Seit den bahnbrechenden Arbeiten von Mary Dorothy George und Herbert Atherton, zudem befördert durch Werner Busch und seine Schülerinnen, behauptet die Forschung zur satirisch-politischen Druckgrafik Großbritanniens innerhalb der historischen Bildwissenschaft eine Spitzenposition. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt der Herausbildung ikonischer Nationalstereotype, wie zuletzt die Quellenstudien von Tamara Hunt [1] und Silke Meyer [2] überzeugend belegen. Daher weckt die vorliegende Arbeit von Britta Mischek hohe Erwartungen, zumal es sich um eine Dissertation handelt, die aus dem Graduiertenkolleg "Identität und Differenz" der Universität Trier hervorgegangen ist. Ihr Ziel, die Verfertigung britischer Identität nicht einmal mehr an der Figur von John Bull, sondern anhand der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den nordamerikanischen Kolonien und ihrer Resonanz in der Bildpublizistik zu verfolgen, klingt vielversprechend.
Das Buch von Britta Mischek hat denn auch durchaus seine Stärken. Die gleichermaßen anglistisch und kunsthistorisch ausgebildete Verfasserin bietet Abbildungen aller von ihr besprochenen Grafiken, einen sorgfältigen Katalog derselben und formuliert im Laufe der Untersuchung ebenso exakte wie eindringliche Einzelbeschreibungen ihrer Blätter. Außer der englischen Druckgrafik wertet sie eine Auswahl zeitgenössischer Periodika aus, insbesondere das Gentleman Magazine und das London Magazine. Und nicht zuletzt referiert sie eine Fülle einschlägiger Fachliteratur. In vier Hauptteilen untersucht sie zunächst die Ereignisgrafik zu den englisch- amerikanischen Auseinandersetzungen von 1766 bis 1783, dann den "nationalistischen Mythos", verkörpert in der Constitution und in Britannia, ferner die "Konstruktion von Nationalstereotypen" in den Kontrastfiguren des dekadenten Franzosen und des Briten "Jack Tar" sowie schließlich die 'Indianer' als Verkörperung Amerikas. Es ergibt sich u.a., dass die britischen Karikaturisten die Amerikanische Revolution hauptsächlich vor dem Hintergrund der englischen Innenpolitik diskutierten und nach der Boston Tea Party die amerikanischen Erfolge in britische Siege verkehrten. Ihr Beitrag zur Stereotypisierung des englischen Selbstbildes erscheint auf diesem Themenfeld freilich so gering, dass die Autorin einmal mehr das Gegenbild des Frösche fressenden Franzosen bemüht (247-67).
Gleichwohl ruft die Arbeit Bedenken in doppelter Hinsicht hervor. Erste Zweifel weckt das zugrunde gelegte Bildkorpus. Als Hauptquellen ihrer Untersuchung nennt die Verfasserin zwar die grafischen Sammlungen des British Museum, der Lewis Walpole Library an der Yale University in Farmington und der Kongressbibliothek in Washington, gibt aber keinerlei Rechenschaft darüber, nach welchen Kriterien sie (abgesehen von 27 Vergleichsabbildungen) ihren schmalen Katalog von 44 Nummern für einen Untersuchungszeitraum von zwei Jahrzehnten zusammengestellt hat. Allein der einschlägige Bestandskatalog der Kongressbibliothek [3] verzeichnet über 900 Grafiken: neben amerikanischen auch relevante englische Blätter, welche die Autorin stillschweigend beiseite lässt. Überdies sind ihr die ergänzenden Bildbelege und die Interpretationen ausgerechnet derjenigen Studie entgangen, die ihrem Thema am nächsten steht. [4]
Zum Zweiten zeugt der vollmundige Anspruch Britta Mischeks, ihre Arbeit sei "methodisch innovativ", weil sie "erstmals die kunsthistorische Bildanalyse mit der historischen Quellenanalyse verbinde" (14), nicht nur von Unkenntnis [5], die Verfasserin bleibt auch selbst hinter ihm zurück. Denn ihr Verfahren, jedes Kapitel mit einer unnötig ausführlichen Referierung der historischen Spezialliteratur zu eröffnen, dann einige (zumeist vier) Bilder ihres Korpus zu interpretieren und abschließend die Bildsprache anhand von Presse-Auszügen "in den zeitgenössischen Diskurs" einzubetten, mag arbeitsökonomisch sinnvoll sein, erzeugt aber statt Integration der Darstellung ein weitgehend unverbundenes Nebeneinander von historischer Schilderung, Bilddeutung und Presse-Zitaten. Im Sinne der Autorin selbst wäre es vielmehr gerade darauf angekommen, im Einzelnen konkret herauszuarbeiten, wie und warum die Bildflugblätter untereinander und mit den zeitgenössischen Textmedien kommunizieren und was das für die öffentliche Meinung bedeutet. Und was die Stereotypisierung betrifft, so hätte ein Vergleich des englischen Bildkorpus mit korrespondierenden amerikanischen Karikaturen sicher mehr Aufschluss geboten.
Anmerkungen:
[1] Tamara Hunt: Defining John Bull. Political Caricature and National Identity in Late Georgian England. Aldershot 2003.
[2] Silke Meyer: Die Ikonographie der Nation. Nationalstereotype in der englischen Druckgraphik des 18. Jahrhunderts. Münster 2003.
[3] Donald H. Cresswell : The American Revolution in Drawings and Prints. A Checklist of 1765-1790 Graphics in the Library of Congress. Washington 1975.
[4] Joan D. Dolmetsch: Rebellion and Reconciliation. Satirical Prints on the Revolution at Williamsburg, Williamsburg / Charlottesville 1976.
[5] Stellvertretend für viele sei hier nur eine Studie genannt, die bildpublizistische und Textquellen in ihrem kommunikativen Zusammenhang untersucht: Annie Duprat: Le roi décapité. Essai sur les imaginaires politiques, Paris 1992.
Britta Mischek: Die Konstruktion nationaler Identitäten in der englischen politisch-satirischen Druckgraphik zur Amerikanischen Revolution 1763-1783 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXVIII: Kunstgeschichte; Bd. 428), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2008, 477 S., ISBN 978-3-631-57354-9, EUR 74,50
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