sehepunkte 6 (2006), Nr. 9

Mieke Prent: Cretan Sanctuaries and Cults

Das Buch von Mieke Prent ist eine leicht überarbeitete Dissertation zu Heiligtümern und Kulten auf Kreta von Spätminoisch IIIC bis zur archaischen Zeit (ca. 1200-600 v. Chr.), die sie 2003 an der Universität Amsterdam unter Betreuung von J.H. Crouwel und H.S. Versnel eingereicht wurde. Recherche und Niederschrift der Studie erforderten eine lange Vorarbeit, die spätestens im Jahr 1991 begann. Mit ganzen 654 Seiten Text, 44 Seiten ausführlicher Bibliografie, acht Übersichtstabellen, zwei Karten, 81 Abbildungen und einem detaillierten Index bildet sie eine umfangreiche Arbeit zu einem Thema, das eine Forschungslücke in der bisherigen Literatur zu Kreta darstellte. Die Zeit vom Niedergang der Neuen Paläste bis zum Ende der Blüte der archaischen Poleis wurde bisher nie in ihrer Entwicklung, sondern nur hinsichtlich einzelner Epochen betrachtet. Was die Religion auf Kreta betrifft, wurde bislang entweder die große minoische Vergangenheit der Insel oder die historische Zeit im Ganzen bzw. lediglich die klassisch-hellenistische Zeit in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Ziel der Arbeit ist es (11), die Veränderungen der religiösen Praktiken zu beschreiben und diese in den Kontext sozio-kultureller Veränderungen zu stellen. Bereits aus dem Untertitel "continuity and change" wird deutlich, dass es hier um eine Standortbestimmung der rund 600 Jahre am Übergang der Bronzezeit zur Eisenzeit im Hinblick auf die immer wieder kontrovers diskutierte Hin- oder Abwendung zum bronzezeitlichen Vermächtnis der Insel geht.

Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel ungleichen Umfangs. Das erste Kapitel (1-35) bietet die Einführung in das Thema und legt den Grundstein zur Untersuchung. Hier werden in vier Abschnitten zunächst die Fragestellung und Zielsetzung dargelegt, die methodischen Grundlagen zur Identifizierung von Heiligtümern im archäologischen Befund bestimmt, die Bedeutung der Votive diskutiert und zum Schluss die von Prent verwendete Chronologie aufgeschlüsselt. Gerade der letzte Abschnitt ist für den nicht-spezialisierten Leser sehr hilfreich, denn die Phasen der im Verhältnis zum übrigen Griechenland chronologisch verschobenen kretischen späten Bronzezeit sowie der protogeometrischen, geometrischen und dädalischen Zeit sind ebenso wenig allgemein geläufig wie die Detaildiskussionen um die absoluten Daten der Subperioden.

Weniger einleuchtend ist dagegen der Sinn des zweiten Kapitels (37-102). Auf fast 70 Seiten wird hier die gesamte Geschichte der Auseinandersetzung mit der Insel von den Anfängen der frühen Reisenden im 15. Jahrhundert n. Chr. bis in die jüngste Zeit dargelegt. Auch wenn dieses Kapitel gut recherchiert ist und einen wirklich gewinnbringenden Einstieg in die "Kretologie" bietet, ist der Gewinn der ausführlichen Darlegung für die Fragestellung der Arbeit nicht plausibel. Einzelne Thesen, die nur aus ihrer Zeit heraus verständlich und in manchem Fall heute schwerlich nachvollziehbar sind, hätten gut später im Rahmen der einzelnen Kultplätze besprochen werden können.

