Seit gut 10 Jahren häufen sich die Publikationen zur Adelsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Standen bislang meist Fragen nach den Strategien des "Oben-Bleibens" in einer sich zunehmend verbürgerlichenden Gesellschaft sowie Fragen der Mentalitätsgeschichte im Vordergrund, so entdeckt nun auch die Rechtsgeschichte diesen Zeitabschnitt der Adelsgeschichte wieder für sich. Neben der Arbeit von Hans Konrad Schenk über die Fürsten von Hohenlohe [1] erschien pünktlich zum 200-jährigen Jubiläum der Auflösung des Alten Reiches 2006 die Heidelberger Dissertation von Sven Christian Gläser über die Fürsten von Löwenstein-Wertheim in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zwar ist die Geschichte des Hauses Löwenstein-Wertheim in diesem Zeitraum vor allem durch die Arbeit von Stockert schon gut erforscht [2], doch Gläser versucht dem Fallbeispiel mit einem dezidiert rechtsgeschichtlichen Ansatz neue Nuancen abzugewinnen. Sein Ziel ist es, den juristischen Kampf eines kleinen Reichsstandes gegen die neuen Souveräne des Rheinbundes "aus rechtshistorischer Perspektive zu dokumentieren und in den Zusammenhang des sich damals rasch fortentwickelnden Rechts [zu] stellen" (20).
Nach zwei einleitenden Kapiteln über die Rechtsverhältnisse im Alten Reich und die Folgen des Reichsdeputationshauptschlusses markiert die Mediatisierung von rund 100 reichsständischen Grafen und Fürsten bei der Bildung des Rheinbundes 1806 den eigentlichen Ausgangspunkt der Untersuchung. Als Teil dieser bald als Standesherren bezeichneten Gruppe gelangte das Haus Löwenstein-Wertheim mit seiner Grafschaft Wertheim unter die Oberhoheit des Großherzogs von Baden einerseits und des Fürstprimas von Dalberg bzw. 1815 des Königs von Bayern andererseits. Zum politisch-juristischen Problem für die innere Staatsorganisation der neuen souveränen Staaten wurden die Standesherren, weil ihnen die Rheinbundakte 1806 wie auch die Deutsche Bundesakte von 1815 eine Reihe von Ehren-, Herrschafts- und pekuniären Rechten beließen. Wie diese Befugnisse in einzelstaatliches Recht umzusetzen seien, wie also die rechtliche Gestalt der standesherrlichen Existenz aussehen sollte, darüber entspann sich dann eine intensive, meist juristisch geführte Auseinandersetzung zwischen Landesherren und Mediatisierten. Dieser Kampf dauerte bis zur Revolution 1848. Erst dann büßten die Standesherren ihre bis dahin noch verbliebenen Herrschaftsrechte endgültig ein.
Im Zentrum von Gläsers Arbeit stehen die meistumkämpften Rechte des Adels, nämlich die niedere und mittlere Gerichtsbarkeit und Polizei (Aufsichtsrechte über Gewerbe, Straßen, Sitten, Sicherheit, Schulen, Armenfürsorge etc.), aber auch Fragen der Gesetzgebung sowie das Abgaben- und Schuldenwesen. Diese Problemfelder werden in drei Zeitabschnitten untersucht - der Rheinbundzeit, der Zeit des Wiener Kongresses sowie des Vormärz. In jedem dieser Zeitabschnitte schildert Gläser zunächst die Entwicklung des standesherrlichen Rechtszustandes, wobei er auf die Konzepte und die juristischen Argumentationsweisen sowohl der neuen Landesherren wie des Hauses Löwenstein-Wertheim eingeht. In einem zweiten Schritt werden diese Rechtsstandpunkte in den Zusammenhang der damals geführten staatsrechtlichen Diskussion gestellt. Schließlich folgt jeweils in einem dritten Schritt die Bewertung der Positionen beider Seiten im Hinblick auf ihre juristische Tragfähigkeit.
Das juristische Ringen der Löwensteiner Standesherren mit den Rheinbundstaaten respektive vor allem mit Baden war gekennzeichnet durch das Aufeinanderprallen zweier grundsätzlich unterschiedlicher Rechtsauffassungen. Argumentierten die Löwensteiner Fürsten und Grafen noch im Vormärz in der Regel aus der Rechtstradition des Alten Reiches heraus und setzten als Grundlage einen ständestaatlichen Dualismus voraus, gingen die Juristen der badischen Seite nach anfänglichem Zögern von den Bedürfnissen des modernen souveränen Staates aus.
