"Die diesem Werk zugrunde gelegten Leitprinzipien haben sich bestens bewährt und werden deswegen beibehalten" (VIII), so der Herausgeber Alois Schmid in der Einleitung dieses Teilbandes. Sie ist auch ein Schlusswort zur gesamten 2. Auflage des Handbuchs der bayerischen Geschichte. Der neue "Spindler" bleibt also ganz dezidiert der alte. Die Leitprinzipien, "die Grundstruktur" (VII) - auch die wissenschaftliche Vorgehensweise und - wenn die Charakterisierung der 1. Auflage auch auf die 2. zutrifft - die staatspolitischen Intentionen, "wissenschaftlicher Unterbau" für den deutschen Föderalismus und Ausdruck seiner "Lebenskraft" (VI) zu sein: dies alles bleibt gleich, übrigens auch eine Reihe von Autoren.
Trotz allem Festhalten am Bestens-Bewährtem: bemerkenswert ist dann ein Eingeständnis: "Praktikabilität für möglichst breite Interessengruppen wird nicht immer deckungsgleich mit den Anforderungen der Fachwissenschaft sein." (VIII) An einer Stelle deutet der Herausgeber sogar an, inwiefern sein "Spindler" nicht deckungsgleich sein könnte: In der 2. Auflage wurde "davon abgesehen, durchaus in Erwägung gezogene neue Fragestellungen, etwa zur Geschichte der bayerischen Landeshistoriographie, aufzunehmen." (VII). Und dann noch einmal der Grund. Er ist ein didaktischer und selbst für Didaktiker ein problematischer: "Die praxisgerechte Aufarbeitung einer gewaltigen Stoff-Fülle ist vorzüglich gelungen" (VII), so meint wenigstens der Herausgeber. Praxisgerechtheit auf Kosten von wissenschaftlich Wünschbarem: Nein! Und das noch dazu in einem wissenschaftlichen (!) Handbuch, das mit Recht ein Flaggschiff der wissenschaftlichen Landesgeschichtsschreibung (gewesen?) ist.
Für das "Gewesen" spräche nicht nur, dass viele Fragestellungen (das gilt übrigens nicht für alle), die in einem Zeitraum von immerhin 40 Jahren neu aufgekommen sind, nicht oder nur wenig berücksichtigt worden sind. Es ist vor allem der Mangel an "Geschichte der bayerischen Landeshistoriographie", wenn damit gemeint ist, dass man auch Tendenzen der Forschung und ihre kontroversen Ergebnisse in Vergangenheit und Gegenwart in einem wissenschaftlichen Handbuch thematisiert. Dieser Mangel war auch schon im 1. Teilband (IV,1) vorhanden. Die Hoffnung, dass der 2. Teilband diese Defizite wettmacht, hat sich jetzt endgültig nicht erfüllt. Im Gegenteil, die Defizite sind noch verstärkt worden.
Dabei ist bei einem solchen Staat wie Bayern und bei einer solch großen Forschergemeinde zur bayerischen Geschichte anzunehmen, dass es durchaus unterschiedliche Sichtweisen, unterschiedliche Ergebnisse und unterschiedliche methodische Ansätze und Bewertungen gibt. Von all diesen Unterschieden erfährt man im neuen "Spindler" nichts. Dabei wären gar nicht einschneidende Eingriffe in die "bewährte" Struktur des Handbuchs erforderlich gewesen. Was hätte dagegen gesprochen, nach rein darstellenden Kapiteln jeweils ein Kapitel etwa mit dem Titel "Grundprobleme und Tendenzen der Forschung" aufzunehmen, so wie es andere Handbücher seit langem tun?
Bleibt zu hoffen, dass dies in der dritten Auflage der Fall ist, an der die Arbeit - zur Überraschung des Lesers - "unverzüglich aufgenommen" (IX) wird.
