Mit Tomáš Staněk legt ein ausgewiesener Spezialist für das Nachkriegsschicksal der Deutschen in der Tschechoslowakischen Republik eine umfassende Studie zur Frühzeit des Systems der Internierungs-, Sammel- und Arbeitslager vor. Die im Original bereits 1996 erschienene Monografie, die fast ausschließlich auf tschechischen Quellenfunden beruht, wurde für die deutsche Ausgabe ergänzt und aktualisiert. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Displaced Persons, Kriegsgefangenen, Zivil- und Untersuchungshäftlinge sowie zwangsweise Aus- und Umgesiedelten deutscher Nationalität.
In einer kurzen Einführung verweist Andreas R. Hofmann darauf, dass das Lagersystem eine vorbereitende Funktion für die spätere "Aussiedlung" der deutschen bzw. ungarischen Bevölkerung hatte. Bis heute verschließt sich dieses Netz aus recht unterschiedlichen Lagertypen, die nationalitätenpolitischen, wirtschaftlichen und justiziellen Zwecken dienten, einer klaren Kategorisierung. Im größeren Rahmen betrachtet, erwiesen sich die Lager darüber hinaus als Druckmittel für umfassende politische und gesellschaftliche Umwälzungen im tschechoslowakischen Staat, die in der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 kulminierten.
Innerhalb der tschechischen Gesellschaft stießen nach Kriegsende die endgültige Bereinigung der Minderheitenfrage, die "nationale Selbstreinigung" und die Rache an den Kriegsverbrechern auf einen breiten Konsens. Problematisch war jedoch, dass diese Personengruppen in erster Linie national definiert wurden. Staněk zeichnet zunächst die allgemeine Linie von der Lage nach Kriegsende und den rechtlichen Grundlagen des "odsůn" (Abschiebung) bis zur Weiternutzung der von den nationalsozialistischen Okkupanten eingerichteten Lager. In der anschließenden Analyse betrachtet er detailliert den Aufbau und die Organisation der Lager vor Ort, deren Funktionsweise und Arbeitsabläufe sowie den Lageralltag und einzelne Häftlingsgruppen.
Der erste Abschnitt beinhaltet die Genese der staatlichen Strafjustiz in den böhmischen Ländern. Viele Entscheidungskompetenzen blieben im administrativen Chaos der unmittelbaren Nachkriegszeit den unteren Verwaltungsebenen überlassen, sodass auf lokaler Ebene ohne einen einheitlichen oder zentral vorgegebenen Modus die ersten Initiativen für die "Abschiebungen" und Enteignungen entstanden, in deren Rahmen es zu einzelnen Exzessen kam, von denen vor allem Deutsche betroffen waren. Während vor Ort definitive Fakten geschaffen wurden, gelang es den übergeordneten Verwaltungsinstanzen erst ab Juli 1945, sukzessive die Kontrolle zu übernehmen, wobei sich Kompetenzstreitigkeiten noch einige Zeit fortsetzten. Umfassend, mitunter penibel erläutert Staněk die lokalen Entwicklungen und die sich dabei abzeichnenden Kategorien von Haftgründen.
Wie alle nachfolgenden Kapitel folgt der nächste Abschnitt, der die Aufbauphase der Lager in den ersten Nachkriegsmonaten behandelt, einem chronologischen, in verschiedene Zeitabschnitte unterteilten Muster. Die oftmals bereits existierenden Haftstätten wurden einer provisorischen Lagerordnung unterworfen und mit Häftlingen gefüllt. Detailstatistiken bieten hierbei einen ersten Eindruck vom Ausmaß der Verfolgungen, auch wenn die Gesamtzahl der Insassen auf Grund gewisser Lücken in den Quellen zu diesem Zeitpunkt nicht verifizierbar ist.
