Der Sammelband basiert auf einer Vortragsreihe, die 1999 am Deutschen Historischen Institut Washington stattgefunden hat. Christof Mauchs Einleitung ("Nature and Nation in Transatlantic Perspectives") geht von der Feststellung aus, dass Natur an sich zwar keine nationalen Grenzen kenne, Landschaften dagegen in der Geschichte sehr wohl nationalistische Zuschreibungen erfahren haben. Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Natur hatte in der vergleichsweise jungen Siedlergesellschaft Nordamerikas mit ihrem zivilisatorischen Kampf gegen vermeintlich unberührte Natur andere kulturelle Grundlagen als diejenige in der alten Welt mit ihrer jahrhundertealten Geschichte von Urbanisierung und dynamischer Entwicklung von Kulturlandschaften. Vorstellungen von Natur haben nicht wenig mit nationaler Identität zu tun, weswegen die Nation einen brauchbaren Anknüpfungspunkt für das Nachdenken über Umweltgeschichte biete. Da aber In- und Ausländer zu durchaus unterschiedlichen Beobachtungen hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen Naturwahrnehmung und nationaler Identität gelangen können, sei es sinnvoll, beide Seiten zu berücksichtigen. Dies soll der Band leisten, indem er Einblicke in die Projekte deutscher und amerikanischer Forscher gewährt. Dabei stecken die Beiträge thematisch wie chronologisch zwischen den Meliorationen im Preußen Friedrichs des Großen und dem Waldsterben des 20. Jahrhunderts ein weites Feld ab.
Mauch formuliert drei Grundeinsichten, von denen alle Beiträge des Bandes ausgehen. Erstens: Egal wie statisch das menschliche Idealbild von Natur auch sein mag, befindet sich Natur in stetem Wandel. Zweitens: Die Vorstellungen des Menschen von der Natur verändern sich mit der Zeit. Drittens: Diese sich wandelnden Vorstellungen beeinflussen das Verhältnis zwischen Mensch und Natur und verändern damit letztlich unsere natürliche Umwelt.
David Blackbourn kontrastiert den Gegenwartsdiskurs über die Grenzen menschlicher Macht gegenüber der Natur mit dem Optimismus der Akteure im friderizianischen Preußen des 18. Jahrhunderts, Natur zähmen zu können. Blackbourn nimmt die Trockenlegung, Kultivierung und Besiedlung des Oderbruchs ins Visier, um zwei ineinander verwobene Stränge der historischen Entwicklung zu analysieren: eine erste Geschichte der Transformation der physischen Oberfläche und ihrer dramatischen ökologischen und sozialen Folgen und eine zweite Geschichte von Macht und Wahrnehmung, die nachfragt, wer die Trockenlegung mit welchen Motiven betrieb, wer sich ihr widersetzte und welche Hoffnungen und Ängste sich an ihre Umsetzung banden. Blackbourn zeichnet ein ambivalentes Bild. Die Überwindung der Malaria wurde mit der Zerstörung einer funktionierenden amphibischen Kultur und mit einem riesigen Verlust an Biodiversität erkauft; die "friedliche" Gewinnung eines neuen Stücks fruchtbaren Landes kostete zahlreiche Menschenleben unter den Arbeitern und Neusiedlern und musste militärisch durchgesetzt werden. An diesen Befund knüpft Blackbourn auch methodische Überlegungen: Da es weder vor noch nach den Meliorationen ökologisch wie sozial statische Zustände gab, darf die Geschichtsschreibung weder eindimensional den aufklärerischen Modernisierungsoptimismus fortschreiben, noch larmoyant verlorenen Paradiesen nachtrauern.
Marc Cioc gibt in seinem als "politische Ökologie" des Rheins betitelten Beitrag eine mit Daten prall gefüllte Synopse der viel beachteten 'Öko-Biographie'. [1] So ist die Entwicklung des Flusses als Wasserstraße sowie als Ressourcenlieferant für wichtige europäische Industrieregionen eine Erfolgsstory. Freilich waren es die Eingriffe von Wasserbauingenieuren aller Anrainerstaaten, die den Fluss von seinen angestammten Überflutungsgebieten abtrennten, auf ein Flussbett festlegten und ihn als Habitat für einen Großteil der endemischen Tier- und Pflanzenarten entwerteten. Konnte der industriellen Wasserverschmutzung im späten 20. Jahrhundert erfolgreich begegnet werden, bleibt die "Renaturierung" des Flusses ein nur allzu begrenzt einlösbares Postulat, ein Mythos, den der Autor in eine Reihe stellt mit den Mythen, die sich um den Rhein ranken.
Unter dem Titel "Landscape as History" widmet sich Linda Parshall den landschaftsarchitektonischen Projekten des exzentrischen Fürsten Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau (1785-1871). Im Grunde erzählt Parshall 'Landscape as literature', sie weist auf die frappierenden Analogien des fiktiven Parks in Goethes "Wahlverwandtschaften" mit dem Projekt des Fürsten Pückler hin (67). Wir erfahren aber auch, dass viele der Pückler'schen Konzepte nie umgesetzt wurden, somit ebenfalls rein literarischen Charakter behielten. Pücklers Plänen, die vom Vorbild des englischen Landschaftsgartens, von spätaufklärerischer Sozialutopie und romantischer Naturwahrnehmung gleichermaßen geprägt wurden, weist Parshall nicht nur ästhetische oder ökologische, sondern auch politische, soziologische und historische Dimensionen zu. Technokratische Hybris zeigt sich allerdings in der Herstellung vermeintlich natürlicher Landschaften, wie die massiven Erdbewegungen oder die große Zahl aufwändig umgepflanzter ausgewachsener Bäume zeigen.
