Die in tschechischer Sprache erscheinende Reihe "Geschichte der tschechischen bildenden Kunst" wurde im Jahr 2005 um einen fünften Band erweitert. Dieser Teil, ausnahmsweise einbändig (die Teile I, II, III und IV sind zweibändig), ist der Entwicklung der tschechischen Kunst in den Jahren 1939-1958 gewidmet. [1] Die Publikation ist dabei in zwei chronologisch und thematisch getrennte Abschnitte unterteilt: den Zeitraum des Protektorats und der Nachkriegsjahre (1939-1948) sowie die Zeit nach dem kommunistischen Umsturz (1948-1958). Wie in den vorhergehenden Bänden erarbeiteten renommierte Kunsthistoriker eine Systematik tschechischer Kunstgeschichte, die erstmals den geschichtlichen, sozialen und politischen Kontext mitberücksichtigt. Nicht zuletzt deshalb beschäftigt sich die Publikation mit zahlreichen, in der Zeit des kommunistischen Regimes ideologisch verzerrt dargestellten Zusammenhängen.
Die "Geschichte der tschechischen bildenden Kunst" basiert auf der Idee einer durchgehenden "Entwicklungsgeschichte" der Kunst einer Nation und ist damit konzeptuell im 19. Jahrhundert verwurzelt. Auch die thematische Ordnung der einzelnen Abschnitte nach Gattungen ist diesen Strukturen der klassischen Kunstgeschichte verpflichtet. Dass diese Problematik der vorgegebenen, heute dem Anspruch der Forschung nur schwer entsprechenden Konzeption, den Autoren des fünften Bandes durchaus bewusst war, zeigen die vielfältig herausgearbeiteten internationalen Bezüge. Bemerkenswert ist, dass die in den vorhergehenden Publikationen durchgehaltene Gattungshierarchie an vielen Stellen aufgebrochen wird. Neben den Texten zu Architektur, Malerei, Plastik, Fotografie, Szenografie, Angewandter Kunst, Typografie und Design in den beiden Zeitabschnitten fallen zahlreiche Kapitel zu gattungsübergreifenden Themen auf (so beispielsweise Vojtěch Lahoda, Moderne Kunst und Zensur in den Jahren 1939-1948; Eva Petrová, Gruppe 47; Tereza Petišková, Monumentalkunst der vierziger Jahre). Dies hängt einerseits mit dem veränderten methodischen Zugang der Forschung, anderseits aber vor allem mit den politischen und kulturellen Bedingungen des Untersuchungszeitraums zusammen.
Für das gesamte Projekt erwies sich die Tätigkeit des Herausgebers, Rostislav Švácha, als grundlegend. Bereits im Vorfeld hatte er sich bemüht, für die Kunst (und vor allem für die Architektur) der behandelten Periode die Aufmerksamkeit des Fachpublikums zu erregen. In seinem Artikel bewies Švácha, dass er sich mit der bisher unterschätzten Thematik sehr gut auskennt. Für die Architektur der Vierzigerjahre formulierte er charakteristische Merkmale, die deren Einordnung in die Geschichte der tschechischen Architektur des 20. Jahrhunderts ermöglichten. Diese Eigenschaften - hier im Unterschied zum Funktionalismus der Dreißigerjahre vor allem das Streben nach Einheitlichkeit - setzte er in den Kontext der europäischen Architekturtheorie und der gesamteuropäischen gesellschaftlichen und politischen Situation der vierziger Jahre.
Die Publikation behandelt zahlreiche Phänomene, die bisher übersehen oder unterschätzt wurden. Viele dieser Themen wurden vor dem Jahr 1989 aus politischen Gründen tabuisiert. Unbearbeitet blieb vor diesem Hintergrund besonders das von Ludvίk Ševeček verfasste Kapitel der "Schule der Kunst in Zlίn". 1939 vom Unternehmer Tomáš Baťa gegründet, sollte diese firmeninterne Institution - vergleichbar mit dem deutschen Bauhaus - Künstlertalente zu eigenständigen Unternehmern im Bereich des Kunsthandwerks erziehen. Ebenfalls als neuer Bereich in die Forschung aufgenommen wurden die bisher größtenteils unbekannten Zeichnungen und Gemälde tschechischer und deutschböhmischer Häftlinge in nationalsozialistischen Vernichtungslagern. Ivana Panochová schließt hier an das im internationalen Zusammenhang bereits etablierte Forschungsinteresse an der Kunstproduktion in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes an.
