Lange Zeit war Sir William St. John Hopes schwer zugängliches Standardwerk von 1913 fast die einzige Referenz zur Burg Windsor und ihrer in der unteren Vorburg errichteten Kollegiatskirche St. George's. Erst in den vergangenen zehn Jahren ist dem abgeholfen worden: Nach einer Konferenz der British Archaeological Association über die mittelalterliche Burg und ihre Umgebung sowie einer kleineren Tagung zu den Umbauten der Georgskapelle nach 1477 [1] basiert ein dritter, hier anzuzeigender Band auf einem Kongress im Jahr 2002. Er fasst historische, kunst- und musikwissenschaftliche Beiträge zusammen, die sich nicht nur mit der Kapelle, sondern auch mit dem Hosenbandorden sowie mit der Burg Windsor auseinandersetzen.
König Eduard III. (1327-1377) gründete den Hosenbandorden bereits im Juni 1348; die Statuten sind allerdings erst 1415 verfasst worden. Zu Mitgliedern ernannte der König neben sich selbst den Kronprinzen und einen exklusiven Kreis von 24 Rittern. Vorbild war offenbar ein Turnier im Jahr 1344, an dessen Ende Eduard als zweiter König Artus eine Neugründung der Tafelrunde bekannt gab. Als permanenter Ordenssitz diente die Georgskapelle der Burg Windsor. Meist hat die Forschung neben dem militärischen Charakter des Hosenbandordens vor allem den politischen Hintergrund der Gründung betont, denn nur eine stabile Beteiligung des Adels konnte auf Dauer die Anjou-Plantagenet-Monarchie sichern. W. M. Ormrod zweifelt allerdings an, dass die Ordensgründung als Teil eines "Masterplans" für eine massenwirksame Selbstdarstellung des Königshauses zu verstehen sei. Seiner Ansicht nach entwickelte sich die Bedeutung des Ordens erst in der zweiten Jahrhunderthälfte. Für Ormrods Vermutungen spricht, dass weder der Hosenbandorden noch dessen Motto Teil einer öffentlichen Ikonographie des 14. Jahrhunderts waren; erst unter Eduard IV. erlangte er mit dem Neubau der Kapelle ab 1477 seine Breitenwirkung. Ob Eduard III. überhaupt kirchliche Gründungen für politische Zwecke zu nutzen gedachte, muss nach Ansicht von Clive Burgess unklar bleiben. Dass der heilige Georg zum Zweck der nationalen Identitätsfindung als Vorbild und Patron für den englischen König propagiert wurde, wie D.A.L. Morgan in seinem Aufsatz feststellt, ist dagegen allgemein bekannt.
Der Orden, so argumentiert neben Ormrod auch Juliet Vale, sei der Begeisterung Eduards III. für ritterliche Kultur und weltliches Spiel entsprungen: Seit seiner Kindheit sind verschiedene Verkleidungen Eduards als Ritter aus der Welt der Artus-Sagen überliefert. Vale schildert, wie er das Gruppenbewusstsein der Ordensritter mit bildlichen, dem Theaterspiel entnommenen Referenzen stärkte.
Ormrod begründet seine These unter anderem damit, dass Bauaktivitäten in Windsor erst nach der Gründung 1348 in Gang kamen. Julian Munby rekonstruiert in seinem Überblick zu den innovativen Holzarbeiten in Windsor einen riesigen hölzernen Rundbau von 1344, der im Zusammenhang mit Eduards erstem Ordensplan stand. Auch die Bauarchäologen Steven Brindle und Stephen Priestley können allerdings nicht erklären, warum die Arbeiten an diesem Gebäude nach nur neun Monaten wieder aufgegeben wurden. Ihre Untersuchungen zu den gesamten Bauaktivitäten auf der Burg basieren auf den umfangreichen Abrechnungen von 1344 bis zu Eduards Tod 1377, die zum Teil bereits John Harvey ausgewertet hatte. Die wöchentlichen Rechnungen der 1350 begonnenen Kapelle geben Hinweise auf den Fortschritt der Arbeiten, die saisonale Anstellung und Herkunft einzelner Bauleute und die Lohnsysteme. So vereinbarte man spätestens seit 1361 neben dem Tagelohn Erfolgshonorare für einzelne Bauteile. Leider fehlen Hinweise auf neuere Literatur zur Burg, wie den Aufsatz von Christopher Wilson im BAA-Band [1], ebenso vermisst man Vergleiche mit anderen Baustellen.