Joachim Wolschke-Bulmahn legt eine kurze Kulturgeschichte der Rolle von Wildnis in der deutschen Gartenkunst und Landschaftsarchitektur vor. Der Autor verwendet den Begriff 'Wildnis' dabei sowohl für unkultivierte, unbewohnte, 'wilde' Landschaftssegmente als auch für Gestaltungselemente in der Gartenkunst. Die Zeitleiste beginnt beim mittelalterlichen Garten mit seiner sehr strengen Trennung von kultiviertem 'Innen' und abzuwehrendem natürlichen 'Außen'. Im Renaissance-Garten verbinden sich Natur und Kunst konzeptionell zu einer "dritten Natur", in der auch artifizielle Wildnisrepräsentationen Platz finden. Im industrialisierten Deutschland des späten 19. Jahrhunderts gewinnt korrespondierend zur Heimatschutzbewegung Willy Langes Konzept des "Naturgartens" an Einfluss: der Garten als Stück Natur eigenen Rechts und als Teil der umgebenden Landschaft, freilich weniger als Wildwuchs, denn als Übergangszone mit natürlichem Aussehen und einer Präferenz für einheimische Pflanzenarten verstanden. Die (sozial-)darwinistischen Einflüsse, die bereits Langes "biologische Ästhetik" reflektierte, finden ihre rassistische Zuspitzung in der Landschaftsplanung des NS-Regimes, die 'Wildnis' als rassisch bedingte Unfähigkeit von Völkern desavouierte, ökologisch wie ökonomisch produktive Landschaften zu gestalten.
Sandra Chaney analysiert die Entwicklung von Natur- und Umweltschutz in Westdeutschland zwischen 1945 und 1970. Einmalmehr zeigt sich das Jahr 1945 nicht als 'Stunde null'. Kontinuität besteht nicht nur in der Fortschreibung des Reichsnaturschutzgesetzes als legaler Basis des Naturschutzes in Westdeutschland, auch die tradierten und durch die NS-Zeit belasteten Konzepte von Natur- und Heimatschutz sowie Landschaftspflege bleiben Anknüpfungspunkte der Naturschutzbewegung. Chaney diagnostiziert eine tendenzielle Erweiterung der Anliegen sowie der politischen und kulturellen Konzepte von der Konservierung regionaler schützenswürdiger Naturlandschaften hin zu einem globaleren, an der Gesunderhaltung von Mensch und Umwelt interessierten Umweltschutz. Interessant bei der Entwicklung von Naturparks und dem ersten westdeutschen Nationalpark (Bayerischer Wald, eröffnet 1970) ist, dass Regionalplaner weniger den Schutz besonders ursprünglicher Landschaften als die touristische Erschließung wirtschaftlicher Problemzonen im Auge hatten.
Franz-Josef Brüggemeier dekonstruiert das Waldsterben. Er stellt den in den 1980er-Jahren von Bürgern, Medien und Politikern der Bundesrepublik erregt diskutierten Befund einer existenzbedrohenden Schädigung der Wälder durch industrielle Rauchgase in eine Reihe mit anderen 'Öko-Alarmen' der vergangenen 200 Jahre. Brüggemeier diskutiert daran 'vergessene' wissenschaftliche Leistungen im Umgang mit Technikfolgen, die nach wie vor schwierige Diagnostik toxischer Schadeinwirkungen auf biologische Organismen und die stets zu problematisierende Interessengebundenheit der Protagonisten von Umweltprotesten. Zuletzt stellt Brüggemeier dem bis heute in Medien und Politik im Kern nicht hinterfragten Befund des Waldsterbens die Forschungsergebnisse der Gruppe um den Freiburger Waldwachstumsforscher Heinrich Spiecker entgegen. Sie weist mit einem von der bislang verwendeten forstwissenschaftlichen Analytik abweichenden Instrumentarium statt sterbender Wälder deren beschleunigtes Wachstum sowie zwischen 1950 und 1990 eine Zunahme der Europäischen Waldfläche um 43 Prozent nach. Die Debatte um das Waldsterben ist für Brüggemeier ein interessantes Beispiel dafür, wie auch umwelthistorisches Wissen konstruiert werde.
Beiträger und Herausgeber eint die Diagnose, dass eine englischsprachige Überblicksdarstellung zur Rolle der Natur in der deutschen Geschichte bislang fehle. Diese Lücke kann und will der Band nicht füllen. Gleichwohl dürften die Beiträge Einsteigern einen übersichtlichen wie facettenreichen Zugriff auf Themen und Konzepte der deutschen Umweltgeschichte geben.
Anmerkung:
[1] Marc Cioc: The Rhine. An Eco-Biography, 1815-2000, Seattle / London 2002.
Christof Mauch (ed.): Nature in German History, New York / Oxford: Berghahn Books 2004, vii + 136 S., 30 ill., ISBN 978-1-57181-438-8, GBP 25,00
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