Der fünfte Teil der Reihe "Geschichte der tschechischen bildenden Kunst" liefert damit eine fundierte Forschungsgrundlage für die Beschäftigung mit der Kunst des behandelten Zeitraums. Bereits etablierte Themen werden unter neuen Gesichtspunkten untersucht, darüber hinaus werden viele Bereiche erstmalig betrachtet. Die Publikation bietet so vielfältige Anregungen für die weitere Forschung zum behandelten Themengebiet und stellt einen auch langfristig höchst bedeutenden Orientierungspunkt innerhalb der tschechischen Kunsthistoriografie dar.
Trotz dieser großen Vorzüge fallen allerdings konzeptionell bedingte Schwierigkeiten auf. Der erste Einwand hängt mit dem Problem der "nationalen Kunstgeschichte" zusammen. Werke deutschböhmischer Künstler werden nur ausnahmsweise erwähnt. Die als "Geschichte der tschechischen bildenden Kunst" konzipierte Publikation ist in dieser Hinsicht ratlos. Die größte Anzahl deutschböhmischer Künstler vor allem jüdischer Herkunft stellt Ivana Panochová in ihrem Buchbeitrag vor. An dieser Stelle ergibt sich die Frage nach weiteren Positionen deutschböhmischer Künstler innerhalb der "Geschichte der tschechischen bildenden Kunst". Ein ebenfalls unterbewertetes Kapitel führt Rostislav Švácha in einer Anmerkung (64, Anm. 52) an. Hier nennt er Beispiele zur Architektur des Nationalsozialismus in den deutsch besiedelten Gebieten des 'Sudetenlandes'. Er stellt aber fest, dass auch dieses Thema bisher unbearbeitet ist.
Ein weiteres Detail scheint bedeutsam. Wohl bedingt durch die Chronologie der Reihe fällt auf, dass die ab 1957 aktiven Künstlergruppen Máj 57, Trasa, oder UB 12 nicht behandelt werden. Es ist zu hoffen, dass diese, von jungen, gegen die offizielle Kunst des Regimes orientierten Künstlern gegründeten Vereinigungen in dem bereits geplanten Abschlussband der Reihe zur "Geschichte der tschechischen bildenden Kunst" im Zeitraum der Jahre 1958-2000 Erwähnung finden werden.
Trotz dieser kleinen Einwände ist abschließend festzustellen, dass der fünfte Teil der "Geschichte der tschechischen bildenden Kunst" die hohe Qualität der Reihe fortsetzt und seine Vorgänger in vieler Hinsicht noch übertrifft.
Anmerkung:
[1] Die Reihe wird seit 1984 vom Institut für Kunstgeschichte der Akademie der Wissenschaften der tschechischen Republik herausgegeben. Vgl. Josef Krása (Hg.): Dějiny českého výtvarného umění [I]: Od poč átků do konce středověku [Geschichte der tschechischen bildenden Kunst [I]: Vom Beginn bis zum Ende des Mittelalters. Prag 1984 - Eliška Fuč íková (Hg.): Dějiny českého výtvarného umění [II]: Od poč ýtků renesance do závěru baroka [Geschichte der tschechischen bildenden Kunst [II]: Vom Beginn der Renaissance bis zum Ende des Barocks]. Prag 1989. Noch vor der Wende wurde in Institut für Kunstgeschichte eine Anschlusspublikation geplant, die die Kunst der Periode 1800-1945 umfassen sollte und als Hauptmotiv die Entwicklung des Realismus als progressive Kunstauffassung präsentieren sollte. Glücklicherweise wurde dieses Vorhaben nicht realisiert. Die nach 1989 erschienenen Bände der Reihe liefern Grundlagenliteratur zu den behandelten Epochen der tschechischen Kunstgeschichte. Vgl. Vojtách Lahoda (Hg.): Dájiny českého výtvarného umání [IV] 1890/1938 [Geschichte der tschechischen bildenden Kunst [IV] 1890/1938]. Prag 1998 - Taťána Petrasová / Helena Lorenzová (Hg.): Dájiny českého výtvarného umání [III] 1800-1890 [Geschichte der tschechischen bildenden Kunst [III] 1800-1890]. Prag 2001.
Rostislav Švácha / Marie Platovská (Hgg.): Dějiny českého výtvarného umění [V] 1939/1958. [Geschichte der tschechischen bildenden Kunst], Praha: Academia 2005, 525 S., ISBN 978-80-200-1390-3, CZK 1.250,00
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