Chronologie und Teleologie sind zwei narrative Prinzipien, die heute niemand mehr in einem literarischen, geschichtlichen oder philosophischen Text erwartet. Schon im Viktorianismus waren sie selten geworden. Doch wann und wie wurden diese Prinzipien erstmals in Frage gestellt?
Gavin Edwards vertritt die Auffassung, dass die Französische Revolution das Geschichtsverständnis der Briten so aus dem Konzept gebracht hat, dass sich bereits in den ersten Reaktionen darauf, allen voran Edmund Burkes Reflections on the Revolution in France (1790), eine völlig neue Erzählordnung abzeichnete. Die zwei Bedeutungen von Ordnung - Folgsam- oder Sauberkeit sowie Rangordnung oder Reihenfolge - fallen im Revolutionszeitalter auseinander. Während man zur Zeit der Aufklärung story, character und history leicht verbinden und damit aus jedem Leben eine chronologische Erzählung in der dritten Person machen konnte, wird diese Ordnung um 1789 mit großer Skepsis betrachtet. Erzählerisches Ordnen von Erfahrung erscheint auf einmal als gefährlich und unmöglich.
Diese Zweifel am Geschichtenerzählen sind vor allem sozial, politisch und moralisch motiviert. Edwards orientiert sich in seiner Argumentation stark an der Theorie des Sprachphilosophen J. L. Austin (How to Do Things With Words, 1962) und konzentriert sich auf die Bildung oder den Erhalt von Machtstrukturen durch die Überzeugungskraft von Geschichte/n. Ihn interessieren besonders die Geschichten in der Geschichte und die intertextuellen Zusammenhänge.
Im Anschluss an seine theoretische und zusammenfassende Einleitung bespricht Edwards eine Biografie, die der vor 1789 üblichen Erzählordnung folgt: Life of Richard Savage (1744) von Samuel Johnson. Damit kann er die späteren Texte kontrastieren und seiner These Gewicht verleihen. Johnson wehrte sich gegen die äußere Unordnung - Untreue, uneheliche Kinder, annullierte Hochzeiten - mit einem chronologisch geordneten Text, der auf jede Art von Flashback verzichtet. Das Festhalten am politischen Status Quo wird durch die Erzählordnung noch verstärkt. Die Vergangenheit ist damit abgeschlossen und jeder Versuch sie umzuinterpretieren zum Scheitern verurteilt.
Im zweiten Teil des Buches folgen sieben Fallstudien, in denen Edwards herausarbeitet, wie diverse Autoren gezwungen waren, anders als Johnson, gerade von der geordneten Erzählstruktur abzuweichen, um ihren politischen Standpunkt zu vermitteln. Dabei geht es ihm nicht rein um die Abkehr von der chronologischen Ordnung, sondern um jede Art des Infragestellens alter Erzählkonventionen, also auch die Perspektive, die Erzählzeit, die Intertextualität oder die Wortwahl betreffend. Die einzelnen Fallstudien sind daher sehr unterschiedlich aufgebaut und decken in ihrer Gesamtheit ein breites Spektrum an narrativen Besonderheiten sowohl in literarischen als auch in Sachtexten ab. Der Vorteil dieser Art von Präsentation ist, dass Edwards gleichzeitig auf verschiedene ästhetische und erzählerische Strukturen detailliert eingehen und ein Gesamtbild der wichtigsten Neuerungen vermitteln kann.
Den Anfang machen Burkes Reflections on the Revolution in France. Laut Edwards kommt darin die narrative Vorstellung des Lebens erstmals ohne Anfänge und Enden aus, denn Burke sah in dieser strukturellen Einteilung die Gefahr der ständigen revolutionären Erneuerung. Um an der sozialen und moralischen Ordnung festhalten zu können, propagierte Burke vielmehr eine Vermittlung durch Antizipation und Retrospektive. Dabei betonte er vor allem die Mechanismen der Erzählordnung, aber nicht die geordnete Erzählung selbst. Die Vergangenheit galt für Burke gerade nicht als abgeschlossen, daher barg die Französische Revolution die Gefahr, dass sich die Briten an ihre eigene revolutionäre Vergangenheit erinnerten. Um die Kontinuität der Ordnung zu wahren, konzentrierte er sich inhaltlich auf das typisch englische Vertrags- und Erbmodell und wählte sprachlich das present perfect. Burke legte mit seinem Abweichen von Anfängen und Enden den Grundstein für modernes Erzählen.
