Ein Handbuch über die Geschichte der internationalen Beziehungen in dem konfliktbeladenen Jahrhundert von 1559 bis 1660 zu verfassen, stellt zweifellos eine echte Herausforderung für den betreffenden Autor dar. Angesichts der zunehmenden Spezialisierung des Faches ist es selbst für den Kenner der Materie ausgesprochen schwierig und aufwendig, die Fülle der relevanten Literatur zu erfassen und dabei den großen Überblick über die Forschung zu wahren. Mit Heinz Schilling hat sich ein Historiker dieser Aufgabe gestellt, der bereits wiederholt gezeigt hat, dass er es versteht, immense Stoffmengen zu beherrschen, ohne dabei der Gefahr zu erliegen, allzu holzschnittartig vorzugehen. [1] Aufgrund seiner bisherigen Forschungen ist Schilling also dafür prädestiniert, den zweiten Band des von Heinz Duchhardt und Franz Knipping herausgegebenen Handbuchs der Geschichte der Internationalen Beziehungen zu verfassen.
Entstanden ist dabei ein grundlegendes Werk. Auf rund 600 Seiten schildert der Autor die Politik der europäischen Mächte zwischen den Friedensschlüssen von Cateau-Cambrésis 1559 und Oliva 1660. Dabei wird er dem Anspruch gerecht, den die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort zum Gesamtwerk skizziert haben: Es wird der Darstellung nämlich "ein breit gefasster Begriff des Politischen zugrunde gelegt, der die Diplomatiegeschichte alten Stils überholt und in multiperspektivischem Zugriff wirtschaftliche, kulturelle, konfessionelle, mentale, geopolitische, strategische usw. Gegebenheiten und Interessen in die Interpretation der Internationalen Beziehungen einbezieht" (XIII). Wir haben hier also ein Handbuch vorliegen, das die Forderungen der jüngeren Forschung nach einer 'modernen' Politikgeschichte umsetzt, die eben nicht bei einer bloßen Rekapitulation der Ereignisse verharrt, sondern die auch und gerade darum bemüht ist, ein umfassendes Panorama der leitenden Kräfte und Strukturen der internationalen Beziehungen vorzulegen.
Das Handbuch ist in drei große Abschnitte unterteilt: Teil A befasst sich mit den Rahmenbedingungen und Strukturen der internationalen Beziehungen; Teil B widmet sich den einzelnen europäischen Mächten und Mächtezonen, wobei besonders zu erwähnen ist, dass auch dem Osmanischen Reich, dem im Rahmen der europäischen Mächtepolitik im Untersuchungszeitraum bekanntlich eine große Bedeutung zukam, ein eigenes Kapitel gewidmet ist; Teil C schildert die Ereignisse des Untersuchungszeitraums. Ein ausführliches, aktuelles Quellen- und Literaturverzeichnis führt die wichtigsten Veröffentlichungen zum Thema auf.
Das Werk weist alle Vorzüge auf, die ein gutes Handbuch ausmachen. In komprimierter Weise erhält der Leser zuverlässige Informationen, wobei sich die konzise Darstellung durch Übersichtlichkeit und souveräne Stoffbeherrschung auszeichnet. Die knapp gehaltenen Anmerkungen verweisen auf die jeweils wichtigste Literatur. Ein Personen-, Orts- und Sachregister erleichtert dem Leser die Erschließung des Stoffes. Karten, Abbildungen, Tabellen und Grafiken veranschaulichen die Ausführungen des Autors, der sich nicht auf die Rolle eines neutralen Referenten beschränkt, sondern der durchaus auch zu den einschlägigen Forschungskontroversen Stellung nimmt. So antwortet er beispielsweise auf die zwischen Johannes Burkhardt und Axel Gotthard ausgetragene, sich an Burkhardts Staatsbildungskriegsthese entzündende Kontroverse über den Charakter und die Ursachen des Dreißigjährigen Krieges, indem er besonders die strukturgeschichtliche Verzahnung von Konfessions- und Staatenkriegen im konfessionellen Zeitalter hervorhebt. Der Dreißigjährige Krieg war also, folgt man Schilling, ein Glaubens- und ein Staatenkrieg.
Angesichts der Forschungen jüngeren Datums, welche die Anwendung des Konfessionalisierungsparadigmas auf die internationalen Beziehungen tendenziell in Frage gestellt haben [2], durfte man mit Spannung die inhaltliche Ausgestaltung der Konfessionalisierungsthese erwarten, die der Autor schon bei anderer Gelegenheit vorgebracht hat [3] und die auch in den Titel der Untersuchung Eingang gefunden hat. Schilling hat erkennbar auf die Ergebnisse der jüngsten Forschung reagiert und seine Grundthese in zeitlicher Hinsicht präzisiert. Er schreibt ausdrücklich: "Ausgang des [16.] Jahrhunderts griff die Konfessionalisierung [...] zunehmend auf die Staatenbeziehungen über und wurde dort rasch zu einer stilbildenden Leitkraft." (395) Die Belege, die er zur Untermauerung seiner These anführt, sind überzeugend. Um 1600, so lässt sich mit Schilling konstatieren, vollzog sich im Zeichen einer immer enger werdenden Verbindung von Politik und Religion ein merklicher Wandel in den internationalen Beziehungen Europas, und zwar hin zu einer bipolaren konfessionellen Blockbildung zwischen den europäischen Mächten. Dabei setzten die Calvinisten, so Schilling, gerade die innerprotestantische Irenik als diplomatisches Instrument ein, um trotz der unverkennbaren dogmatischen Differenzen zu den Lutheranern doch noch eine gemeinsame Bündnispolitik zu bewerkstelligen. Am Beispiel der katholischen Vormacht Spanien wird die These der Konfessionalisierung der Mächtepolitik um 1600 besonders deutlich. Während Philipp II. von Spanien noch in den ersten anderthalb Jahrzehnten seiner Regierung außenpolitisch der Tendenz nach eher defensiv agierte, ohne dabei erstrangig gegenreformatorische Ziele zu verfolgen, richtete er seine Orientierung in der auswärtigen Politik mit der Zeit, gegen Ende des 16. Jahrhunderts, zunehmend katholisch und offensiv aus.
