Den Fußballsport wissenschaftlich zu begleiten, seine historische Entwicklung darzustellen, seine gesellschaftliche Bedeutung zu beleuchten, seine ökonomische Verquickung zu analysieren und zunehmend auch sein Umfeld - nicht zuletzt die Veränderungen im Bereich gewaltbereiter Fans - mit zu berücksichtigen, stellte lange Zeit eine Aufgabe traditioneller Wissenschaftsrichtungen dar: Im Nachhinein lässt sich freilich konstatieren, dass Sport- und Geschichtswissenschaft, Soziologie, Ethnologie oder auch Wirtschaftswissenschaften diese Aufgabe nur halbherzig erfüllten. Untersuchungen zum Thema Fußball blieben quantitativ ein Randthema und qualitativ wurden viele praxisbezogene Studien und theoretische Überlegungen der Komplexität und kulturellen Bedeutung des Phänomens nicht gerecht. Die Bearbeitung wurde vielfach Funktionären und Journalisten überlassen.
Vor gut 30 Jahren waren es dann vor allem die Cultural Studies, die sich im fußballforscherisch vergleichsweise ohnedies noch gut versorgten Großbritannien des Themas in vermehrtem Maß annahmen und eine Reihe hervorragender Studien zum populärkulturellen Thema Fußball hervorbrachten. Deren großes Verdienst war es vor allem, den Fußball aus der wissenschaftlich prekären Einschätzung eines Abbildes oder eines Mikrokosmos der Gesellschaft zu befreien und ihn als eigenständiges, wiewohl mit ökonomischen und politischen Feldern unentrinnbar verwobenes, gesellschaftliches Terrain zu verstehen.
Vor etwa 20 Jahren hat dann der 'cultural turn' in den Geistes- und Sozialwissenschaften die Basis der Sport- und insbesondere der Fußballforschung auch außerhalb des britischen Raumes nachhaltig erweitert. Für den deutschsprachigen Raum ist diese Intensivierung besonders mit den Namen Gunter Gebauer und Rolf Lindner verbunden, die - wiewohl in kritischer Distanz, so doch nicht ohne Rekurs auf die Ansätze der Cultural Studies - erstmals die popularen und populären Kulturen des Fußballs in den Blick nahmen und sie zu einem gleichberechtigten Forschungsfeld etwa alltagssoziologischer oder systemischer Analysen machten. Auch wenn sich dieser Rahmen bald als zu eng erwies, wurde doch damit erst der Weg für seine adäquatere akademische Behandlung - wiewohl viele Untersuchungen von außeruniversitären ForscherInnen stammten - bereitet.
Seit etwa 10 Jahren sind es nun die mit inter- und transdisziplinärem Anspruch antretenden Kulturwissenschaften, die den Fußball für sich entdeckten und inzwischen eine Vielzahl von Publikationen, Büchern wie Fachaufsätzen hervorgebracht haben. Bezeichnenderweise waren es nicht so sehr die in die Thematik involvierten Kerndisziplinen (von der Sport- bis zur Wirtschaftswissenschaft), die sich nun mit kulturwissenschaftlichen Ansätzen dem Thema zuwandten, sondern primär geisteswissenschaftliche Disziplinen von der Philosophie über die Germanistik bis zur Kunstwissenschaft. Genau hier ist der Fokus der kulturwissenschaftlichen Auswahlbiografie zum Fußball von Rolf Parr und seinen Mitarbeiterinnen angesiedelt.
Obwohl die enorme Fülle an Fußball-Literatur, die durch die Weltmeisterschaft in Deutschland hervorgebracht wurde, noch gar nicht eingearbeitet wurde, kommt Parr in seiner Kompilation bereits auf knapp 2000 vorwiegend deutschsprachige Titel zum Thema: Monografien und Sammelbände, Almanache und Fachaufsätze, Biografien und Statistikbände werden thematisch geordnet den LeserInnen präsentiert. Dabei verraten Zusammenstellung und Struktur sehr rasch, worauf Rolf Parr den Schwerpunkt seiner Bibliografie legt - und damit auch an welche potenzielle LeserInnenschaft sich das Buch richtet: Beginnend mit allgemeinen Nachschlage- und Übersichtswerken folgen Literaturverweise zu Werken über die Geschichte dieses Sportes. Die vier folgenden Kapitel zum Fußball als Thema der Literatur (für Erwachsene und Jugendliche), zu Kinder- und Jugendsachbüchern sowie zu Filmen mit dem Schwerpunktthema Fußball zeigen den Schwerpunkt der Recherchearbeiten Parrs und seiner Mitarbeiterinnen an. Anschließend finden sich noch, nach Disziplinen geordnet, ausgewählte wissenschaftliche Werke und Studien zum Thema.
Die Bibliografie zum Fußball von Rolf Parr hält also letztlich genau das, was ihr Titel verspricht: eine "kulturwissenschaftliche Auswahlbibliografie" zu sein. Diese Bezeichnung umreißt genau, was die RezipientInnen des Buches erwartet, nämlich ein wichtiges Hilfsmittel und eine Orientierungshilfe für alle jene, die sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive mit dem Fußball beschäftigen wollen, sei es als Hauptinhalt oder als Nebenstrang einer wissenschaftlichen Arbeit. Der Titel verweist aber ebenso auf die Mankos des Werkes, die der Herausgeber wohl bewusst in Kauf genommen hat.
Grundsätzlich kann eine solche Literatursammlung nie komplett sein. Vollständigkeit, so konzediert denn auch Rolf Parr im Vorwort, sei ebenso erstrebenswert wie angesichts der Quantität der Neuerscheinungen unerreichbar. Doch sei mir an dieser Stelle ein kurzer persönlicher Blick gestattet: Ich habe es bei Erhalt des Buches wie wohl jeder andere Autor mit einer längeren Werkliste zum Fußball gemacht und bin zunächst der Erwähnung meiner eigenen Publikationen nachgegangen. Nicht das Faktum dass, sondern die Frage welche meiner Werke fehlen, sagt etwas über die Zielrichtung der Bibliografie Parrs aus: Ausgespart bleiben meine Beiträge zum Thema Frauenfußball, zum Fußball im Nationalsozialismus oder zu Fragen von Fankulturen, Hooligans und Gewalt im und rund ums Stadion.
Dieser individuelle Befund lässt sich durchaus verallgemeinern: Gekennzeichnet ist die kulturwissenschaftliche Bibliografie durch einen eingeschränkten Kulturbegriff. Die Reduzierung auf vorwiegend deutschsprachige Literatur klammert viele fundamentale Titel aus dem 'Mutterland' des Fußballs, das zugleich das 'Mutterland' der kritischen Kulturanalyse dieses Sportes ist, aus. Die Konzentration auf einen kulturwissenschaftlichen Zugang wiederum verkürzt die Fußballkultur selbst: Im Gegensatz zu den Cultural Studies, die den Fußball in all seinen Erscheinungsformen - also etwa auch inklusive der Randale vor Spielbeginn - als Kultur, verstanden als "a whole way of life" (Raymond Williams), interpretieren, beginnt für Kulturwissenschaften die Fußballkultur erst dort, wo sie andere "kulturelle Bereiche des Lebens" tangiert, wie Rolf Parr im Vorwort formuliert. Genau für jene fußballinteressierten KulturwissenschaftlerInnen wird die in dieser Richtung akribisch recherchierte Sammlung eine wertvolle Hilfe darstellen.
Rolf Parr: Fußball. Eine kulturwissenschaftliche Auswahlbibliografie, Heidelberg: Synchron 2006, 126 S., ISBN 978-3-935025-95-9, EUR 9,80
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