John Goodalls Aufsatz würdigt erstmals die herausragende Bedeutung der "Aerary Porch", die ihre Bezeichnung vom lateinischen Wort "aerarium" aus der Schatzkammer in ihrem Obergeschoss ableitet. Dieses zweistöckige Torhaus westlich des Kreuzgangs, 1353/54 als Haupteingang zu Eduards neuem Kollegiatsgebäude errichtet, ist eines der frühesten Beispiele des "Perpendicular Style" der englischen Spätgotik. Seinen Rang macht das strukturell neuartige Sterngewölbe des Untergeschosses aus, grandios weiterentwickelt 150 Jahre später in der neuen Georgskapelle. Goodall gibt einen großen Überblick über englische Gewölbeformen. Wie vor ihm Christopher Wilson nimmt er ein verlorenes gemeinsames Vorbild für die Gewölbe der Torhäuser von Windsor und Canterbury an. Wie so oft sind weder Vorbilder noch Entwürfe überliefert, was den Autor aber nicht davon abhält, seine Spekulation stillschweigend zur Prämisse auszuweiten. Mögen die Ähnlichkeiten der Gewölbeschemata auch auffallen, so muss man doch fragen, ob Goodall nicht zu weit geht, wenn er weit gestreute Einflüsse der Aerary Porch als "direct copies" oder "intellectual copies" (195) bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts nachzeichnet.
Nigel Saul befragt die Dokumente über die Ernennung von Kanonikern 1348-1420 nach einer wie auch immer gearteten "corporate identity", einem Gemeinschaftsgefühl des Kollegiats Windsor, das er in den Lebensläufen der Mitglieder, ihrer Ausbildung, ihren Stiftungen und der Wahl ihrer Begräbnisorte aber nur sehr bedingt nachweisen kann. Erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts identifizierten sich die Kanoniker offenbar stärker mit dem Kollegiat.
Drei Beiträge sprengen den Rahmen des 14. Jahrhunderts. Pamela Tudor-Craig rekonstruiert das Taufbecken der 1240er-Jahre aus dem Vorgängerbau, in dem Eduard III. getauft worden war. Ergiebiger als die angedeutete Frage nach der Stellung derjenigen, die Generationen später dort getauft wurden, wäre allerdings eine Untersuchung zu Stifter und Ort der Aufstellung von Taufbecken im Allgemeinen und zu ihrer Materialikonographie gewesen.
Um die spärliche Überlieferung über den Komponisten John Plummer (um 1410-1483) geht es bei Helen M. Jeffries. Offenbar war Plummer gleichzeitig Mitglied der Hofkapelle, die den König auf Reisen begleitete, sowie Küster und Sänger der Georgskapelle. Die Autorin rekurriert auf die bekannte zunehmend professionelle Identität der reisenden Sänger. Gerade in einem interdisziplinären Werk vermisst man hier einen Blick auf die Architektur der Ordenskapelle, der Aufschluss über die räumliche Anordnung von Chören geben könnte: Wir wissen immerhin, dass Ende des 15. Jahrhunderts der Lettner für Instrumentalisten genutzt wurde.
Die Historikerin A.K.B. Evans schließlich - ihr ist der Tagungsband gewidmet - berichtet, nicht ohne Augenzwinkern, von der Geschichte eines 1398 berufenen Vikars, der sich sechs Jahre lang vor königlichen und päpstlichen Gerichten seiner von Windsor geforderten Entlassung widersetzte. Die überraschend präzisen Gerichtsdokumente erlauben Evans, seinen Gang durch die Instanzen minutiös zu verfolgen.
Ein neues Standardwerk zu Windsor ergeben die im einzelnen interessanten, insgesamt aber disparaten Beiträge freilich nicht. So muss man zu Burg, Ordensgeschichte und Kapelle neben St. John Hopes Werk die Aufsätze der drei jüngsten Einzelbände konsultieren, die, wenn überhaupt, wie hier nur über einen kurzen, ungenügenden Index verfügen.
Anmerkung:
[1] Laurence Keen / Eileen Scarff (eds.): Windsor. Medieval Archaeology, Art and Architecture of the Thames Valley, The British Archaeological Association Conference Transactions XXV, Leeds 2002; Colin Richmond / Eileen Scarff (eds.): St George's Chapel, Windsor, in the Late Middle Ages, Windsor 2001.
Nigel Saul (ed.): St. George's Chapel, Windsor, in the Fourteenth Century, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2005, xvii + 241 S., 35 fig., ISBN 978-1-84383-117-4, GBP 45,00
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