Gleichwohl zeigte sich im Untersuchungszeitraum, dass es gerade zwischen der Leitkategorie Konfession und dem Faktor Dynastie zu "komplexen Konfigurationen und komplizierten Verbindungen" (150) kam. So spielten zumindest zeitweise Ehebündnisse oder Eheprojekte eine Rolle, die über die konfessionellen Grenzen hinweggingen, so zum Beispiel die von Schilling angeführte, 1623 unternommene und letztlich gescheiterte Brautreise des protestantischen Prince of Wales, Karl Stuart, an den katholischen Hof Philipps IV. von Spanien, um dort die Hand der spanischen Infantin zu gewinnen.
Mit Blick auf die Konfessionalisierungsthese Schillings ist für den Untersuchungszeitraum ein weiteres Ergebnis von Bedeutung: Um die Mitte des 17. Jahrhunderts zählte die Konfession nicht mehr zu den "Kardinalinstrumenten" (596) der auswärtigen Politik der europäischen Mächte. Vielmehr waren die internationalen Beziehungen nunmehr, wie zu Recht hervorgehoben wird, vor allem durch Säkularisierung gekennzeichnet. Dass der Protest des Papstes gegen den Westfälischen Frieden wirkungslos verhallte, lässt sich in diesem Kontext ebenso exemplarisch anführen wie auch die Tatsache, dass der rex catholicus Philipp IV. von Spanien mit den "häretischen" Niederländern am 30. Januar 1648 in Münster Frieden schloss. Mit dieser Säkularisierung ging, so Schilling, die Auflösung des konfessionell-antagonistischen Charakters der internationalen Beziehungen einher, der um 1600 so wirkungsmächtig in den Vordergrund gelangt war. Andere Leitgedanken traten ab der Mitte des 17. Jahrhunderts in den Vordergrund, so zum Beispiel das Konzept der kollektiven Sicherheit und der Gleichgewichts-Gedanke, auf dessen in der Forschung kontrovers beurteilte Entstehung Schilling allerdings nicht mehr näher eingeht. Diese Frage wird sicherlich in dem Folgeband von Klaus Malettke behandelt werden.
Auch war um 1650, wie Schilling mit guten Gründen betont, die Zeit des Universalismus vorbei. Die Habsburger, Frankreich und auch Schweden, die noch im Dreißigjährigen Krieg im Sinne Johannes Burkhardts auf ihre je eigene Art und Weise nach Herrschaft strebten, welche der Tendenz nach universell war, schufen 1648 eine Ordnung, die prinzipiell durch den Pluralismus rechtsgleicher Staaten geprägt war. Zwar wurde der politische Leitbegriff der Monarchia Universalis in der politischen Propaganda bisweilen auch noch in dem halben Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden instrumentalisiert, um den jeweiligen Kontrahenten zu diskreditieren - realpolitisch jedoch, so bilanziert Schilling, spielte das Konzept der Universalmonarchie nach 1648 keine Rolle mehr.
Insgesamt gesehen wird man betonen müssen, dass der Autor mit diesem Überblickswerk eine Arbeit vorgelegt hat, welche die Eigenschaften eines als Einführung geeigneten Handbuchs mit denen eines Bilanz ziehenden, für die Forschung richtungweisenden Standardwerks vereinigt. Die Messlatte, die Schilling mit seiner ausgewogenen und auf dem Stand der jüngsten Forschung stehenden Darstellung für die beiden noch ausstehenden Bände zur Frühen Neuzeit gelegt hat, ist also vergleichsweise hoch. Man darf gespannt sein, ob die nachfolgenden Bände ebenso überzeugend ausfallen wie die gelungene Synthese Schillings.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Heinz Schilling: Aufbruch und Krise. Deutsche Geschichte von 1517 bis 1648, 2. Auflage, Berlin 1994; derselbe: Höfe und Allianzen. Deutsche Geschichte von 1648 bis 1763, 2. Auflage, Berlin 1994; derselbe: Die neue Zeit. Vom Christenheitseuropa zum Europa der Staaten. 1250 bis 1750, Berlin 1999.
[2] Vgl. vor allem Markus Reinbold: Jenseits der Konfession. Die frühe Frankreichpolitik Philipps II. von Spanien 1559-1571, Ostfildern 2005.
[3] Vgl. zum Beispiel Heinz Schilling: Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit - Phasen und bewegende Kräfte, in: Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems. Hrsg. von Peter Krüger, Marburg 1991, 19-46.
Heinz Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559-1659 (= Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen; Bd. 2), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2007, XVI + 674 S., ISBN 978-3-506-73722-9, EUR 128,00
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