In den Sommermonaten 1945 begann der systematische und zwangsweise Arbeitseinsatz. Die katastrophalen sanitären Verhältnisse, die schlechte Ernährungslage und die unzureichende medizinische Versorgung waren für eine relativ hohe Sterblichkeitsrate verantwortlich. Darüber hinaus stand der Willkür einzelner Angehöriger des Wachpersonals oder der Lagerverwaltung Tür und Tor offen, ohne dass der Autor hieraus eine allgemeine Systematik der Exzesse ableiten würde. Dennoch: "Der Umgang mit den Toten aus den Lagern während der ersten Nachkriegsmonate belegt anschaulich, wie tief die Achtung vor dem menschlichen Leben gesunken war und wie Hass, Verachtung oder gewöhnlicher Zynismus den Sinn für elementare Humanität abzustumpfen vermochten." (131)
In der zweiten Jahreshälfte 1945 verfestigte sich das improvisierte Erscheinungsbild der einzelnen Lager zu einem "System", für das die schleppende Aufnahme von Gerichtsverfahren charakteristisch war, sodass den Häftlingen ihr weiteres Schicksal oftmals unnötig lange verborgen blieb. Seit Anfang 1946 leiteten die tschechoslowakischen Behörden die beschleunigte "Abschiebung" der deutschen Bevölkerung in die Wege, deren Höhepunkt im Juli erreicht wurde. Hiervon waren auch viele Lagerinsassen betroffen, deren Hab und Gut konfisziert blieb. Zu diesem Zeitpunkt gelang es aber auch, die individuelle und willkürliche Gewalt gegen die Häftlinge einzudämmen. In der letzten Phase zwischen 1947 und 1948/49 wurden die verbliebenen Deutschen aus den Grenzgebieten ausgewiesen und im Landesinneren angesiedelt, um ihre Assimilierung zu beschleunigen und ihre produktiven Fähigkeiten effektiver nutzen zu können.
Das Fazit verweist noch einmal auf die Stabilisierungsfunktion der Lager für das politische Regime im tschechischen Landesteil. Das Lagersystem, das vor diesem Hintergrund als "logische Begleiterscheinung" der tschechoslowakischen Konsolidierungspolitik der Nachkriegszeit erscheint, wurde freilich auch nach dem Februar 1948 weitergenutzt - für die verbliebene, einheimische Opposition. Der Verfasser unterstreicht den Unrechtscharakter der Lager, geht auf die vielfach menschenunwürdigen Bedingungen ein und kommt zu einem bemerkenswerten Schluss: "Die Einstellungen gegenüber dem Einsatz der Lager, die Bedingungen, die in ihnen herrschten, und die Reaktionen darauf legen in mancher Hinsicht zweifelsohne Zeugnis vom allgemeinen Zustand der tschechischen Gesellschaft ab [...]." (354)
Das Jahr 1945 steht im Mittelpunkt der Studie. Die Kategorisierung in Internierungs-, Sammel- und Arbeitslager erscheint folgerichtig und wird durch die Auswertung umfangreicher Archivmaterialien gestützt. Fakten und Tabellenangaben werden von Staněk akribisch belegt, das zweisprachige Ortsnamensregister erhöht den praktischen Gebrauchswert des Buches. Leider fehlt entsprechendes kartografisches Material. Bedauerlich ist zudem das größtenteils deskriptive Vorgehen des Verfassers, sodass analytische Betrachtungen eindeutig zu kurz kommen.
Entstanden ist eine Organisationsgeschichte der Lager in der Frühphase der ČSR, die einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung zurückliegender (oder noch anstehender) politisch-historischer Aufarbeitungsdebatten leistet. Die Forschung zur Institution "Lager" in den Volksdemokratien - so z.B. in Polen oder in der ČSR - steht erst am Anfang, insbesondere für die Periode von 1945 bis 1948. Durch die vorliegende Studie, die Pioniercharakter besitzt, fußen unsere Kenntnisse nunmehr auf einer breiteren quellengestützten Grundlage. Darin liegt ihr wesentliches Verdienst.
Tomáš Staněk: Internierung und Zwangsarbeit. Das Lagersystem in den böhmischen Ländern 1945-1948. Aus dem Tschechischen von Eliška und Ralph Melville (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum; 92), München: Oldenbourg 2007, XV + 390 S., ISBN 978-3-486-56519-5, EUR 39,80
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