Giovanna D'Amico befasst sich in der überarbeiteten Fassung ihrer Dissertation mit der heiklen Frage der Reintegration der Juden in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei nimmt sie insbesondere die entscheidenden Jahre zwischen 1944 und 1950 in den Blick, in denen sich die neu entstandenen politischen Kräfte in nicht selten widersprüchlicher Weise über ihren Kurs in dieser Frage klar zu werden versuchten. Der Titel des Buches macht nicht das ganze Spektrum der von der Autorin angesprochenen Themen deutlich, denn Gegenstand der Analyse sind nicht nur die italienischen Juden, sondern auch die politisch Verfolgten. Diese Entscheidung erweist sich vor allem deshalb als gerechtfertigt, weil sich öffentliche Debatte und Gesetzgebung zur Wiedereingliederung der Juden in einem weiteren Kontext vollzogen - ein Kontext, der vor allem politisch Verfolgte und Heimkehrer betraf. Hier lassen sich - trotz spezifischer Unterschiede für jede Opfergruppe - auffällige Parallelen erkennen. Tatsächlich werden in der Studie die Schwierigkeiten der Regierung hervorgehoben, eine schlüssige Kategorisierung der Verfolgung zu erstellen. Damit verbunden - und dies zeigt sich ebenfalls deutlich - waren freilich langatmige Verwaltungsprozeduren zum Nachteil der Betroffenen, die sich aus der Überlagerung der Ansprüche ergaben.
Die Frage, wie sich die Wiedereingliederung der Juden in die Republik Italien vollzog, ist bisher von der italienischen Geschichtswissenschaft nicht beantwortet worden, da man sich - anders als in anderen Teilen Europas - vor allem mit den faschistischen Rassengesetzen von 1938 und ihren Folgen für die jüdische Bevölkerung des Königreichs befasst hat. Erst eine neue Generation von Historikerinnen und Historikern hat sich lange vernachlässigter Themen angenommen, sodass in den letzten Jahren auch einige Arbeiten zur Geschichte der Nachkriegszeit erschienen sind, die sich mit der Reintegration der jüdischen Bürger in die Gesellschaft der jungen Republik Italien befassen. Die Arbeiten von Guri Schwarz und Ilaria Pavan [1] konzentrieren sich etwa auf die schwierige Rekonstruktion einer jüdischen Identität nach der Shoa sowie auf die wirtschaftlichen und administrativen Probleme, mit denen ein großer Teil der italienischen Juden zu kämpfen hatte, als sie nach dem Krieg wieder in den Besitz ihres vom faschistischen Regime enteigneten Hab und Guts zu gelangen suchten.
Die hier besprochene Studie ist das Ergebnis langen und gründlichen Quellenstudiums in zahlreichen staatlichen und nicht staatlichen Archiven Italiens (Archiv der Abgeordnetenkammer, zentrales Staatsarchiv, historisches Archiv der Union jüdischer Gemeinden Italiens, jüdisches zeithistorisches Dokumentationszentrum u.a.). Einen Schwerpunkt der Analyse bilden dabei die legislativen Maßnahmen zur Wiedereingliederung der Juden; die Arbeitswelt und die Rückerstattungsfrage sind hierbei von besonderer Bedeutung. Die Autorin macht vor allem darauf aufmerksam, wie sehr sich die Interessen verschiedener Gruppierungen überschnitten und ermöglicht es dem Leser so, die Grundprobleme der Wiederannäherung zwischen den Juden und der italienischen Gesellschaft in den schwierigen Nachkriegsjahren zu erfassen. Im Übrigen war es für die überlebenden Juden ein wichtiger Schritt in die ersehnte Normalität, den Arbeitsplatz wiederzuerhalten, den sie aufgrund der faschistischen Rassenpolitik verloren hatten, oder zu sehen, dass die Rentenversicherungsbeiträge nachgezahlt und entzogene Vermögenswerte zurückerstattet wurden. Dieser Weg in die Normalität war freilich alles andere als einfach, zumal sich sowohl die Wiedereinstellung als auch die Rückerstattung oftmals über Jahre hinziehen konnten; dabei waren die Verfahren im privaten Sektor nicht selten komplizierter und langwieriger als im öffentlichen.