So bleibt es bei dieser Auflage im Wesentlichen nur bei der Darstellung. Die ist allerdings wie immer sehr fundiert. Da liegt immer noch unstrittig das größte Verdienst. Auch die Fülle der Themen war seit jeher beträchtlich (siehe Inhaltsverzeichnis). Und auch einige neue sind in dem Band über "Die innere und kulturelle Entwicklung" hinzugekommen, und zwar über die Verwaltung, die Publizistik und die neuen Medien, die jüdischen Gemeinden und "die muslimischen Mitbürger" (V). Für alle Kapitel gilt, dass sie die zwischenzeitlich erschienenen Forschungsergebnisse akribisch genau einarbeiten, in Teilen selber sogar neue Forschungsergebnisse darstellen (z. B. in: "Muslime in Bayern").
Allerdings hätte man noch einige neue und für die innere Entwicklung wichtige Kapitel hinzufügen können. Es fehlt immer noch ein eigenes Kapitel über Sozialpolitik. Jedoch sind "Landwirtschaft" und "Gewerbe, Handel und Verkehr" mit Kapiteln bedacht. Und es findet sich auch einiges - allerdings verstreut - in den beiden Teilbänden. Es fehlt auch ein eigenes Kapitel über bayerisches Brauchtum und Volkskunde, und das, obwohl es seit Wilhelm Heinrich Riehl eine Fülle von alten und neuen Veröffentlichungen darüber gibt. Natürlich ließe sich noch vieles hinzufügen, dann aber wäre das Handbuch wirklich enzyklopädisch geworden.
Doch was für die innere Entwicklung Bayerns wichtig ist und was nicht, darüber lässt sich - in Abhängigkeit von politischer Facon und präferierter wissenschaftlicher Methode - trefflich streiten. Aber unabhängig davon hätte man doch gern gewusst, nach welchen Kriterien Kapitel Aufnahme gefunden haben.
Mit dem vorliegenden Teilband ist die Neuauflage des Spindler abgeschlossen. Ein Vierteljahrhundert hat sich die Neubearbeitung hingezogen. Vielleicht liegt genau hier die Erklärung für die Defizite. Das Konzept für die Neuauflage ist um 1980 entwickelt worden. Was damals vielleicht noch vertretbar gewesen sein mochte, wurde im Laufe der Zeit immer weniger vertretbar. So ist der zuletzt erschienene Teilband zugleich der mit den offenkundigsten Desideraten. Obendrein behandelt er noch die innere Entwicklung Bayerns im 19. und 20. Jahrhundert, und gerade bei diesem Sujet hat sich die Forschung viel mehr ausdifferenziert als bei mehr traditionell politikgeschichtlichen Themen.
Vielleicht wäre es eine bessere Lösung gewesen, die konzeptionellen Defizite mit einem Hinweis auf eine wirklich "völlig neu bearbeitete" 3. Auflage und der Begründung einzugestehen: Man bleibt bei der 2. Auflage beim alten Zuschnitt, weil anders das vor langer Zeit begonnene Gesamtwerk aus dem Lot geraten wäre. Die Autoren hätten es verdient.
Fazit: Ein Mammutwerk hat seinen Abschluss gefunden. Unendlich viel Arbeit wurde von der bayerischen Forschergemeinde aufgewandt. Nach dem ausdrücklichen Willen des Herausgebers: Der neue Spindler bleibt ganz der alte - und das nach den rund 30 Jahren, die zwischen der 1. und 2. Auflage liegen. Das gilt - sehr erfreulich - für die akribisch wissenschaftlich fundierte Darstellung der Einzelthemen, in die auch die neuesten Veröffentlichungen eingearbeitet wurden. Das gilt - weniger erfreulich - für das Konzept eines wissenschaftlichen Handbuches, in dem Kontroversen und Forschungsdiskussionen nicht berücksichtigt werden, und zwischenzeitlich neu hinzugekommene Themen und Forschungsrichtungen nur wenig Aufnahme gefunden haben. Auch der neue Spindler wird sich zweifelsohne wegen seiner unbestreitbaren Verdienste um eine gründliche Darstellung bewähren. Indes: Vom Bestens-Bewährtem zum von der Zeit Überholten ist manchmal nur ein kleiner Schritt.
Alois Schmid (Hg.): Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Zweiter Teilband: Innere Entwicklung und kulturelles Leben (= Handbuch der Bayerischen Geschichte. Begr. v. Max Spindler; Bd. IV, 2), 2., völlig neu bearb. Aufl., München: C.H.Beck 2007, XXX + 789 S., ISBN 978-3-406-50925-4, EUR 98,00
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