Zu den markanten Ereignissen des frühen Kalten Krieges gehört zweifellos der "Coup von Prag". In ihm fand die Dritte Republik, jene halbplurale Volksdemokratie, die die Tschechoslowakei der Jahre 1945 bis 1948 gewesen war, ihr Ende. Ersetzt wurde sie durch eine Einparteiendiktatur, die mehr als vier Jahrzehnte Bestand hatte. Angesichts der Stabilität des staatssozialistischen Regimes gerieten auch in der Forschung die Jahre 1945 bis 1948 zur bloßen Vorgeschichte des "siegreichen Februar", interpretiert zumeist entlang der Dichotomien "kommunistische Diktatur" versus "Demokratie".
Für die Menschen der Zeit war die Zukunft jedoch offen und sollte gestaltet werden. Im Mittelpunkt des Interesses der Studie von Christiane Brenner stehen daher die Auseinandersetzungen der tschechischen Eliten um die Perzeption der Gegenwart, die Verarbeitung der Vergangenheit und das Formulieren von Zukunftsvisionen. Als Quellen dienen ihr dafür fast 40 Tages- und Wochenzeitungen, Zeitschriften, Broschüren und Monografien aus dem Untersuchungszeitraum. Zu den Besonderheiten der untersuchten Debatten gehört es, dass sie in einer Öffentlichkeit stattfanden, die als beschränkt gelten muss und in der Druckerzeugnisse unter permanenter Beobachtung sowie (erfolgreichen wie erfolglosen) Versuchen der Disziplinierung standen. Gleichzeitig aber war die Presse kein reines Propagandainstrument. Auch gingen Bestrebungen zu ihrer Kontrolle keineswegs ausschließlich von den Kommunisten aus.
Es sind also Debatten um die Verfasstheit von Staat, Nation und Politik, die Christiane Brenner nachzeichnet. Sie entsprangen der besonderen Situation nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, knüpften aber gleichzeitig an die großen Fragen des tschechischen nationalen Diskurses an. "Diskurs" ist hier nicht bloß modisches Versatzstück. Vielmehr nutzt die Verfasserin das methodische Instrumentarium der Diskurstheorie virtuos, um Aushandlungsprozesse zu analysieren. Was im Hinblick auf eine Verständigung über Vergangenheit und Gegenwart und die Gestaltung einer neuen Ordnung der Zukunft öffentlich sagbar war und was nicht, wie mithin Integration, aber auch Disziplinierung, sowie Ausschluss bis hin zur Kriminalisierung organisiert wurden, ist das Thema dieses überaus lesenswerten (und sehr gut zu lesenden) Buches. Die Grenzen des Sprechens erwiesen sich dabei auch als Grenzen des Handelns.
Doch zunächst zum Sprechen. Es sind vor allem drei große Themenfelder, die der Selbstbeschreibung und -verortung dienten: Die politische Ordnung, die Zugehörigkeit zur Nation und das Verhältnis zur Sowjetunion. Was Christiane Brenner hier in der Untersuchung der einschlägigen Diskurse freilegen kann, verändert unser von Dichotomien geprägtes Bild der unmittelbaren Nachkriegszeit in der Tschechoslowakei grundlegend. Denn: Die Verfasserin zeigt, wie groß die Gemeinsamkeiten der am Diskurs partizipierenden politischen Opponenten waren. Dazu gehörte an erster Stelle die schon im Exil gereifte und nicht mehr verhandelbare Überzeugung, dass die Demokratie durch mehr soziale Gerechtigkeit und breitere Partizipationsmöglichkeiten stärker in der Bevölkerung zu verankern sei. Während die Kommunisten aber eine "neue"" Demokratie forderten (gegenüber der angeblich rein "formalen" der Zwischenkriegszeit), war es ihren Gegnern um deren moralischen Gehalt zu tun, nicht jedoch um ihre institutionelle Absicherung.