Was die Rekonstruktion der Debatte in Parteien und Gewerkschaften angeht, betont Giovanna D'Amico, wie unterschiedlich die Verfolgungsmaßnahmen vor und nach dem Sturz Mussolinis am 25. Juni 1943 bewertet wurden. Erhellend ist auch die Tatsache, dass die Alliierten, wo es ihnen möglich war, darauf drängten, die Rechte der jüdischen Bevölkerung wiederherzustellen und sie möglichst rasch in die Arbeitsgesellschaft zu integrieren. Aus der Studie wird zudem die spannungsgeladene Beziehung zwischen der Republik und der Erinnerung an die Verfolgung der Juden in Italien deutlich [2], die oft verdrängt oder bagatellisiert wurde, um einen möglichst dicken Strich zwischen der demokratischen Gegenwart und der faschistischen Vergangenheit zu ziehen. Die Seiten des Buches, die sich mit der politischen Säuberung und ihren Rückwirkungen auf die Reintegration der Juden befassen, sind ein wichtiger Baustein, um die Komplexität dieser Phase italienischer Geschichte zu verstehen. Ähnlich bedeutsam sind die Ausführungen der Autorin zum Verhalten der italienischen Linken gegenüber der jüdischen Welt - ein Thema, das die Forschung künftig verstärkt aufgreifen sollte und dem sich Giovanna D'Amico hauptsächlich über die Auswertung von Parlamentsdrucksachen nähert.
Die Studie gliedert sich in zwei Teile, von denen sich der erste mit der Erblast des faschistischen Königreichs und der zweite mit der Erblast der Republik von Salò auseinandersetzt. Alles in allem umfasst das Buch zehn Kapitel, die insbesondere den Gesetzen gewidmet sind, die Juden, aber auch politisch Verfolgte oder Heimkehrer betrafen und ihre Reintegration regeln sollten. Darüber hinaus schenkt die Autoren der Rückerstattung entzogenen Vermögens und den speziellen Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung von Juden und politisch Verfolgten ihre Aufmerksamkeit. Dabei untersucht sie die Situation an Schulen und Hochschulen oder auch im Heer, wobei sie immer wieder die Schwierigkeiten hervorhebt, mit denen Juden und politisch Verfolgte bei ihrer Reintegration zu kämpfen hatten.
Giovanna D'Amico unterstreicht, dass es mit Blick auf eine politische Säuberung, die sich rasch als oberflächlich erwies, nicht nur um die Notwendigkeit ging, denen ihre Arbeitsplätze zurückzugeben, die keine andere Möglichkeit hatten, ihren Lebensunterhalt in Würde zu bestreiten, sondern auch um die schwierigen Probleme, die mit der Rekonstruktion unterbrochener Karrieren und der Rückerstattung entzogenen Vermögens zusammenhingen. Die aufmerksame und sorgfältige Rekonstruktion der Gesetzgebung erfordert vom Leser wegen der Komplexität der Materie und der spezifischen Sprache einige Anstrengung. Doch gerade wegen dieser Passagen ist Giovanna D'Amicos Buch für jeden unverzichtbar, der sich künftig mit der Integration der Juden in die italienische Nachkriegsgesellschaft befassen wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Ilaria Pavan / Guri Schwarz (a cura di): Gli ebrei in Italia tra persecuzione fascista e reintegrazione postbellica, Florenz 2001; Guri Schwarz: Ritrovare se stessi. Gli ebrei nell'Italia postfascista, Rom/Bari 2004; Ilaria Pavan: Tra indifferenza e oblio. Le conseguenze economiche delle leggi razziali in Italia 1938-1970, Florenz 2004.
[2] Vgl. Michele Sarfatti: Gli Ebrei nell'Italia fascista. Vicende, identità, persecuzione, Turin 2000; in deutscher Sprache: Gudrun Jäger / Liana Novelli-Glaab (Hgg.): Judentum und Antisemitismus im modernen Italien, Berlin 2007.
Aus dem Italienischen übersetzt von Thomas Schlemmer.
Giovanna D'Amico: Quando l'eccezione diventa norma. La reintegrazione degli ebrei nell'Italia postfascista, Torino: Bollati Boringhieri 2005, 392 S., ISBN 978-88-339-164-39, EUR 39,00
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