Richtschnur für Gläser bei der Beurteilung der jeweiligen Rechtspositionen bilden im Wesentlichen zwei Staatsgrundgesetze, nämlich die Rheinbundakte und die Deutsche Bundesakte. Dabei kommt er zu durchaus bemerkenswerten Ergebnissen. Nach seiner Ansicht übertrug die Rheinbundakte den neuen Landesherren eine gegenüber den Standesherren nur eingeschränkte Souveränität, die es ihnen formalrechtlich betrachtet nicht erlaubt hätte, einseitig die Rechte der Mediatisierten abzuändern oder gar aufzuheben. Die zahlreichen Beschwerden gerade der Grafen und Fürsten von Löwenstein-Wertheim gegen die diversen badischen Edikte, die ihnen ihre herrschaftlichen Rechte bis 1813 schließlich völlig entzogen, wären somit in weiten Teilen zu Recht erhoben worden. Allerdings, und dies muss auch Gläser einräumen, politisch wirkungsmächtig wurde dieser Sachverhalt nicht. Aufgrund ihrer Machtposition dachten die Rheinbundfürsten gar nicht daran, sich ihren Anspruch auf volle Souveränität von den Mediatisierten streitig machen zu lassen.
Diese theoretisch günstige Rechtsposition der Standesherren änderte sich nach Gläser grundlegend mit der Bundesakte von 1815. Mit dieser seien den Mediatisierten zwar wesentliche Teile ihrer Rechte restauriert worden. Gleichzeitig habe die Akte den Adel jedoch unmissverständlich den landesherrlichen Gesetzen unterworfen. Auch wenn die Rechte der Standesherren weiterhin als Privateigentum deklariert wurden, wäre damit aber zumindest formalrechtlich deren Entzug gegen Entschädigung möglich gewesen. Die Fürsten von Löwenstein-Wertheim, die ja weitgehend auf ihrer ursprünglichen Rechtsanschauung beharrten, gehörten mit dieser Haltung am Ende zu den Verlierern im Kampf um den standesherrlichen Rechtsstatus. Zwar war für die badische Regierung eine einfache, für den Adel nachteilige Umsetzung der standesherrlichen Rechte aus der Bundesakte in landesherrliches Recht per Dekret politisch nicht mehr durchsetzbar, weil die Bundesversammlung nach 1815 als Beschwerdeinstanz für die Mediatisierten fungierte. Doch da es zu keiner Einigung kam, verblieben die Löwenstein-Wertheimer Fürsten, gerade was ihre Herrschaftsrechte anlangte, von wenigen Ausnahmen abgesehen auf dem Stand von 1813. Zudem erhielten sie 1855 bei ihrem Ausgleich mit Baden weit weniger Kompensationsleistungen für die Aufgabe ihrer rechtlichen und finanziellen Ansprüche als ihre konzilianteren Standesgenossen.
In Bayern hingegen sah es für die Fürsten besser aus. Das Königreich zeigte sich unter der Maßgabe einer strikten Wahrung des Vorrangs seiner Souveränität großzügiger gegenüber den Standesherren als Baden. Gemäß dem königlich-bayerischen Edikt vom 26. Mai 1818, das die in der Bundesakte verbrieften Rechte der Standesherren in Landesrecht umsetzte, verfügten die Fürsten von Löwenstein-Wertheim im dort liegenden Teil ihrer Grafschaft über einen bis 1848 gesicherten Rechtsstand und erhielten zudem eine recht hohe Entschädigung für den Entzug ihrer Wasserzölle. Konflikte mit dem Souverän drehten hier sich meist nur um Detailfragen.
Gläser hat mit seiner Dissertation eine gründliche und quellennahe rechtshistorische Analyse vorgelegt, deren Thesen eine weiterführende Diskussion verdienen. Etwas unbestimmt bleibt die Arbeit jedoch zuweilen bei der Darstellung der politischen Hintergründe der verschiedenen Rechtssetzungen und Argumentationsweisen. So wird z.B. nicht diskutiert, welches Ziel Napoleon mit der postulierten Abstufung der landesherrlichen Souveränitätsrechte in der Rheinbundakte zugunsten der Standesherren eigentlich verfolgt hat. Denn der Kaiser zeigte sonst wenig Neigung, den Mediatisierten beizustehen, die er prinzipiell als Gefolgschaft Österreichs einstufte.
Anmerkungen:
[1] Hans Konrad Schenk: Hohenlohe. Vom Reichsfürstentum zur Standesherrschaft: die Mediatisierung und die staatliche Eingliederung des reichsunmittelbaren Fürstentums in das Königreich Württemberg 1800 - 1847, Künzelsau 2006.
[2] Vgl. Harald Stockert: Adel im Übergang: die Fürsten und Grafen von Löwenstein-Wertheim zwischen Landesherrschaft und Standesherrschaft 1780 - 1850, Stuttgart 2000.
Sven Christian Gläser: Die Mediatisierung der Grafschaft Wertheim. Der juristische Kampf eines kleinen Reichsstandes gegen den Verlust der Landesherrschaft und seine Folgen (= Rechtshistorische Reihe; Bd. 336), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, 260 S., ISBN 978-3-631-55482-1, EUR 45,50
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