Arnold Brecht und Johannes Popitz wurden beide im Jahr 1884 geboren, ersterer in Lübeck, letzterer in Leipzig. Beide studierten Rechtswissenschaften und traten danach in den Staatsdienst ein: Brecht in den Dienst des Reiches, Popitz in den Dienst Preußens. Beide wurden im Jahr 1921 zum Ministerialdirektor berufen: Brecht im Reichsinnenministerium, Popitz im Reichsfinanzministerium.
Die auf den ersten Blick frappierende Parallelität zweier Lebensläufe löst sich jedoch sehr schnell auf, wenn man näher hinsieht. Brecht gehörte in der Weimarer Republik zu den nicht eben zahlreichen höheren Beamten, die als "überzeugte Demokraten konservativer Prägung" (Krohn / Unger, 9) bezeichnet werden können und deren Karriere von SPD-Politikern gefördert wurde. In das Reichsinnenministerium berief ihn 1921 der sozialdemokratische Minister Adolf Köster. Als der deutschnationale Politiker Walter vom Keudell das Ministerium übernahm, wurde Brecht im Frühjahr 1927 entlassen. Kurz darauf berief ihn der preußische Ministerpräsident Otto Braun (SPD) in den preußischen Dienst, wo er als Ministerialdirektor einer der fünf hauptamtlichen Vertreter Preußens im Reichsrat wurde.
Im Unterschied zu Brecht blieb Popitz die demokratische Staatsform fremd. In der Weimarer Republik wurde er zum "treuen Staatsdiener mit kritischer Distanz" zum demokratischen Staat. (Voß, 39). Bei ihm verbanden sich "konservatives Denken autoritärer Prägung mit dem Streben nach technischer Rationalität und Effizienz" (Voß, 321). Als exzellenter Finanzfachmann stieg er 1925 zum Staatssekretär im Reichsfinanzministerium auf und war bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 1929 stets mächtiger als die wechselnden Minister.
Die Unterschiede zwischen beiden Beamten wurden auch in der Auflösungsphase der Weimarer Republik und in den Jahren danach sehr deutlich. Arnold Brecht vertrat Preußen nach dem "Preußenschlag" als Rechtsbeistand vor dem Staatsgerichtshof. Nach einer kurzzeitigen Verhaftung 1933 entschloss sich Brecht zur Emigration in die USA. Hier machte er als Wissenschaftler Karriere. Nach dem Krieg beriet er die amerikanische Regierung in der Deutschlandpolitik und fungierte als Mittler zwischen Amerikanern und Deutschen.
Für Popitz war mit dem "Preußenschlag" die Rückkehr in den Staatsdienst verbunden. Im November 1932 übernahm er als Reichsminister ohne Geschäftsbereich die kommissarische Leitung des preußischen Finanzministeriums. Im April 1933 wurde Popitz zum preußischen Finanzminister ernannt. Zunächst überzeugt vom NS-System wuchsen bei Popitz Kritik und Bedenken, die sich an der Verwaltungsstruktur und Verwaltungspraxis im NS-Staat entzündeten. Nach der "Reichskristallnacht" kamen moralische Bedenken hinzu, die Popitz in den Widerstand führten. Nach dem 20. Juli 1944 wurde Popitz verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt und Anfang 1945 hingerichtet.
So unterschiedlich wie die beiden Lebensläufe seit Anfang der 1920er-Jahre sind auch die vorliegenden Bücher. Bei dem Werk über Arnold Brecht handelt es sich um einen Sammelband, in dem die unterschiedlichen Etappen und Aspekte seines Lebens durch kompetente Wissenschaftler beleuchtet werden. Dabei wird der Bogen von der Analyse der Memoiren Brechts bis zur Auseinandersetzung mit dessen politischer Theorie gespannt. In den Blick genommen werden darüber hinaus Kindheit und Jugend, der "Weimarer" Ministerialbeamte, der Politologe in den USA und der Politikberater nach 1945.
Das Buch über Johannes Popitz ist als Gesamtbiografie angelegt, die aber wenig überzeugen kann. Die vier Kapitel behandeln das Kaiserreich, die Weimarer Republik, das "Dritte Reich" und den Widerstand. Die ersten drei Kapitel sind identisch aufgebaut. Am Anfang steht jeweils ein knapper Teillebenslauf, dann eine Geschichte der jeweiligen Epoche auf Schulbuchniveau auf relativ wenigen Seiten, schließlich in den Teilen 2 und 3 das in Einzelfelder gegliederte Wirken von Popitz. Das Widerstandskapitel umfasst lediglich 20 Seiten, und den Abschluss bildet eine Bewertung von Popitz durch Zeitgenossen und die Gegenwart. Neue Quellen hat der Verfasser nicht erschlossen.
Als Schlussbilanz bleibt festzuhalten, dass es sich bei Arnold Brecht und Johannes Popitz um zwei herausragende deutsche Beamte der Zwischenkriegszeit handelt, die jedoch ganz unterschiedliche Typen darstellten. Popitz repräsentierte eher die Mehrheit, die der demokratischen Staatsform kritisch gegenüberstand und den Übergang in das NS-Regime begrüßte - allerdings mit der Ausnahme, dass ihn sein Intellekt und seine moralischen Wertvorstellungen den Weg in den Widerstand finden ließen -, Brecht dagegen steht für eine insgesamt kleine Minderheit von überzeugten Demokraten in der Beamtenschaft. Beide Protagonisten verdienen eine aus den Quellen gearbeitete Biografie, wobei auch durchaus eine Doppelbiografie denkbar wäre.
Claus-Dieter Krohn / Corinna R. Unger (Hgg.): Arnold Brecht 1884-1977. Demokratischer Beamter und politischer Wissenschaftler in Berlin und New York (= Transatlantische Historische Studien; Bd. 27), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 228 S., 10 Abb., ISBN 978-3-515-08883-1, EUR 38,00
Reimer Voß: Johannes Popitz (1884-1945). Jurist, Politiker, Staatsdenker unter drei Reichen - Mann des Widerstands, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, 376 S., ISBN 978-3-631-55099-1, EUR 56,50
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