Watkin Tench ist von allen Autoren in Edwards' Studie der wahrscheinlich am wenigsten bekannte. Als Marine-Kapitän brachte er britische Gefangene nach Australien und schrieb zwei Berichte über diese Zeit (1789; 1793). Ein weiteres Buch beinhaltet Briefe, die er zwischen 1794 und 1795 in französischer Gefangenschaft verfasste. Das Kapitel ist insofern bemerkenswert als Edwards in Tench einen Autor gefunden hat, der zwar zur Zeit der Französischen Revolution geschrieben, diese aber kaum thematisiert hat und dennoch narrativ-strukurelle Besonderheiten aufweist. Edwards problematisiert hier vor allem die Abgeschnittenheit und Innovation innerhalb des britischen Kolonialreiches. Das ständige Neuschreiben von Geschichte verhinderte eine beständige Rückschauposition, so dass Erzählzeit und erzählte Zeit vor allem in Form von zitierten Tagebucheinträgen ständig ineinander flossen.
Von William Godwin untersucht Edwards sowohl einen Sachtext, An Enquiry Concerning Political Justice (1793), als auch eine fiktionale Erzählung, Caleb Williams (1794). In beiden Texten steht die Beziehung zwischen Familie und Geschichte, Privathaushalt und Öffentlichkeit im Vordergrund. Die Unsicherheit bezüglich des Status spiegelt sich im Vokabular wider. Edwards erläutert an dieser Stelle vor allem den Wandel sprachlicher Konzepte wie family oder character.
Die letzten vier Fallstudien konzentrieren sich auf literarische Texte. Da sich nach der Französischen Revolution die Kurzlyrik und der historische Roman zu den zwei einflussreichsten Genres entwickelten, widmet Edwards je ein Kapitel den bedeutsamsten Vertretern dieser Stile, William Wordsworth und Walter Scott. Beide machten sich vor allem die geschichtliche Unbeständigkeit zu Eigen und verzichteten bewusst auf abgeschlossene Erzählordnungen. Bei Wordsworth beobachtet Edwards vor allem den Wechsel von der Aktion zur Meditation und vom Ereignis zum Zufall. Seine Analyse befasst sich insbesondere mit den moving accidents, die sich in ihrer Bedeutung seit Shakespeare's Othello stark gewandelt haben. Scott bespricht er wieder im Kontext von Vertragsschlüssen aber auch im Zusammenhang mit der Historienmalerei. Der historische Roman ist deshalb so attraktiv geworden, weil er eine Episode in einer Geschichte darstellt, die genauso unvollendet ist wie die Geschichtsschreibung selbst. Zwei weitere Kapitel befassen sich mit George Crabbe's Parabeln und mit der Beziehung zwischen dem kreativen Schaffen von Mary Wollstonecraft und dem ihrer Tochter Mary Shelley.
Narrative Order ist eine facettenreiche und sehr dicht geschriebene Studie, die moderne Erzähltheorie mit klassischer Textinterpretation verbindet. Edwards zeichnet nicht nur den historischen Bedeutungswandel narrativer Strukturen nach, sondern präsentiert in seiner ungewöhnlichen Kombination von Autoren und Textarten die britische Romantik in einem neuen Licht. Er arbeitet oft auch interessante Punkte heraus, die nur peripher mit der Gesamtthese zusammenhängen, und zitiert viele lange Textpassagen als Beispiele, so dass auch der Leser, der die Primärtexte nicht kennt, keinen Nachteil hat.
Es wäre allerdings auch interessant gewesen, wenn der Autor einen kleinen Blick über den Ärmelkanal in Richtung Frankreich oder Deutschland geworfen hätte. Denn nach dem Lesen stellt sich wirklich die Frage: wie britisch sind die neuen Zusammenhänge zwischen Life and Story in an Age of Revolution?
Gavin Edwards: Narrative order 1789 - 1819. Life and Story in an Age of Revolution, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2006, 207 S., ISBN 978-1-4039-9211-6, GBP 45,00
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