend, es bietet zahlreiche neue Informationen und Einschätzungen und wirkt auf den Leser stark und überzeugend.
Anmerkungen:
[1] Siehe dazu in meinem Buch "Źertvy dvuch diktatur", 2. Aufl. Moskau 2003, 185.
[2] Ich nutze diese Gelegenheit auch, um einen Druckfehler zu korrigieren: die Nummer des Bestandes "Materialien des Nürnberger Tribunals" im Staatsarchiv der Russischen Föderation lautet 7445 und nicht 70445.
Andrej Angrick: Besatzungspolitik und Massenmord. Die Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion 1941-1943, Hamburg: Hamburger Edition 2003, 795 S., ISBN 978-3-930908-91-2, EUR 35,00
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