Die zweite Gemeinsamkeit beobachtet die Verfasserin mit Blick auf die Nation. Hier stand der Diskurs unter dem Primat der Einheit, wurde doch die Nation als homogen und geschlossen gedacht. In dieser von Widersprüchen befreiten Gesellschaft gerieten nicht nur individuelle Rechte ins Hintertreffen. Der Diskurs zeigt auch im Hinblick auf Mechanismen des Interessenausgleichs und zur Regelung von Konflikten auffällige Leerstellen. Abgegrenzt wurde die so entworfene tschechische Nation zunächst gegenüber der Slowakei, deren Bevölkerung häufig als Kontrastfolie für die "revolutionäre" tschechische Gesellschaft herhalten musste. Während es jedoch keine Alternative zum gemeinsamen Staat gab, lassen sich klare Exklusionsmechanismen mit Blick auf die deutsche Minderheit beobachten: Die Deutschen wurden zum "Anderen" der tschechischen Gesellschaft. Seine besondere Brisanz erhielt der antideutsche Diskurs durch die prinzipielle Anschließbarkeit an eine Vielzahl anderer Themen, von der "nationalen Reinigung" bis zu Fragen des Strukturwandels in der Landwirtschaft.
Das dritte Feld schließlich, auf dem Gemeinsamkeiten auffallen, betraf das Verhältnis zur Sowjetunion. Die verbindliche positive Haltung gegenüber der neuen Schutzmacht wurde von der Überzeugung gestützt, dass sie sich im Inneren demokratisiere und nach Außen zur Zusammenarbeit mit dem Westen bereit sei. In einer so wahrgenommenen Welt sahen tschechische Intellektuelle für ihr Land eine besondere Mission "zwischen Ost und West", galt es doch eine Symbiose mit Vorbildcharakter für ganz Europa zu verwirklichen.
Was die Kommunisten in diesen Debatten so stark sein ließ, war nicht so sehr, dass sie einen Masterplan für die Machtübernahme gehabt hätten. Vielmehr gelang es ihnen am besten, ein positives Zukunftsbild zu entwerfen, das weite Teile der verarmten Nachkriegsbevölkerung attraktiv fanden. Vor allem aber waren sie diejenigen, das zeigt die vorsichtige Systemdebatte des Jahres 1947 und die Regierungskrise vom Februar 1948, die durch den Diskurs, so wie er seit Kriegsende verlief, profitierten. Die Diskussionen des Jahres 1947 drehten sich vor dem Hintergrund der bevorstehenden Verabschiedung einer neuen Verfassung und der kommenden Parlamentswahl um die Frage, welche Rolle politische Akteure wie das Parlament, die Nationale Front, Massenorganisationen, aber auch "das Volk" in Zukunft spielen sollten. Kritiker der Entwicklung sahen sich in einem Zwiespalt gefangen: Ein Rütteln an den Grundfesten des seit 1945 bestehenden Ordnung barg das Risiko, aus dem Diskurs ausgeschlossen und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgt zu werden. Die Akzeptanz der "neuen Ordnung" jedoch schränkte ihre Kommunikations- und Handlungsoptionen beträchtlich ein.
Es war also gerade der Verlauf der Deutungskämpfe, der Sprachlosigkeit und Unfähigkeit zu handeln hervorgerufen hatte. Denn: Da der Zugang zu Macht und Öffentlichkeit daran gebunden worden war, die neue Ordnung permanent zu bestätigen, konnten Alternativen nicht mehr formuliert werden, ohne das gesamte System infrage zu stellen. Die Diskussionen des Jahres 1947 und der Verlauf der Regierungskrise im Februar 1948 belegen eindrücklich, wie wirkmächtig die selbst gezogenen Grenzen waren: Die aus Protest gegen kommunistische Klientelpolitik "Zurückgetretenen agierten in einer Logik, die keine institutionelle Entsprechung mehr hatte" (462). Allgemeiner ausgedrückt: Große Gemeinsamkeiten, die den Diskurs bestimmten und in denen die Verteidigung von demokratischem Interessenausgleich und Konfliktregulierung keinen oder einen nur schwachen Platz einnahmen, ermöglichten den Kommunisten in der Krise einen eher weichen Übergang zur Macht.
Damit hat Christiane Brenner nicht nur für ein zentrales Ereignis der tschechoslowakischen wie der europäischen Nachkriegsgeschichte eine neue überzeugende Deutung angeboten, sondern darüber hinaus grundsätzliche Beobachtungen über die Gefährdung von Demokratie formuliert. Daher: Zur Lektüre empfohlen!
Christiane Brenner: "Zwischen Ost und West". Tschechische politische Diskurse 1945-1948 (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum; Bd. 118), München: Oldenbourg 2009, VII + 554 S., ISBN 978-3-486-59149-1, EUR 59,80
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