Die Kapitel drei und vier bilden den eigentlichen Hauptteil der Arbeit, nämlich die Befundanalyse der Heiligtümer spät- und subminoischer Zeit (103-209) sowie derjenigen der protogeometrischen bis archaischen Zeit (211-608). Der überragende Umfang des vierten Kapitels, das zwei Drittel des gesamten Buches umfasst, entspricht dem persönlichen Forschungsschwerpunkt von Prent, die sich auch in früheren Aufsätzen hauptsächlich mit Einzelaspekten der früheisenzeitlichen Heiligtumssituation Kretas beschäftigt und gemeinsam mit Stuart Thorne die zeitgleichen Funde aus dem Heiligtum von Palaikastro zur Publikation vorbereitet (s. Bibliografie 687). Insgesamt behandelt Prent 90 Heiligtümer aus beiden Phasen, wobei nur 32 der ersten zugewiesen werden können, die sie wiederum in einer Einführung zunächst in ihren soziokulturellen Kontext stellt. Die Heiligtümer werden je nach ihrer Lage im Zusammenhang mit Siedlungsstrukturen entweder der Kategorie von urbanen und suburbanen Heiligtümern oder von extraurbanen Heiligtümern zugeordnet. Diese Einteilung ist seit einiger Zeit in den Arbeiten zu kulttopografischen Untersuchungen gängig und bietet sich auch für die betrachteten Phasen an, auch wenn, wie Prent (128) selbst einräumt, streng genommen vor der Polisbildung nicht in urban-bezogenen Kategorien gesprochen werden kann. Anschließend werden prinzipielle Typen der Kultausrüstung und Votive untersucht, darunter besonders zwei für diese Phase auf Kreta typische Votivgruppen, nämlich die der Göttin mit erhobenen Armen und die der tönernen Tierfiguren, v. a. Rinder. Auffällig ist hierbei, dass beide Objektgruppen nicht gemeinsam vorkommen und somit verschiedene Kultformen repräsentieren (175). Schließlich werden zwei auffällige Heiligtumstypen der Zeit besprochen, das freistehende Bankheiligtum sowie die Kultgrotte. Die Herkunft und Rolle des Bankheiligtums ist nach wie vor umstritten: Während manche (wie Robin Hägg) meinen, dass es sich von minoisch-mykenischen Vorläufern ableitet, gehen andere im Gegenteil von der Kultbauform einer neuen Einwohnerschicht aus, da sie nur innerhalb von neu gegründeten Siedlungen vorkommt.

Die Gliederung des Kapitels vier zu den früheisenzeitlichen Heiligtümern schließt sich an das vorhergehende an. In dieser Phase wird aber das Votivspektrum größer, es kommen reiche Metallgegenstände, vornehmlich aus Bronze (Schilde, Kesselständer, Waffen, anthropo- und zoomorphe Figuren etc.) sowie matrizengefertigte Tonfiguren auf. Die noch in der früheren Phase vertretenen Objekte typisch minoischer Ikonografie wie Kulthörner und Doppeläxte sind nun nicht mehr repräsentiert. Dagegen beginnt mit dem 8. und besonders im 7. Jahrhundert v. Chr. die orientalisierende Phase, während im 6. Jahrhundert v. Chr. der Trend zu einer allgemeingriechischen Formgebung geht. Die nun häufiger vertretenen Bankheiligtümer werden in Bezug auf ihre Funktion als Prytaneia, Andreia und Orte der öffentlichen Speisung diskutiert. Ferner treten nun erst mehr suburbane Heiligtümer auf, wohingegen die zuvor noch häufigen Hausheiligtümer weniger werden. Als besondere Gruppen werden dabei schließlich auf den Ruinen bronzezeitlicher Monumente entstandene Kultplätze untersucht sowie besonders drei extraurbane Heiligtümer, die eine überregionale Bedeutung hatten: das Heiligtum des Hermes und der Aphrodite von Kato Symi Vianou, die Kulthöhle des Zeus auf dem Ida sowie die Kulthöhle der Eileithyia bei Tsoutsouros (antikes Inatos). Eine ausführliche Analyse und ein Vergleich der Lage und Anlage der Kultplätze sowie besonders der hier gefundenen Votive bringt Prent zu einer Deutung der beiden ersten Heiligtümer als Kultstätten mit Initiationscharakter, die im 7. Jahrhundert v. Chr. von einer städtischen Elite besucht wurden, während im Befund der Höhle von Tsoutsouros kein elitärer Anspruch festzustellen ist.

Das fünfte und letzte Kapitel (614-655) fasst die Ergebnisse knapp zusammen. Dieses Kapitel dürfte für die meisten Leser der gewinnbringendste und am leichtesten lesbare Teil sein. Im Ganzen hätte das Buch zwar in seinem Umfang deutlich reduziert werden können, es behandelt aber ausführlich alle Aspekte der Heiligtümer. Damit wird es seinem Anspruch gerecht und leistet einen Beitrag zum besseren Verständnis des Übergangs von der späten Bronzezeit zur frühen Eisenzeit auf Kreta.

Rezension über:

Mieke Prent: Cretan Sanctuaries and Cults. Continuity and Change from Late Minoan IIIC to the Archaic Period (= Religions in the Graeco-Roman World; Vol. 154), Leiden / Boston: Brill 2005, xviii + 737 S., ISBN 978-90-04-14236-7, EUR 169,00

Rezension von:
Katja Sporn
Archäologisches Institut, Universität zu Köln
Empfohlene Zitierweise:
Katja Sporn: Rezension von: Mieke Prent: Cretan Sanctuaries and Cults. Continuity and Change from Late Minoan IIIC to the Archaic Period, Leiden / Boston: Brill 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de/2006/09/9096.html


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